Messner versus Röhle:Leithammel und Schafsköpfe

Lesezeit: 8 min

Ein - im Wortsinn - heftiges Streitgespräch zwischen Heinz Röhle, dem Präsidenten des Deutschen Alpenvereins, und Reinhold Messner. Zwei Bergfexen also, die sich noch nie besonders liebten.

Gernot Sittner, Tanja Rest

Besonders herzlich war das Verhältnis zwischen dem Deutschen Alpenverein (DAV) und Reinhold Messner nie. Dazu unterscheiden sich der weltgrößte Bergsteigerverband und der international bekannteste Alpinist zu sehr in ihrem Selbstverständnis, in ihrer Berg-Philosophie. Die gegenseitigen Vorbehalte steigerten sich zum offenen Konflikt im Jahr 2003: Im Alpinen Museum des DAV auf der Münchner Praterinsel stellten Hans Saler und Max von Kienlin zwei Bücher vor, in denen sie das tragische Geschehen bei der Nanga-Parbat-Expedition 1970, bei der Reinhold Messners Bruder Günther den Tod fand, aus ihrer Sicht schilderten. Sie wiesen ihrem Expeditionsgefährten Messner eine Mitverantwortung für den Tod seines Bruders zu. Statt einer Entspannung, die zwischenzeitlich möglich schien, eskalierte jetzt der Konflikt zwischen dem Bergsteiger und dem Alpenverein: Auf neue Vorwürfe Messners reagierte das DAV-Präsidium mit der Empfehlung an seine 354 Sektionen, Messner nicht mehr zu Vorträgen einzuladen. Die SZ lud Reinhold Messner und den DAV-Präsidenten Heinz Röhle zum Gespräch.

Mögen sich nicht, diskutieren aber leidenschaftlich: Reinhold Messner und Heinz Röhle vom Deutschen Alpenverein (Foto: Foto: Catherina Hess)

SZ: "Man muss die Leithammel in die richtige Richtung lenken, dann läuft die Herde hinterher." Der Satz steht im Alpenvereins-Jahrbuch 2009, in einem Aufsatz über Umweltbildung im DAV und die Vorbildwirkung von Spitzenalpinisten. Reinhold Messner hat daraufhin dem Alpenverein in der Zeitschrift Bergsteiger vorgehalten, er oute sich "als das, was er immer schon sein wollte: die Avantgarde Vorgestriger". Sind Sie, Herr Röhle, besonders glücklich über die Leithammel-Formulierung?

Röhle: Die Autoren hätte ihre Worte sicher diplomatischer wählen können. Aber was im Artikel eigentlich zum Ausdruck kommt, ist die Tatsache, dass wir seit Jahren sehr gut mit einigen Spitzenalpinisten zusammenarbeiten. Leute wie Hans Kammerlander haben Vorbildwirkung. Der Begriff Leithammel ist in diesem Kontext nicht abwertend gemeint.

SZ Herr Messner, in Ihrem Artikel ist auch von "jungen Erben eines totalitären Vereinsverständnisses" die Rede. Wollen Sie damit sagen, dass es im DAV immer noch braunes Gedankengut gibt?

Messner: Nein, das wollte ich nicht. Aber der Satz von den "Leithammeln" ist eine Beleidigung für Hans Kammerlander und für 800.000 Vereinsmitglieder, die als Schafe bezeichnet werden. Das ist eine Sprache aus den dreißiger Jahren. Ich habe nur gefragt: Was bedeutet dieser Satz? Im Grunde habe ich Leute wie Hans Kammerlander verteidigen wollen; das sind keine Leithammel, sondern selbstbestimmte Menschen. Ich hoffe, dass der Alpenverein Mitglieder hat, die selber denken können und nicht als Herde hinter anderen herlaufen.

SZ: Nun sind Sie, was die Wortwahl betrifft, auch nicht gerade zimperlich. In Ihrer Reaktion auf den Jahrbuch-Artikel ist die Rede von der "Avantgarde Vorgestriger", von "selbsternannten Schafsköpfen" und "Herdenmenschen".

Messner: Nur die "Avantgarde Vorgestriger" benutzt eine solche Sprache. Nein, nicht die "Vereinsleichen" haben den Leithammel-Satz geschrieben, sondern junge Leute, und die heutige Vereinsführung hat ihn gedeckt! Wenn man mir einen solchen Satz hinlegt, dann darf ich hoffentlich - wenn ich den Alpenverein ernst nehme - darüber nachdenken. Nächster Punkt!

SZ: Die "selbsternannten Schafsköpfe".

Messner: All jene, die 2003 dabei waren, als im Alpenvereinshaus die Demontage des Messner versucht wurde, sind selbsternannte Schafsköpfe. Denn dort wurde der Satz geprägt: "Wir alle sind Schafsköpfe" - vor 200 Leuten, fast alles Alpenvereinler -, "wenn der Messner die Leiche seines Bruders an der Westseite des Nanga Parbat findet." Damals wurde behauptet, die Leiche liege an der Südseite. ( Knochen eines Bergsteigers, bei dem es sich laut DNS-Analyse um Günther Messner handeln muss, wurden später auf der Westseite gefunden; Anm. d. Red.) Nachdem die Beweise nun vorliegen, darf ich sagen: selbsternannte Schafsköpfe. Ich habe mich im Vorfeld nie in dieser Weise geäußert. Aber seit 2003 ist klar, dass dieser Verein in einer Tradition der Ausgrenzung steht, die ohne Vergleich ist in Mitteleuropa.

Auf der nächsten Seite: Messner, der ungebetene Gast.

SZ: Herr Röhle, geben Sie Herrn Messner nicht indirekt recht, wenn Sie den Sektionen nun empfehlen, ihn künftig nicht mehr zu Vorträgen einzuladen?

Röhle: Herr Messner, der Alpenverein will Sie nicht demontieren! Diese Behauptung wird durch permanente Wiederholung nicht richtig. Hans Saler und Max von Kienlin haben ihr Buch auf der Praterinsel vorstellen dürfen, weil das Alpine Museum in München ein Podium ist, auf dem über bergsteigerrelevante Themen diskutiert wird.

Messner: Da darf also jeder hingehen und Rufmord betreiben?

Röhle Nein. Wir haben ganz klar gesagt: Wir schließen uns keiner Position an. Wir haben Ihnen sogar die Möglichkeit eingeräumt, 2005 im Jahrbuch noch einmal Ihre Sicht der Dinge darzustellen. Und Sie wissen auch, Herr Messner, dass im darauffolgenden Jahrbuch Kienlin wieder einen Beitrag schreiben wollte, als Reaktion auf Ihren Artikel. Ich habe dafür gesorgt, dass er nicht erscheint, weil der Streit meiner Meinung nach endlich beigelegt werden muss.

Messner: Ich habe 2003, als diese Kampagne losging, den Alpenverein - nicht Sie, sondern Ihren Vorgänger - gewarnt und vorausgesagt: Es wird eine Rufmordkampagne, der DAV wird zum Komplizen, wenn er das macht, ohne dass ich dabei bin. Ich war in Franz-Joseph-Land im Nordpolarmeer. Die ganze Geschichte wurde ja so gemacht, dass ich nicht dabei sein konnte! Warum soll ich das schlucken? Es ist juristisch nachprüfbar, dass diese Rufmordkampagne allein private Ursachen hat. Der Hintergrund ist also nicht der Nanga Parbat. War der Alpenverein nicht glücklich, diese Ausgrenzungsgeschichte mitzutragen?

Röhle: Das ist eine Unterstellung!

Messner: Wenn Sie kein schlechtes Gewissen haben - nicht für sich, sondern für den Verein -, dann haben Sie nichts verstanden.

Röhle: Wenn dem so wäre, hätte ich Sie 2006 gar nicht in Juval besucht ( Messners Schloss in Südtirol; Anm. d. Red.). Ich habe Ihnen eine Flasche Wein mitgebracht, Sie haben mir eine Flasche des Ihrigen überreicht, wir hatten eine konstruktive dreistündige Unterhaltung. Wir hatten vereinbart, gemeinsam einen kleinen Text zu schreiben ...

Messner: Richtig.

Röhle: ... in dem beide Standpunkte dargestellt werden. Das Ganze war auf einer relativ guten Schiene. Dann kam der Alpintag Köln. Und dort haben Sie unseren Vizepräsidenten Ludwig Wucherpfennig vor versammelter Mannschaft angegangen und auch dem Alpenverein wieder Gesinnungsnähe zu braunem Gedankengut vorgeworfen. Kein Wunder, dass ich danach im Präsidium für eine Goodwill-Aktion zwischen Ihnen und uns keine Mehrheit mehr finde.

SZ: Herr Messner, was muss denn noch passieren?

Messner: Ich habe Herrn Röhle in Juval gesagt: Es reicht ein Satz. War es nicht möglich, diesen einen Satz zu formulieren? Wir distanzieren uns von der 2003 auf der Praterinsel aufgestellten Behauptung, Messner hätte seinen Bruder im Stich gelassen.

SZ: Herr Röhle, war es eine kluge Entscheidung, Ihren Sektionen zu empfehlen: Ladet den Messner nicht mehr ein?

Röhle: Wir können unseren 354 Sektionen nichts vorschreiben, weil die rechtlich selbständig sind. Aber Sie können sich vorstellen, dass wir nach dem Artikel im Bergsteiger gespürt haben, dass es in den Sektionen und bei uns im Verein gärt. Wir fanden, es ist unsinnig, Ihnen, Herr Messner, im Rahmen des Alpenvereins weiterhin ein Podium zu geben. Sie können auch künftig zu unseren Pressekonferenzen kommen, Sie können unsere Ausstellungen besuchen, Sie können auf unsere Hütten gehen ...

Messner: Ich brauche Ihre Hütten nicht, ich werde künftig immer ein Zelt dabeihaben. ( lacht)

Röhle: ... aber wir laden Sie nicht mehr als Vortragsredner ein. Das ist eine ganz normale Reaktion. Ich lade mir auch keinen Gast nach Hause ein, von dem ich weiß, dass er mich beschimpft.

SZ: Herr Messner, Sie haben mit Ihren Büchern, Ihren Museen, Ihren Vorträgen selbst Tausende Menschen in die Berge gelockt. Jetzt könnte man ja sagen, dass Sie auch eine Art Leithammel sind - die Herde folgt.

Messner: Es ist eine Beleidigung, als Leithammel bezeichnet zu werden! Ich habe nie die Vorbildwirkung in die Mitte meines Tuns gestellt. Ich habe mich auseinandergesetzt mit der Bergsteigerei, auch mit dem Tourismus. Übrigens bin ich der Letzte, der den Tourismus in den Alpen abschaffen will. Ich bin glücklich, dass viele Leute - vielleicht auch einige wegen mir - in die Berge gehen. Wir brauchen sie dort nicht nur, um wirtschaftlich zu überleben. Die Leute sollen sich in den Bergen auch erholen können. Wir haben da sicher ähnliche Interessen, der Deutsche Alpenverein und ich. Die Umweltsünden, die der Bergsteiger begeht, begeht er, wenn er zum Berg reist. Ich glaube, dass ich mehr Umweltdebatten angeregt habe als viele andere, trotzdem will ich dafür kein Leithammel sein.

Auf der nächsten Seite: Das größte Problem der Alpen.

SZ: Wo sehen Sie derzeit das größte Problem in den Alpen?

Messner: Bei der Entvölkerung. Die Alpen haben das Problem, dass sie einerseits verstädtern, andererseits mehren sich die entvölkerten Zonen. Vor allem in den Südalpen. Die Berge hoch oben sind nicht bedroht. Ich sage, dass man oben keine Infrastrukturen mehr erstellen soll. Ich bin skeptisch gegenüber einem Alpinismus heute, den ich "Pistenalpinismus" nenne. Der Deutsche Alpenverein ist der Förderer dieses Pistenalpinismus.

Röhle: Neben dem anhaltenden Erschließungsdruck und dem Klimawandel ist ein zentrales Problem tatsächlich: Wie schaffe ich es, die alpine Bevölkerung zu halten? Für mich ist aber auch ganz wesentlich, dass wir in den Alpen neben den unerschlossenen Gefahrenräumen Regionen mit Infrastrukturen haben, die das Bergsteigen risikoärmer machen. Wenn Sie von Pistenalpinismus sprechen, betrifft dies die Frage: Wie geht man vor, wenn sich in einem dichtbesiedelten Gebiet wie im bayrischen Alpenraum eine Menge von Nutzungen überlagern - Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Almwirtschaft, Skitourengehen. Dass sich der Alpenverein auch um die Skipisten kümmert, hängt damit zusammen, dass immer mehr Skitourengeher Pisten als Trainingsgelände nutzen. Diesen Trend haben wir weder eingeleitet noch gewollt. Die Bergsteiger haben ihn selbständig kreiert.

Messner: Ich habe gesagt, dass der Deutsche Alpenverein der Totengräber des Alpinismus ist - weil er die Gefahrenräume jenseits der bewirtschafteten Alpenflächen banalisiert oder dafür einsteht, dass diese Räume aufgeschlüsselt und mit einem Regelwerk versehen werden. In hundert Jahren werden wir keine Gefahrenräume mehr haben im alpinen Raum, weil auch die Touristiker ein Interesse haben, Gäste in die Hotelbetten zu bringen. Etwa mit einem Klettersteig durch die Eigernordwand.

Röhle: Ich gebe Ihnen nicht recht. Selbst wenn wir in Teilen des Gefahrenraumes keine Infrastruktur errichtet hätten, müssten wir heute trotzdem Regelungen vornehmen. Warum? Es sind zu viele Menschen, die ins Gebirge gehen. Das gilt auf jeden Fall für den gesamten bayrischen Alpenraum. Wenn es beispielsweise im Nationalpark Berchtesgaden keine Infrastruktur gäbe, würden Sie heute an vielen interessanten Plätzen Hunderte wild zeltende Leuten finden, die versuchen, Wände zu besteigen. Dann hätten wir ein Umweltproblem.

Messner: Die massive Infrastruktur hat dazu geführt, dass heute zu viele Leute völlig ungleichmäßig auf die gesamten Alpen verteilt sind. Sie sind zu 99 Prozent auf eingebohrte Routen oder Klettersteige konzentriert. Es ist eine Konsumhaltung entstanden: das Gebirge als nicht ernstzunehmendes Spielzeug.

SZ: Warum brauchen wir Ihrer Meinung nach Gefahren im Gebirge?

Messner: Es geht nicht darum, dass jemand eine Wand durchsteigt. Es geht darum, dass ich erfahre, wie klein und begrenzt ich eigentlich bin. Bergsteigen ist nicht heldenhaft, es führt uns zur Erkenntnis, dass wir Menschen Mängelwesen sind. Alle meine Bücher handeln davon, und der Erfolg rührt wohl auch daher. Das sind die Hintergründe, warum sich eine kleine Gruppe von Alpenvereinlern mit mir reibt. Und 2003 hatten sie ihre Chance. Sie konnten die Demontage unwidersprochen auf die Spitze treiben.

Röhle: Ich kann das allmählich nicht mehr hören! Weder ich noch sonst jemand in unserem Führungsgremium unterstellt Ihnen, dass Sie Ihren Bruder auf dem Gewissen haben!

Messner: Auf den Rufmord habe ich wie ein wildes Tier reagiert. Nun lebe ich für immer mit der Erkenntnis, dass nicht nur die Rufmörder und ihre Komplizen, sondern auch all jene, die sich haben anlügen lassen, ihre Vorurteile nie mehr aufgeben werden.

Röhle: Herr Messner, Sie waren für meine Generation ein Idol. Sie sind es bis heute noch für viele junge Leute, weil Sie dem Bergsteigen neue Horizonte eröffnet haben. Wir wären doch bescheuert, wenn wir Sie demontieren wollten. Ich finde es todtraurig, dass wir hier streiten. Warum muss der bekannteste Bergsteiger der Welt mit den Alpenvereinen im Clinch liegen? Warum muss das so enden?

Messner: Das hat so geendet, weil die hochgelobte Kameradschaft benutzt wurde, um dem Messner zu sagen: Er ist unkameradschaftlich.

SZ: Herr Messner, Sie haben unter Bergsteigern viele wichtige Debatten angestoßen. Man hört Ihnen zu, Ihre Stimme hat Gewicht. Sie verspielen doch jetzt diese Chance, wenn Sie vor allem ein Thema kennen: Messner über Messner.

Messner: Sie haben in den letzten Jahren offensichtlich meine Bücher nicht gelesen. Wer hat die Klettergeschichte aufgearbeitet? Wer hat denn die Alpen-Umweltfragen auf den Punkt gebracht? Das war alles ich!

SZ: Herr Röhle, kann der Alpenverein auf das Zugpferd Messner verzichten?

Röhle: Ach, wir haben doch seit Jahren schon nichts mehr zusammen gemacht. Wir haben einen unglaublichen Zuwachs, weit über 100.000 Mitglieder sind in den letzten fünf Jahren hinzugekommen. Der Alpenverein ist akzeptiert in der Öffentlichkeit, und er hat sein rotweißkariertes Image schon lange abgelegt. Diesem Alpenverein geht es gut, auch ohne Herrn Messner.

© SZ vom 13.06.2009/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: