Essen:Tafel-Chef schreibt Buch: „Benennen, was falsch läuft“

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Essen (dpa/lnw) - Jörg Sartor bleibt sich treu. Auch anderthalb Jahre nach dem umstrittenen Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel nimmt der frühere Bergmann und Vorsitzende der Tafel kein Blatt vor den Mund. Diesmal sogar in einem Buch, seinem Buch. "Die Probleme im Revier sind zusehends gewachsen", schreibt der 63-Jährige darin. "Armutszuwanderung aus den neuen EU-Staaten Rumänien und Bulgarien, steigende Kriminalität durch arabisch-libanesische Clans und schließlich die Flüchtlingswelle von 2015/16, die gerade die ohnehin hoch verschuldeten Städte in der einstigen Bergbauregion völlig überfordert."

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Essen (dpa/lnw) - Jörg Sartor bleibt sich treu. Auch anderthalb Jahre nach dem umstrittenen Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel nimmt der frühere Bergmann und Vorsitzende der Tafel kein Blatt vor den Mund. Diesmal sogar in einem Buch, seinem Buch. „Die Probleme im Revier sind zusehends gewachsen“, schreibt der 63-Jährige darin. „Armutszuwanderung aus den neuen EU-Staaten Rumänien und Bulgarien, steigende Kriminalität durch arabisch-libanesische Clans und schließlich die Flüchtlingswelle von 2015/16, die gerade die ohnehin hoch verschuldeten Städte in der einstigen Bergbauregion völlig überfordert.“

Das 221-Seiten-Taschenbuch trägt den Titel „Schicht im Schacht“. Co-Autor ist der Journalist Axel Spilcker. Der Heyne Verlag in München habe den Titel ausgewählt, sagt Sartor am Dienstag am Rande einer Buchpräsentation in Essen. Er macht keinen Hehl daraus, dass er die Wendung für abgegriffen hält - zumindest im Ruhrgebiet, wo Ende 2018 die letzte deutsche Steinkohlenzeche geschlossen wurde.

Sartor hat aufgeschrieben, was aus seiner Sicht alles schiefläuft im Ruhrgebiet. Im Untertitel ist gar die Rede vom „Niedergang“ der Region. Das Buch beschreibe „mit normaler Sprache die Dinge, die nicht ganz so in Ordnung sind“, sagt Sartor etwas milder. Essens CDU-Oberbürgermeister Thomas Kufen ist auch gekommen. „Er hat ein sehr feines Gespür für Veränderungen in der Gesellschaft“, sagt er. „Er ist ein guter Beobachter, er spitzt auch zu, manchmal Holzhammer.“

In der „Streitschrift“ wirft der langjährige SPD-Wähler Sartor der Politik mit deutlichen Worten vor, in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig gegen Integrationsprobleme und Verarmung im Ruhrgebiet getan zu haben. Sartor nennt etwa Stadtteile mit hohem Ausländeranteil „Gettos, in denen die Integration nicht gelingen kann“. „Vieles, was gerade in Deutschlands größtem Ballungsraum mit zwölf großen Städten geschieht, birgt enormen sozialen Sprengstoff“, schreibt er weiter. Besonders im Essener Norden, seiner Heimat, fühlten sich viele Alteingessene „abgehängt, schlichtweg vergessen.“ Und: „Wenn wir nicht noch mehr Wähler an die AfD verlieren wollen, müssen wir alle ganz genau hinschauen, benennen, was falsch läuft, und anders handeln.“

Wer ist dieser Sartor? Rückblick: Im Frühjahr 2018 wird bekannt, dass die Essener Tafel vorübergehend keine Ausländer mehr als Neukunden annimmt. Begründet wird dies mit einem sehr hohen Anteil an Ausländern. Gerade ältere Nutzerinnen sowie alleinerziehende Mütter hätten sich von den vielen fremdsprachigen jungen Männern in der Warteschlange abgeschreckt gefühlt, sagte Sartor damals. Bei diesen Männern hatte er nach eigenen Angaben teilweise auch „mangelnden Respekt gegenüber Frauen“ beobachtet. Sozialverbände, Politiker verschiedener Parteien und auch Tafeln anderer Bundesländer üben teilweise massive Kritik. Sartor bleibt bei seiner Meinung. In den folgenden Wochen entwickelt sich eine Diskussion über die soziale Lage in Deutschland. Nach drei Monaten werden die umstrittenen Regeln wieder zurückgenommen. Die Nationalität spielt seitdem als Aufnahmekriterium bei der Essener Tafel keine Rolle mehr.

Sartor verteidigt den vorübergehenden Aufnahmestopp nach wie vor. „Es ist uns gelungen, wieder eine Balance zu schaffen. Die Omas sind zurückgekommen, das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Gruppen der Lebensmittelbezieher ist wiederhergestellt“, schreibt er in seinem Buch. Aktuell seien unter den Beziehern 57 Prozent Deutsche und 43 Prozent Ausländer, sagt Sartor am Dienstag. Auch das Verhältnis untereinander habe sich sehr zum Positiven verändert.

Nur Misere im Revier? Nein, in dem Buch skizziert Sartor auch seine Lösungsvorschläge. So könne etwa eine „Bad Bank fürs Revier“ die hohen Altschulden der Kommunen übernehmen und abwickeln. Er fordert einen „Masterplan fürs Revier“, einen „Aufbau West“. Ein neuer Hilfspakt müsse her: „Ein gesamtdeutscher Soli, der je nach Bedürftigkeit den Kommunen unter die Arme greift und nicht nur Geld von West nach Ost transferiert.“ Für die Integration der Flüchtlinge schlägt Sartor eine stärkere Öffnung des Arbeitsmarktes vor: Eine „staatlich finanzierte Jobmaschine“ solle es ermöglichen, „viele einfache Tätigkeiten in den Städten fortan durch leidlich ausgebildete Zuwanderer erledigen zu lassen. Denn eines ist mal klar: Ein Großteil dieser Menschen wird nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren.“

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