Kolumne: Vor Gericht:Vom Galgen bis zum Scheiterhaufen

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Darstellungen von Folter waren in mittelalterlichen Gesetzbüchern üblich. Hier ein "Fasspranger", der in einer Ausstellung über mittelalterliches Folter- und Strafwesen im Ulmer Zeughaus zu sehen war. (Foto: Stefan Puchner/DPA)

Wer bei Strafgesetzbüchern an eng bedruckte Seiten voller Paragrafen denkt, der hatte noch nie ein mittelalterliches Exemplar in der Hand. Die erinnern mit ihren Darstellungen an Comics - allerdings sehr blutrünstige.

Von Ronen Steinke

Unser heutiges Strafgesetzbuch hat unbestreitbar viele Vorzüge gegenüber früheren Jahrhunderten. Der Verzicht auf Peitschenhiebe oder andere Körperstrafen zum Beispiel, oder auch der Paragraf 1: "Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde." Einen Nachteil hat es allerdings. Es enthält keine Bilder.

Das war früher mal anders. Mittelalterliche Gesetzbücher sahen teils aus wie Comics. Mit am opulentesten war eines, das mit Holzschnitten von allerlei grausamen Folterszenen illustriert war. Im Deutschland vor der industriellen Revolution war dies die wichtigste Quelle für Gesetze über Schuld und Strafe: die sogenannte "Peinliche Halsgerichtsordnung". Das Wort "peinlich" kam vom lateinischen poena, Strafe. Und Hals, das hieß, dass es um solche schweren Taten ging, für die man Menschen einen Kopf kürzer machen konnte. "Hals abschneiden", gewissermaßen.

Dieses ursprünglich aus Bamberg stammende Gesetzbuch - zum ersten Mal ausgearbeitet im Jahr 1507 im Schatten des dortigen Kaiserdoms von Johann Freiherr zu Schwarzenberg im Auftrag seines Bischofs Georg III. Schenk von Limburg und später dann unter Kaiser Karl V. reichsweit übernommen - zeigte schon auf seinem Titelbild den Horror. Zu sehen waren: ein Galgen. Ein Scheiterhaufen. Eine Streckbank. Und, besonders grausam: ein Rad.

Schon 1507 gab es auch eine kolorierte Ausgabe, was einen bemerkenswerten Unterschied macht: Denn die darauf abgebildeten eng anliegenden Kleider der Folterknechte wirken interessanterweise recht fröhlich. Sie sind blau-gelb oder rosa.

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Dort, wo das Strafrecht seine größte praktische Bedeutung hatte, nämlich bei den Diebstahlsparagrafen 158 bis 175, hing die Härte der Strafen ganz offiziell davon ab, ob der Täter "ehrbar" war. Gemeint war: ob er einen hohen gesellschaftlichen Status besaß. Das bedeutete: Je bitterer die Armut, desto härter die Strafe. Die Klassenkämpfe in Europa im 14. und 15. hatten zur Schaffung eines Rechts geführt, das besonders gegen sozial Niedrigstehende scharf angewandt wurde. So auch im Sexualstrafrecht: Wer sich an einer noch nicht erwachsenen Jungfrau ("unzeytige iunckfrawen") verging, der konnte als "Ehrbarer" mit Arbeit in einer Erzgrube davonkommen. Als nicht "Ehrbarer" wurde er enthauptet.

Am liebevollsten gestaltet aber waren in der Peinlichen Halsgerichtsordnung die Comics zum Thema Korruption. Da gab es sogar so etwas wie Sprechblasen. Man sieht in der Zeichnung einen Richter, der offenbar bestechlich ist, er sagt zum Angeklagten: "Tasch was wilt du geben mir / Mein urteyl wird gnedig dir". Und daneben steht ein Teufel, spitze Zähne und Krallen, und lacht sich ins Fäustchen, dass er diesen Richter gleich als Nächsten auf das Rad spannen darf.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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