Ratgeberliteratur:Lass Dir raten!

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Illustration: Jessy Asmus (Foto: N/A)

Es gibt für jedes Lebensproblem ein passendes Buch. Ein Besuch in der Selbsthilfe-Abteilung im Buchladen zeigt: sogar das Falten von Unterhosen macht glücklich.

Von Theresa Parstorfer

Es soll Menschen geben, die regelmäßig ratlos vor dem Kleiderschrank stehen. Weil sie grübeln, wie sie ihre Unterhosen so falten können, damit sie möglichst adrett, gleichzeitig aber möglichst platzsparend in die Schublade passen. Unterhosen falten? Wer glaubt, Unterwäsche gehört nicht gefaltet, sondern in eine Schublade gestopft oder bei Bedarf von der Wäscheleinegezupft, sollte weiterlesen. Denn: Das Falten von Slips macht glücklich. Behauptet zumindest ein Buch über "Magic Cleaning", das in der Ratgeberabteilung eines Buchladens zu finden ist. Nicht zu übersehen ist diese Abteilung. Rolltreppe hoch, geradeaus, da warten sie, die Anleitungen zum besten Ich.

Freundschaften zu knüpfen, lernt ein Kind am ersten Tag im Kindergarten

Die angrenzenden Regale sind noch zu erahnen. Sprachen links, Gesellschaft rechts. Ungefähr halb so breit wie die Bretter, auf denen sich das Spektrum der Selbstoptimierung präsentiert. "Früher war die Ratgeberabteilung kleiner", sagt eine Verkäuferin. Das war 2004. Damals wurden in Deutschland um die 6300 Ratgeber veröffentlicht. Etwas ungenau ist diese Zahl, denn die Angabe der Warengruppe "Ratgeber" war 2004 noch keine Pflicht. Heute ist sie das, 2016 erschienen 13 168 neue Titel.

Einer davon ist "Dieser Schmerz ist nicht meiner. Wie wir uns mit dem seelischen Erbe unserer Familie aussöhnen". Erste Reaktion vor dem Buchrücken mag ein erleichterter Seufzer sein. Hach, andere Leute haben auch Probleme. Mit sich selbst, ihren Eltern, ihren Kindern, ihrem Gewicht, ihrem Rücken, ihrer Schilddrüse - nicht zuletzt mit der Unordnung bei den Unterhosen. Die frohe Botschaft: Chaos dieser Art, aber auch alle anderen Probleme, lassen sich leicht beheben. Leidenschaftlich noch dazu, wie das magische Aufräumbuch verspricht. Auf 316 Seiten erklären Zeichnungen, wie etwa der Schritt der Unterhose nach oben geklappt, die Seiten darüber gefaltet und von unten nach oben gerollt werden. Was entsteht, erinnert an eine "Frühlingsrolle". Zusammen mit weiteren Slip-Rollen sieht das Ganze aus wie in einer Schaufensterauslage. Irgendwo vor dem nächsten Regal auf Höhe eines Low-Carb-High-Fat-Guide zum Idealgewicht, einer wissenschaftlichen Studie, die belegt, dass Brot dumm macht und dem 448 Seiten schlanken Schmöker "Intuitiv abnehmen", passiert es. Verwirrung. Gibt es noch einen Lebensbereich, in dem die aufgeklärte Gesellschaft mündiger Individualisten weiß, was sie tut? "Die Kunst, beliebt zu sein: Alles, was Sie brauchen, um Freunde zu gewinnen", verspricht ein aktueller Ratgeber.

Wie war das nur 2004? Ohne all die Probleme, von denen man gar nicht wusste, dass es sie gibt? Gruselig muss das gewesen sein. Freundschaften mussten einfach so geknüpft werden. Ohne Anleitung. Und man stelle sich so manches Unterhosenchaos vor. Wobei - Freundschaften zu knüpfen lernt ein dreijähriges Kind spätestens am ersten Tag im Kindergarten. Vielleicht lernt es das nicht einmal, vielleicht tut es das einfach. Beim Buddeln im Sandkasten, beim Schaukeln auf dem Spielplatz. Erklären muss ihm das kein auf Beziehungen spezialisierter Psychologe in einem Ratgeber für zwölf Euro. Unterhosen falten ging anscheinend auch irgendwie. Oder besser: sie nicht falten. Denn dann bleibt mehr Zeit zur Selbstoptimierung.

© SZ vom 07.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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