Legalisierung von Cannabis:Kiffen hat Konjunktur

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"Deutschlands härtester Jugendrichter" ist für die Legalisierung von Cannabis. Die Fronten dieser Debatte verlaufen ungewöhnlich.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Die Andeutungen und Halbsätze begleiten Andreas Müller seit mehr als zehn Jahren. Ob der nicht selber...? So, wie der...? Früher gab es noch laute Anschuldigungen: "Dieser Mensch ist eine Gefahr für unsere Kinder!" So sagte es ein CDU-Abgeordneter im Jahr 2002, als der Brandenburger Richter Müller zum ersten Mal öffentlich für die Legalisierung von Cannabis eintrat. Jetzt, 13 Jahre später, hat er ein Buch mit dem Titel "Kiffen und Kriminalität - Der Jugendrichter zieht Bilanz" veröffentlicht. Die Reaktionen sind weit weniger drastisch als 2002.

Das liegt daran, dass die Legalisierungsdebatte in den vergangenen Jahren in Deutschland gewaltig an Schwung gewonnen hat. Müller ist nicht der einzige Jurist, der sich für eine Legalisierung einsetzt. Mehr als hundert deutsche Strafrechtsprofessoren unterzeichneten kürzlich eine Petition, die die Entkriminalisierung von Cannabis forderte. Die Prohibition sei weltweit gescheitert, fördere kriminelle Strukturen und treibe Klein-Konsumenten in die Illegalität. Von denen gibt es nach Schätzung von Experten in Deutschland etwa 2,5 Millionen - schon einmal gekifft haben etwa 23 Prozent aller Deutschen.

Auch harte Hunde sind für die Legalisierung

Politisch sind es vor allem die Grünen, die sich seit Jahren für eine Legalisierung einsetzen. Vor einigen Jahren kam die Linkspartei dazu, kürzlich hat sich auch die FDP angeschlossen. Mediziner und Suchtforscher betonen, dass Tabak und Alkohol hierzulande das weit größere Problem seien.

Dennoch sind bisher je nach Umfrage nur 30 bis 40 Prozent der Deutschen für eine Legalisierung der Droge. Dieser Wert allerdings steigt seit einigen Jahren kontinuierlich - befeuert von der Debatte in den USA, wo einige Staaten Cannabis inzwischen in Fachgeschäften anbieten. Befeuert auch vom Versagen der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen die Drogen. Und nicht zuletzt von der Diskussion um die medizinische Nutzung von Cannabis, die weniger umstritten ist als der Verkauf in Fachgeschäften.

Müller ist unter den vielen Protagonisten der Debatte deswegen interessant, weil er zeigt, wie wenig vorhersehbar die Fronten inzwischen verlaufen. Bundesweit berühmt geworden ist der 54-Jährige nämlich gerade nicht mit seinem Kampf für die Legalisierung. Sondern mit seinem ersten Buch "Schluss mit der Sozialromantik", das ihm den Titel "Deutschlands härtester Jugendrichter" einbrachte und ihn zu einem beliebten Gast auf konservativen Podien machte. Und so einer sagt dann beim Thema Kiffen auf einmal: Macht mal langsam?

Für Müller ist das kein Widerspruch. "Ich hatte schon so viele Jugendliche, die eindeutig zu viel kiffen - trotz der Kriminalisierung." Ihnen könnte er besser helfen, wenn Cannabis nicht stigmatisiert würde, glaubt er. "Ich war halt besoffen": Dieser Satz käme jugendlichen Straftätern vor Gericht leicht über die Lippen. Aber wer gibt schon gegenüber einem Richter freiwillig zu, dass er ein Problem mit einer illegalen Droge hat?

Der eine Bruder Richter, der andere Junkie

Dass ihn dieses Thema mehr als andere aufreibt, hat aber auch mit seiner Kindheit zu tun. Müller wuchs im Emsland auf. Der Vater, ein traumatisierter Kriegsheimkehrer, "hat sich totgesoffen". So drastisch sagt Müller - ein schmaler Mann mit heller Haut und vom Zigarettenrauch rauer Stimme - das immer wieder in Talkshows und auf Podien. Gleichzeitig war sein Bruder Jonas "ein stadtbekannter Kiffer" - zu einer Zeit, als Cannabis noch die in Bürgerkreisen verpönte Droge der "Langhaarigen" war.

Jonas flog in diesen Jahren von der Schule, kam ins Heim und geriet schließlich an härtere Drogen. Mit 30 Jahren war er heroinabhängig, ein gebrochener Mann, der bis zu seinem Tod vor zwei Jahren nicht von den Drogen loskam. Müller empört besonders, dass der ältere Bruder wenige Jahre vor seinem Tod noch für den Besitz von zwei Gramm Haschisch verurteilt wurde - während er längst im Methadonprogramm mit weit größeren Problemen zu kämpfen hatte.

Müller ist sich sicher: Wäre sein Bruder auf andere Gesetze, verständnisvollere Erwachsene getroffen, dann wäre das alles nicht passiert. Ein mit weichen Strichen gezeichnetes Porträt von Jonas Müller - es zeigt einen gutaussehenden, lachenden Mann mit langem Haar - hängt im Haus des jüngeren Bruders, der am Stadtrand von Berlin in einer bürgerlichen Wohngegend lebt.

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Und kifft Andreas Müller nun selber, wie es seine Gegner immer wieder andeuten? Auch das beantwortet er in seinem Buch offen: Er hat gekifft, als er jünger war. Es aber dann aufgegeben. Für einen Richter, der sich noch dazu für die Legalisierung einsetzt, wäre Cannabiskonsum zu riskant. Eigentlich kann keiner der Legalisierungsbefürworter zugeben, zu kiffen. Denn das kann in Deutschland immer noch weitreichende Folgen haben: Führerscheinentzug zum Beispiel oder in bestimmten Jobs ein Berufsverbot.

Auch Georg Wurth sagt immer denselben nüchternen Satz, wenn er gefragt wird, ob er eigentlich kifft: "Ich habe Konsumerfahrung." Wurth ist Vorsitzender des Deutschen Hanfverbands, der sich seit seiner Gründung 2002 für die Legalisierung von Cannabis einsetzt. Richter Müller kennt und schätzt er, verteilt auf Vorträgen dessen Buch. Der Verband finanziert sich aus den Beiträgen seiner Mitglieder - kleinere Unternehmen und Privatpersonen. Er hat seit kurzem damit ein kleines, aber konstantes Budget von etwas mehr als 100 000 Euro.

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Von Hannah Beitzer

"Eine ziemliche Aufbruchsstimmung"

Das Thema beschäftigt Wurth schon seit 1995, erzählt er in einem kleinen Café nahe der Geschäftsstelle im Prenzlauer Berg in Berlin. Damals war Wurth, 24 Jahre, Finanzbeamter und Kommunalpolitiker der Grünen in Remscheid. Er zeigte sich wegen des Besitzes von vier Gramm Marihuana selbst an, um auf die verwirrende Gesetzeslage aufmerksam zu machen und das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgericht im Jahr 1994 wird der Besitz kleiner Mengen von Cannabis zum Eigenkonsum nicht mehr verfolgt. Legal ist es aber deswegen nicht.

Die 90er Jahre waren das Jahrzehnt, in dem Tausende Menschen in Hanfparaden auf die Straße gingen und für eine Legalisierung kämpften. "Da war eine ziemliche Aufbruchsstimmung, alle dachten: Jetzt noch ein Regierungswechsel und dann ist das durch mit der Legalisierung", erinnert sich Wurth. "Ich habe da schon immer gesagt: Leute, wir müssen noch ein bisschen kämpfen, verbrennt euch nicht." Und es kam genauso: Die rot-grüne Koalition legalisierte Cannabis nicht, die SPD stellte sich quer.

Wurth erzählt das alles ohne hörbaren Ärger in der Stimme. Überhaupt ist er ein kontrollierter, zurückgenommener Typ. Er findet: "Man braucht für so eine Veränderung auch eine gesellschaftliche Mehrheit." Und die lasse sich nur Schritt für Schritt erzielen. Zuerst kam in den Nullerjahren aber aus Sicht der Befürworter erst einmal ein großer Rückschlag. 2004 erschien im Spiegel eine Geschichte mit dem Titel "Die Seuche Cannabis". Vorne auf dem Heft: ein kleines Mädchen, das statt einer Schultüte einen riesigen Joint trug. Die Botschaft war: Immer mehr Jugendliche rauchen Cannabis, mit schlimmen Folgen - Schulabbruch, sozialer Absturz, Psychosen. "Das war Panikmache ohne Ende", sagt Richter Müller.

Andere Medien zogen nach, Elternverbände und Schulen ebenso. Die Stimmung in der Bevölkerung schlug um. Die Jugendlichen sind bis heute das gewichtigste Argument der Legalisierungsgegner. Deren bekanntester Sprecher ist Rainer Thomasius vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ). Die Forschungseinrichtung gehört zum Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, dort gibt es auch eine Jugendsuchtstation samt Ambulanz.

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Kiffen mit elf

Thomasius arbeitet seit 30 Jahren im Universitätsklinikum. "Zu Beginn hatte ich dort noch hauptsächlich mit den sogenannten Babyfixern zu tun", erzählt er. "Doch inzwischen sind Opiate bei Jugendlichen als Loser-Drogen verschrien. Gott sei Dank." Nun hätten dafür die meisten der 1400 Patienten, die die Klinik jährlich betreue, ein Problem mit dem Kiffen.

"Die wesentliche Veränderung über die Jahrzehnte hinweg ist, dass der Einstieg in den Cannabis-Konsum immer früher erfolgte", erklärt Thomasius. Er spricht in dichten, langen Sätzen. Persönliche Angriffe auf die Legalisierungsbefürworter spart er sich, stattdessen viel Fachvokabular. Während Cannabis in den Sechziger- und Siebzigerjahren noch eine typische Studentendroge gewesen sei, liege heute das durchschnittliche Einstiegsalter bei 15 Jahren, sagt er.

Seine Patienten beginnen sogar häufig schon mit elf oder zwölf Jahren. Das frühe Einstiegsalter bedeute, "dass Cannabis nicht mehr in erster Linie auf ein ausgereiftes, differenziertes Studentenhirn trifft, sondern auf ein pubertäres Gehirn, das noch im Entwicklungsprozess ist." Die Folgen laut Thomasius: Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten sowie Entwicklungsverzögerungen. Studien zufolge erhöht sich das Risiko, an einer Psychose zu erkranken, bei Jugendlichen, die regelmäßig kiffen, um das doppelte. ( Mehr zu den Risiken des Cannabis-Konsums erfahren Sie in unserem Ratgeber.)

Dass Cannabis für Jugendliche gefährlich ist, bestreiten auch die Befürworter der Legalisierung nicht. "Die Botschaft an Jugendliche muss ganz klar sein: Ihr habt nicht zu kiffen", sagt zum Beispiel Andreas Müller. Ebenso wie Georg Wurth betont er, dass Jugendschutz sich besser umsetzen ließe, wenn es streng kontrollierte Fachgeschäfte gäbe anstelle eines illegalen Schwarzmarktes. Und das Geld, das die Verfolgung von Konsumenten koste, sei in der Prävention besser angelegt - eine Sicht, der sich viele Drogenberatungsstellen und Sozialarbeiter anschließen.

Thomasius hält diese Argumente jedoch für falsch: "Die Abgrenzung von Erwachsenen und Jugendlichen funktioniert in der Praxis nicht." Immerhin dürften Jugendliche in Deutschland eigentlich auch keine Spirituosen trinken. Testkäufe zeigten jedoch, dass diese Regelung massenhaft unterlaufen werde. Gewichtig sei noch ein anderes Argument: "Jugendliche orientieren sich immer an Erwachsenen. In dem Moment, wo Cannabis an Erwachsene abgegeben würde, denken Jugendliche: Dann kann es ja nicht so gefährlich sein." (Mehr zu den Erfahrungen internationaler Experten lesen Sie in diesem Interview.)

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Genetische Veranlagung und Umfeld spielen eine Rolle

Nun sind die Jugendlichen, die schon mit elf Jahren abhängig werden, allerdings nicht die Mehrheit der Cannabis-Konsumenten in Deutschland. Viele von Thomasius' Sucht-Patienten haben früh Traumata erlitten, einen schwierigen familiären Hintergrund. Ähnlich verhält es sich mit den Psychosen: Auch hier betonen Experten, dass die genetische Veranlagung und das Umfeld eine wichtige Rolle spielen.

Das führt zu einem wichtigen Argument der Befürworter: Rechtfertigen diese Extremfälle, bei denen einiges mehr zusammenkommt als nur Kiffen, eine Kriminalisierung aller 2,5 Millionen Cannabis-Konsumenten? Vor allem, wo durch Alkohol nachgewiesenermaßen mehr Menschen zu Schaden kommen als durch Cannabis? Andreas Müller fällt die Antwort nicht schwer. "Ich will einem erwachsenen Menschen nicht vorschreiben, womit er sich berauscht." Ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zur Legalisierung wäre für ihn: Im Betäubungsmittelgesetz soll festgeschrieben werden, dass Erwachsene eine genau bestimmte geringe Menge von Cannabis straffrei besitzen dürfen.

Verwirrende Gesetzeslage

Bisher werden Verfahren mit geringen Mengen in der Regel zwar eingestellt, doch das ist eine Kann-, keine Mussvorschrift. Um die Verwirrung perfekt zu machen, unterscheiden sich die tolerierten Obergrenzen von Bundesland zu Bundesland. Das war letztlich auch der Grund, warum Richter Müller sich 2002 mit einer Vorlage ans Bundesverfassungsgericht wandte - der Beginn seines öffentlichen Kampfes für die Legalisierung. Viele Konsumenten, vor allem Jugendliche, wüssten aufgrund der unübersichtlichen Gesetzeslage gar nicht, dass der Besitz von Cannabis formal keineswegs legal ist, beklagt er.

Und für Jugendliche, das ist Richter Müller wichtig, sollte der problematische Gebrauch auch nach der Legalisierung noch Folgen haben. Er wünscht sich in einem Cannabis-Gesetz zum Beispiel eine Institution, an die Eltern sich wenden können, wenn ihre Kinder Probleme mit Cannabis haben: "Am besten wäre die Einschaltung des Jugendrichters als Erziehungsrichter, der von den Eltern oder gegebenenfalls auch von der Polizei angerufen werden könnte - aber ohne Einschaltung der Staatsanwaltschaft", sagt er. Dieser Erziehungsrichter hätte "kleine Möglichkeiten", die Konsumenten zum Nachdenken oder in Therapie zu bringen - ohne, dass sie gleich als Kriminelle behandelt werden. Helfen statt verurteilen, so sieht er das.

Auch Legalisierungsgegner Thomasius findet, dass Cannabis-Konsumenten nicht kriminalisiert werden sollten - und zwar unabhängig davon, ob sie erwachsen oder jugendlich sind. Für Jugendliche soll es hingegen statt Strafverfolgung mehr Therapiemöglichkeiten geben.

Und so ist vielleicht das das Erstaunliche an der Entwicklung, die die Debatte nimmt: dass nämlich selbst die Kontrahenten Gemeinsamkeiten finden. Nur, dass sie aus ihnen völlig unterschiedliche Schlüsse ziehen.

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