Singles im Restaurant:Mitesser im Glas

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Fertiggerichte und lose Essenszeiten bedrohen die gute, bürgerliche Tischkultur; gemeinschaftliche Mahlzeiten sind nicht mehr die Regel. Zum Glück gibt es den Goldfisch.

Marten Rolff

Die gute Gesellschaft ist, wie sie isst - wer diese Redensart heute noch propagiert, hat sich in der Regel von "gut" lange verabschiedet. Seit Jahrzehnten beklagen Snobs und Sozialsegregaten den Verfall der bürgerlichen Tischkultur - und trauern Damast, Festtagssilber, Porzellan-Ensembles und verbindlichen Essenszeiten hinterher. Zuletzt, so jammern die Anstandsnörgler, sei dann auch die Gesellschaft flöten gegangen: In den Familien gebe es schließlich Kinder, die - wenn sie denn überhaupt zum Essen zu Hause sind - Nachos mit Cheddarsoße und drei Gameboyrunden für eine super Mahlzeit halten. Von den Kinderlosen und Singles gar nicht zu reden. Denn die gingen ja, horribile dictu, heute schon allein ins Lokal.

Gegen Einsamkeit: Im südindischen Bangalore leisten den alleinspeisenden Gästen eines Luxushotels jetzt Goldfische Gesellschaft. (Foto: iStockphoto)

Wie schön ist es da, dass uns mitten im Untergang des Abendlandes aus Asien eine frohe Botschaft erreicht: Ein Luxushotel im südindischen Bangalore hat beschlossen zu handeln und stellt jedem allein speisenden Gast jetzt ein Glas mit zwei Goldfischen auf den Tisch - weil es "in netter Gesellschaft einfach besser schmeckt". Wer das als Stigma empfindet, sollte sich die vielen Vorteile des Goldfisches bewusst machen: Er ist hübsch anzusehen, beruhigt, widerspricht nicht und macht keine Schmatzgeräusche beim Öffnen und Schließen des Mauls. Damit ist er eine gleichwertige und vor allem preisgünstige Alternative zum Escort-Service, der sich bei Gästen der gehobenen Gastronomie gerüchtehalber ebenfalls großer Beliebtheit erfreut.

Doch sollte sich der Gast stets an eines erinnern: Der Goldfisch stammt nicht umsonst aus dem Kulturkreis der großen Zen-Meister und Philosophen. Als weltweit erstes Haustier wurde er allein zur Erbauung seines Besitzers gezüchtet. Und als reines Luxusgeschöpf ist er nicht zum Verzehr bestimmt. Wer in ihm einen bloßen Vertreter der Karpfenfamilie sieht, macht sich künftig des Kannibalismus und damit der Barbarei verdächtig. Am Ende müsste man den Tischkulturpessimisten noch zustimmen.

© SZ vom 03.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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