Münster:Kommt der „Pflexit“? Fundamentale Verbesserungen gefordert

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Ein Krankenpfleger misst den Blutdruck einer Patientin. (Foto: Christoph Soeder/dpa/Symbol)

Zum Internationalen Tag der Pflege haben Experten auf teils drastische Arbeitsbedingungen hingewiesen und zu "fundamentalen" Verbesserungen aufgerufen. Die...

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Münster (dpa/lnw) - Zum Internationalen Tag der Pflege haben Experten auf teils drastische Arbeitsbedingungen hingewiesen und zu „fundamentalen“ Verbesserungen aufgerufen. Die berufliche Pflege sei über viele Jahre hinweg „herabgewirtschaftet“ worden, es werde eine Generation brauchen, um sie wieder attraktiv zu machen, sagte Sandra Postel von der Pflegekammer NRW am Mittwoch in Münster. Viele Pflegekräfte könnten oder wollten angesichts fehlender Anerkennung, unzureichender Bezahlung, Personalmangels und Überlastung nicht mehr und kehrten dem Beruf den Rücken. „Das ist einfach bitter.“ Applaus reiche nicht aus.

„Es muss Tiefbau stattfinden“, verlangte Postel, die Vorsitzende im Errichtungsausschuss der Pflegekammer Nordrhein-Westfalen ist. Um einen „Pflexit“ nach der Pandemie zu verhindern, müssen die Rahmenbedingungen nach Ansicht des Gremiums schnell und deutlich besser werden.

In Düsseldorf forderte die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW eine „Pflegereform, die ihren Namen verdient“. Die aktuelle Lage sei unbefriedigend, kritisierte der LAG-Vorsitzende Frank Johannes Hensel. Es müsse endlich eine „faire und angemessene Bezahlung“ garantiert werden, die der Bedeutung, Verantwortung und Schwere der Tätigkeit gerecht werde. Um mehr Personal zu gewinnen, brauche es an Pflegeschulen und Hochschulen mehr Ausbildungskapazitäten. Nötig sei zudem ein forcierter Ausbau der Digitalisierung - auch, um beim Abbau von „enormem Papierkram“ zu helfen.

Viele Pflegekräfte seien längst an ihre Grenzen gekommen, schilderte Elke Hammer-Kunze von der AWO Westliches Westfalen. „Die Pandemie hat unsere strapazierten Strukturen noch mal richtig zum Kochen gebracht.“ Auch die Gewerkschaft Verdi monierte, das Pflegepersonal sei am Anschlag, von zugesagten Entlastungen und Verbesserungen sei nichts zu spüren. Beschäftigte aus wollten der Gesundheitspolitik in örtlichen Kampagnen die „Rote Karte“ zeigen.

In NRW sind derzeit - Stand September 2020 - gut 393 700 Beschäftige in der Gesundheits- und Altenpflege tätig. Eine wurde am Mittwoch besonders geehrt: Krankenpflegerin Meike Ista von der Uniklinik Münster. Pflegekammer und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) zeichneten sie als „Botschafterin der Pflege NRW“ aus. Stellvertretend für alle Pflegepersonen, wie es hieß.

Ista sei technisch und fachlich versiert, unaufgeregt, routiniert, empathisch und ein gutes Vorbild, lobte Postel. Die Pflegerin war vor einigen Wochen in der Pro7-Sendung „Joko & Klaas Live“ sieben Stunden lang im Knochenmark-Transplantationszentrum lang bei ihrer Arbeit begleitet worden. Die Sendung hatte hohe Wellen geschlagen. Klinik-Pflegedirektor Thomas van den Hooven sagte mit Blick auf mancherorts unhaltbare Rahmenbedingungen, die Berufsgruppe der Pflegenden befinde sich in einem „erschreckenden Zustand“.

Laumann meinte: „Niemand kann jetzt noch behaupten, ihm seien die teils schwierigen Arbeitsbedingungen im Pflegebereich nicht bewusst.“ Die Pflegenden seien eine „unverzichtbare Säule unserer Gesundheitsversorgung“. Ziel müsse sein, dass künftig Versorgungsverträge nur noch mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden dürften, die Tariflohn zahlen. Ob ein solches bundesweites Vorhaben noch in dieser Legislatur gelingt, ist aber offen.

Der katholische Sozialverband KAB mahnte, auch die Leistungen der pflegenden Angehörigen anzuerkennen. Rund 75 Prozent der Pflegebedürftigen würden daheim von Familienangehörigen und ambulanten Pflegediensten versorgt. Zudem arbeiteten osteuropäische Hilfen hier oft in einer Grauzone. Die Politik müsse rechtliche Rahmenbedingungen eröffnen, um Pflegehilfskräfte vor Dumpinglöhnen zu schützen. Der KAB-Vorsitzende Andreas Luttmer-Bensmann stellte für die Pflegenden klar: „Das Klatschen im letzten Jahr ist noch keine Solidarität.“

© dpa-infocom, dpa:210512-99-568427/4

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