Kolumne Vor Gericht:Die Puppen

Lesezeit: 2 min

Auch eine Puppe (hier ein Symbolbild) wurde während des Prozesses gegen einen Mörder gezeigt. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Im Prozess gegen einen Mörder waren alle Gegenstände im Gerichtssaal, die dieser während seiner Tat verwendet hatte. Wozu diese bizarre Ausstellung?

Von Verena Mayer

Gerichtsprozesse werden gerne mit Theateraufführungen verglichen. Weil die Beteiligten feste Rollen haben und die Abläufe oft theatralisch wirken. Ich habe den Vergleich nie ganz verstanden. Auf der Bühne geht es darum, Dinge darzustellen. Ein Prozess dient dazu, Dingen auf den Grund zu gehen. Einmal hatte ich vor Gericht allerdings das Gefühl, einem bizarren Spektakel zuzusehen. Es war der Prozess gegen einen 32-jährigen Mann, der 2015 zwei kleine Jungen ermordet hatte.

Das Verfahren war furchtbar, alles daran. Die Verbrechen, um die es ging. Der Mann hatte die Kinder am helllichten Tag entführt. Das eine, während es vor dem Haus der Mutter im Garten spielte, das andere im Chaos vor einem Berliner Amt, als seine Familie auf Papiere wartete. Dann war da das Umfeld des Täters. Eltern, Verwandte und Freunde, die früh mitbekommen hatten, dass der Mann auffällig war und die Nähe von kleinen Kindern suchte. Aber keiner tat oder sagte etwas. Und da waren schließlich die Mütter der Kinder. Zwei junge Frauen, die sich vor Gericht kaum auf den Beinen halten konnten. Denen man schon von Weitem ansah, wie gebrochen sie waren.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alle Meldungen zur aktuellen Coronavirus-Lage in Deutschland und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Kostenlos anmelden.

Doch damit nicht genug. Über mehrere Verhandlungstage wurden im Gerichtssaal Asservate ausgestellt - Gegenstände, die der Mann benutzt hatte, um die Kinder von ihren Familien wegzulocken, um sie zu betäuben und ihre Leichen zu verstecken. Man sah Puppen, Süßigkeiten und Medikamentenschachteln, Chloroformflaschen und Kabelbinder. Kinderschuhe standen da. Die gelbe, mit Katzenstreu gefüllte Babybadewanne, in die der Mann einen der toten Jungen gelegt hatte. Und eines Tages stand da noch eine Schaufensterpuppe in Kindergröße. Sie trug die Kleidung eines der beiden Jungen. Um den Hals hatte sie die medizinische Nackenstütze, mit der der Täter sein Opfer wehrlos gemacht hatte, um den Mund war ein Knebel geschnürt.

Bis heute frage mich, was der Gedanke dahinter war. Sollten die Gegenstände die Grausamkeit der Tat greifbar machen? Waren sie eine Art Drohkulisse, hoffte der Staatsanwalt, der die Asservate auf diese Weise hatte anordnen lassen, den Angeklagten zum Reden zu bringen? Der hielt sich vor Gericht nur die Hände vors Gesicht. Sagen wollte er nichts, auch nicht, als der Vorsitzende Richter ihn fast schon flehentlich fragte, ob er "etwas Aufklärendes beitragen" wolle. Bis heute weiß eine Mutter nicht, wie der Mann auf ihren Sohn gekommen war und was der Junge vor seinem Tod erleiden musste.

Sollte die Absicht gewesen sein, den Angeklagten mit seinen Taten zu konfrontieren, war sie jedenfalls vergeblich. Kurz bevor er zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, zog der Mann einen Zettel hervor und las ab, dass es ihm leidtue, mehr nicht. Und so saßen die Prozessbeteiligten Tag für Tag im Gerichtssaal und blickten auf die ausgestellten Gegenstände wie auf die Kulisse eines Horrorfilms. Ich habe noch immer Albträume davon.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWohnungseinbruch
:"Die Einbrecher blieben brav draußen und haben gewartet"

Erst ein Klopfen, dann hört Michael Lenz ein Ratschen, schon öffnet sich seine Wohnungstür. Als er die Einbrecher verfolgt, fällt die Tür ins Schloss - und der Erfurter bittet die Männer um einen ungewöhnlichen Gefallen.

Interview von Marcel Laskus

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: