Schwangerschaftsabbruch:Keine Abtreibungen mehr im Landkreis Schaumburg

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Von April 2017 an nimmt das Kreisklinikum den Eingriff nicht mehr vor. Wie das passieren konnte, verstehen nicht mal die Lokalpolitiker - obwohl sie mitverantwortlich sind.

Von Barbara Vorsamer

Im Landkreis Schaumburg werden künftig keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchgeführt, es sei denn, das Leben der Frau ist in Gefahr. Im April 2017 werden die drei kleinen Kliniken des niedersächsischen Landkreises zu einer großen unter Trägerschaft des christlichen Konzerns Agaplesion zusammengelegt. Von da an darf das Personal keine Abtreibungen mit sozialer Indikation mehr durchführen, ungewollt Schwangere müssen künftig in Nachbarlandkreise fahren.

Die Entscheidung für die Klinikzusammenlegung und für Agaplesion als Träger ist schon vor Monaten gefallen, doch welche Konsequenz das haben würde, war angeblich niemandem klar. Erst durch einen Artikel in der Schaumburger Zeitung wurde es publik - und löste sofort große Empörung aus. Zum Beispiel bei Ursula Helmhold, ehemalige Landkreisabgeordnete für Schaumburg. "Die private Ethik der Agaplesion-Betreiber darf nicht über die medizinische Behandlung in einer Kreisklinik bestimmen", sagt die Grünen-Politikerin. Auch dass der Konzern in Infomaterial und auf seiner Website die Konsequenzen seines christlichen Leitbildes nirgends deutlich macht, kritisiert sie. "Das ist alles völlig intransparent."

Dass eine Kreisklinik, die eigentlich dafür zuständig ist, die medizinische Grund- und Regelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, einen bestimmten Eingriff überhaupt nicht mehr anbietet, scheint manchen schwer vorstellbar. Es ist aber zulässig. Abtreibungen sind in Deutschland nach Paragraf 218 rechtswidrig. Nur unter bestimmten Umständen - Pflichtberatung, 72 Stunden Bedenkzeit, im Normalfall nur innerhalb der ersten 14 Schwangerschaftswochen - verzichtet der Staat auf eine Strafverfolgung. Ein "Recht auf Abtreibung" aber gibt es in Deutschland nicht und kein Arzt muss den Eingriff anbieten. Der Klinikkonzern Agaplesion darf daher all seinen Mitarbeitern verbieten, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.

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In Ländern wie Deutschland, in denen die Menschen gut aufgeklärt sind und freien Zugang zu Verhütungsmitteln haben, sinkt die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche beständig. 99 200 wurden 2015 gemeldet, 2011 waren es noch 135 000. Dieser Trend lässt sich in den meisten Industriestaaten beobachten. Die medizinische Fachzeitschrift The Lancet schreibt, dass dort im Jahr 2014 von 1000 Frauen 27 eine Abtreibung vornehmen ließen. In Entwicklungsländern liegt demnach die Abtreibungsquote deutlich höher, was die Zeitschrift mit dem schlechten Zugang zu zuverlässigen Verhütungsmitteln wie der Pille oder der Spirale erklärt.

"Zusätzliche Tabuisierung von höchster Stelle"

Im Kreis Schaumburg lassen der Regionalzeitung zufolge etwa hundert Frauen pro Jahr einen Schwangerschaftsabbruch im Landkreis durchführen, nachdem sie bei der Schwangerenkonfliktberatung von der Arbeiterwohlfahrt waren. AWO-Geschäftsführerin Heidemarie Hanauske sagte dem Blatt: "Meiner Erfahrung nach macht sich keine Frau diese äußerst zwiespältige Erfahrung leicht." Umso problematischer sei es, dass nun eine "zusätzliche Tabuisierung von höchster Stelle" den Schwangeren das Leben schwer mache.

Die angrenzenden Landkreise bieten zwar weiterhin Abbrüche an und die Fahrtzeiten hält sogar Kritikerin Helmhold für zumutbar. Doch darum gehe es nicht. Sie kritisiert, dass durch die Entscheidung für einen christlichen Träger den Frauen vermittelt wird, dass eine Abtreibung eine unerwünschte Entscheidung sei und deswegen so schwer wie möglich gemacht werde.

Der evangelikal ausgerichtete Betreiber findet das nicht problematisch. Tino Drenger, Leiter der Unternehmenskommunikation von Agaplesion schreibt dazu in einer E-Mail: "Wir sorgen uns um die Mutter ebenso wie um das ungeborene Kind. Wir werden hilfesuchende Frauen niemals 'wegschicken', ohne wenigstens kompetente Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner zu nennen, zum Beispiel Adressen von Praxen und Kliniken, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen und auf Einrichtungen in der Nähe zu verweisen, die professionelle psychische Unterstützung und praktische Hilfen anbieten." Zudem würden Ärzte des Klinikums die Frauen in ihrer Not- und Krisensituation anhören und beraten.

Dieses "Beratungsangebot" findet Helmhold unverschämt. "Die Frau kommt ja schon von einem Gespräch und hat sich bereits für einen Abbruch entschieden", sagt sie. Das Agaplesion weiter beraten will, wertet sie als: "Dann reden wir ihr noch mal so richtig ins Gewissen."

Dass die Möglichkeit, eine Schwangerschaft zu beenden, in Deutschland zunehmend unter Druck gerät, zeigt aber nicht nur das Beispiel aus Niedersachsen. Am sogenannten "Marsch für das Leben", einer Demonstration von Abtreibungsgegnern in Berlin, nehmen jedes Jahr mehr Menschen teil, 2016 waren es nach Polizeiangaben 6000.

Christian Fiala von der Organisation Fiapac beobachtet eine generelle Verhärtung in der politischen Diskussion über Frauenrechte, auch durch das Erstarken neurechter Bewegungen wie Pegida. Fiapac ist eine internationale Vereinigung von Fachkräften, die mit Schwangerschaftsabbrüchen und Verhütung zu tun haben und die sich klar für einen freien Zugang dazu einsetzen. "Deutschland hat im internationalen Vergleich eine besonders bevormundende Regelung", sagt der österreichische Gynäkologe Fiala. "Frauen, die einen Abbruch wünschen, müssen eine Zwangsberatung über sich ergehen lassen. Ärzte, die den Eingriff anbieten, brauchen eine Sondergenehmigung und der Vertriebsweg für die Abtreibungspille ist geradezu schikanös."

Die Kirchen sehen das naturgemäß anders. "Ich halte das rechtlich und ethisch für richtig", sagte Landesbischof Karl-Hinrich Manzke der Schaumburger Zeitung über die Haltung des Konzerns Agaplesion. Superintendent Andreas Kühne-Glaser vom Kirchenkreis Grafschaft Schaumburg sagt dem Blatt: "Mein Problem ist vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der eine große Mehrheit annimmt, dass es so was wie ein Recht auf Abtreibung gibt und die Beratungsstelle sei nur noch eine Formalität."

Lokalpolitiker aller Parteien gaben sich überrascht, nachdem die Konsequenzen von Agaplesions Trägerschaft öffentlich wurden - obwohl die christliche Ausrichtung des Konzerns genauso wenig ein Geheimnis ist wie dessen Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen. Doch Kreissprecher Klaus Heimann sagt, dass das Thema bei der politischen Entscheidung über die Kreisklinik nie eine Rolle gespielt habe. "Das Ziel für den Landkreis war immer, ein besseres Leistungsangebot für alle Bürger zu schaffen", sagt er. Daher habe der Landkreis den Bau des neuen Krankenhauses auch mit 95 Millionen Euro unterstützt.

Was in Schaumburg passiert ist, kann überall passieren

Dass öffentliche Gelder an Agaplesion geflossen sind, ärgert Kritiker wie Ursula Helmhold besonders. Sie hat eine Online-Petition gestartet, in der sie dazu aufruft, auch bei anderen Indikationen die Krankenhäuser der Nachbarlandkreise aufzusuchen: "Keine Abtreibung - dann auch keine Hüfte und auch sonst nichts!"

Dass die drei kleinen Kliniken im Landkreis Schaumburg zu einer größeren zusammengelegt werden, hat auch mit den veränderten Anforderungen an Krankenhäuser zu tun. Laut Ariane Packbier, Pressesprecherin der katholischen Schwangerenkonfliktberatung Donum Vitae, müssen auf gynäkologischen Stationen inzwischen mindestens 500 Kinder zur Welt kommen, damit die Klinik weiterhin Geburtshilfe anbieten darf. Auch laufen kleine Stationen selten rentabel. Kleinere Häuser schließen daher ihre Kreißsäle, Geburtshäuser und Hausgeburtshebammen sind deutschlandweit Mangelware, immer mehr Kliniken werden zusammengelegt. Was in Schaumburg passiert ist, kann daher überall passieren - wenn die Kreispolitiker nicht aufpassen.

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