Vor dem Parkcafé steht ein Trabant 601, Günther und Hindrich sind damit zu ihrem Auftritt ins sächsische Bad Gottleuba gefahren. Der alte Osten parkt aber nicht nur vor der Tür, er verlängert sich in die Kleidung, in das Programm, sogar ins Essen. Günther trägt schwierig-farbene Dederon-Fasern am Körper, auf der Leinwand hinter ihm geht die Flagge der DDR in jene der BRD über. Das Publikum wiederum erwartet an diesem Abend nicht nur Satire auf Sächsisch, sondern auch ein "Ost-Menü", als Hauptgang hat der Veranstalter "gebratene Broilerkeule" angekündigt, mit Apfelrotkohl und Petersilienkartoffeln.
Günther und Hindrich sind Künstlernamen, und das ist dann vielleicht schon die erste Pointe. Kennengelernt haben sich Johannes Kürschner, 29, und Franz Müller, 30, im Studium in Mittweida. Sie tranken Bier zusammen und das dann bald auch vor der eigenen Kamera. Ihr Kurzfilm "Simply Clever" über zwei komplett wahnsinnige sächsische Werkstatt-Schrauber wurde ein viraler Hit - und Günther und Hindrich wurden in der Folge mit ihren auf Hochdeutsch und Englisch doppelt untertitelten Werken auch zu Festivals eingeladen.
30 Jahre nach dem Mauerfall gibt es modernen, durchaus selbstironischen Ost-Humor wie den von Günther und Hindrich. Und es stellt sich damit auch die Frage, wie weit die humoristische Einheit zwischen Ost und West gekommen und ob ihre Vollendung überhaupt erstrebenswert ist.
Bodo Müller, Journalist, Fotograf und Buchautor, ist in der DDR aufgewachsen und sammelte dort politische Witze, die er 2016 in dem Buch "Lachen gegen die Ohnmacht" veröffentlichte. Die Witze von damals sind für ihn ein Stück Zeitgeschichte. Doch "die Kultur für politische Witze endete mit dem Mauerfall", sagt er. "Ein politischer Witz in seiner Brisanz, in seiner Heimlichkeit und seiner Wirkung hat nur in einer Diktatur Hochkonjunktur." Heute brauche man den politischen Witz - auch als Ventil, über das man Dampf ablassen kann - nicht mehr. Für die jüngere, westdeutsche Generation sei es unterdessen schwierig geworden, die Witze aus DDR-Zeiten überhaupt noch zu verstehen.
Zwar versuchten, sagt Bodo Müller, "Politiker aus der rechten und linken Ecke das Gefälle zwischen Ost und West hochzuhalten". Er aber finde, Ost- und Westdeutsche seien sich auch in Fragen des Humors noch nie so wunderbar einig gewesen wie heute: "Ich glaube eigentlich, dass die ganz gut miteinander klarkommen."
Eva Ullmann sieht sogar eine lohnenswerte Aufgabe darin, das Abgrenzende und Abschätzige aus dem Humor zwischen Ost und West zu tilgen. Sie hat in Leipzig das Deutsche Institut für Humor gegründet, als "Humortrainerin" und Autorin wolle sie "positiven Humor" befördern. Für sie ist es wichtig, zu unterscheiden, ob man jemanden beschämt oder aus etwas Negativem etwas positiv Witziges macht.
Diesen positiven Ansatz vermisse sie in vielen Ossi-Wessi-Witzen. Ganz viele solcher Witze gingen auf Kosten anderer, sagt sie und gibt zwei Beispiele. "Warum können Ossis nicht vom Affen abstammen? Sie hätten es niemals vierzig Jahre ohne Bananen ausgehalten." Und in der Gegenperspektive: "Was ist der Unterschied zwischen Wessis und Russen? Die Russen sind wir wieder losgeworden."
Wenn man das Ziel verfolge, dass Menschen miteinander reden, sagt Ullmann, solle man sich gut überlegen, ob man noch Ossi-Wessi-Witze macht, schließlich würden diese Witze eine Unterscheidung bestärken. "Es ist kein Humor, der öffnet, mit dem ich ins Gespräch komme und über Demokratie streiten kann, bei dem man sich annähert. Stattdessen müssten wir eher liebevollere Witze übereinander machen."
Zudem, sagt Ullmann, seien die Witze zu DDR-Zeiten cleverer gewesen. Man durfte nicht alles sagen, musste auf verschiedenen Ebenen reden und hören. Dies sei mit der Freiheit, alles sagen zu dürfen, ein Stück weit in den Hintergrund getreten. Humor konnte flacher werden.
Ingo Appelt steht gerade mit seinem Programm "Der Staats-Trainer!" auf der Bühne, und als ein solcher will er auch verstanden werden, als jemand, der sich mit Provokationen und Lachen gegen die Radikalisierung und gegen die Ressentiments innerhalb der Gesellschaft stellt. Dabei, sagt Appelt, sei es ein großer Unterschied, ob er im Osten oder im Westen spiele. "Man merkt noch immer, dass die im Westen die Ossis grundsätzlich doof finden. Der Osten war immer der Depp."
Die Witze, die sich gegen Ostdeutsche richteten, seien vor allem herablassend, oft ginge es dabei um deren angebliche Undankbarkeit. "Man fährt nach Dresden, guckt sich die Stadt an, ist begeistert und dann sagen viele: Ist ja klar, woher die Kohle für alles kommt", sagt Appelt. Im Osten sei der Besser-Wessi noch immer angesagt. "Wenn ich den Wessi als Kolonialisten beschreibe, der sagt: 'Das gehört ja alles mir, das hab ja ohnehin ich alles bezahlt', dann trifft das bei den Ostdeutschen einen Nerv."
Der Humor sei rauer geworden, beobachtet Appelt, und er glaubt, den wesentlichen Grund dafür ausgemacht zu haben: "Wir kommunizieren eigentlich alle nur noch über das Internet, und das ist das Problem. Wir reden über eine Erregungskultur, die ausschließlich etwas mit einem Medium zu tun hat, das Geld damit verdient, die Leute so lange wie möglich in einem Aufregungsmodus zu halten. Je länger ich mich aufrege, je mehr ich böse Briefe schreibe und noch mehr Hasskommentare, umso länger bin ich im Internet, umso mehr verdienen Google und Facebook. Das heißt, es wird Geld mit Hass verdient."
Für Komiker, sagt Appelt, seien die Zeiten gut. Als Komiker könne man schließlich Ressentiments spiegeln, und davon gebe es derzeit viele. Appelt diagnostiziert eine "Befindlichkeitsfolklore", eine starke Betonung des Ichs und eine Festlegung auf das, was man sein wolle - in Abgrenzung zu anderen. In diesen Zeitgeist passt das Herausarbeiten von echten oder vermeintlichen Unterschieden, auch zwischen Ost und West, gut hinein. "Alle fühlen sich betrogen, beleidigt, zu kurz gekommen", sagt Appelt. "Viele Leute sind grundsätzlich schlecht drauf. Man hat das Gefühl, die Menschen mögen sich nicht wirklich." Man müsse die Leute dazu bringen, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Deswegen, sagt Appelt, "erzähle ich die schlimmsten Ossi-Witze auch immer im Osten".
Kulturelle Selbstbehauptung des Ostens
Genau dorthin noch einmal zurück, ins Parkcafé nach Bad Gottleuba. "Glück auf, ihr Randscheschn" strahlt es zu Beginn des Programms von Günther und Hindrich von der Leinwand, ein leicht codierter Gruß, den jeder mit geringen geografischen Kenntnissen und im Wissen um die Nähe Tschechiens noch entschlüsseln kann. Schwieriger wird es, wenn Günther dem sehr altersdurchmischten Publikum erzählt, seit er sich seine "Babbe gekooft" habe, sei er "n eschter Ostbürger" geworden. Oder wenn er behauptet, seine Ibanez-Gitarre, "e Westmodell", habe versagt und deswegen spiele er jetzt wieder auf einer Musima aus Markneukirchen. Und spätestens wenn in einem der Kurzfilme beim Blick in den Himmel festgehalten wird, es sei "e viehschsdes Niggiwedder heude", dann hinterfragt niemand mehr die Notwendigkeit der Untertitel.
Derlei Kunst ist 30 Jahre nach dem Mauerfall nicht nur ein lokalkoloriertes Angebot, es ist auch eine Art kulturelle Selbstbehauptung des Ostens. Johannes Kürschner sagt, er merke im Alltag, "dass wieder mehr Leute auch zu ihrem Dialekt stehen, auch junge". Und Franz Müller sagt, es gebe in der Sicht auf die Gesellschaft und auf ihre Ungerechtigkeiten eben noch immer Unterschiede zwischen Ost und West, warum sollte man diese dann nicht thematisieren? Zudem findet er in Sachsen und überhaupt im Osten immer wieder Eigentümliches, das ihn amüsiere, und das zu schützen sei. Manchmal sei das auch nur ein einziges Wort und sein Klang bei kräftiger Aussprache.
Zum Beispiel das sächsische Wort für Putzlumpen: Scheuerhader.