Drogentrends:"Politik beeinflusst den Drogenkonsum massiv"

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Jede Generation hat ihre Drogen: Szene einer Strandparty in Thailand (Archivbild) (Foto: dpa)

LSD, Marihuana, Kokain: Manche Substanzen sind nur kurz angesagt, andere berauschen jahrzehntelang. UN-Experte Thomas Pietschmann über den Auf- und Abstieg von Drogen.

Interview von Jakob Schulz

Herr Pietschmann, warum werden manche Drogen mal gefeiert, mal verteufelt?

Nehmen wir mal ein berühmtes Beispiel: Sigmund Freud. Er hat mit Kokain experimentiert und in den ersten Jahren nur geschwärmt, wie toll es ist. Das ging so lange, bis ein Freund von ihm daran gestorben ist. Danach änderte er seine Meinung vollkommen.

Ist das ein übliches Muster?

Bei Drogen sehen wir häufig eine wellenartige Bewegung. Eine Droge kommt auf, wird sehr populär - es werden vor allem die positiven Eigenschaften registriert. Je mehr Menschen die Substanz nehmen, desto höher ist zwangsläufig die Zahl derer, die Probleme erleben. Menschen gehen an ihre Grenzen, bis es zu viel wird und sich die negativen Seiten zeigen. Etwa bei Crystal Meth, also Methamphetamin: Konsumenten, die es häufig nehmen, altern binnen kurzer Zeit um Jahrzehnte, die Zähne fallen aus, die Haut sieht grauenhaft aus. Wer das sieht, für den wird die Droge unattraktiv. Die massiven negativen Nebenwirkungen wirken als natürliche Bremse für potenzielle Konsumenten.

Gab es solche Drogen-Wellen schon immer?

Jüngere Generationen machen oft genau die Fehler, die zuvor ihre Großväter oder Urgroßväter gemacht haben. Die erste Kokain-Epidemie gab es in den USA bereits zwischen 1880 und 1890, das weiß heute fast keiner mehr. Schriften zeigen uns, dass sich Cannabis im arabische Raum von Jemen bis Syrien schon ab dem elften Jahrhundert stark verbreitete. In der Folge litten Menschen oft an psychischen Krankheiten. Schon damals gab es Boykotte und Verbote, Ende des 12. Jahrhunderts versuchten sunnitische Herrscher in Kairo, Cannabis vollkommen zu verbieten. Zum Teil sollen Konsumenten zur Abschreckung sogar die Zähne gezogen worden sein. Es gelang den Herrschern aber nicht, den Konsum völlig auszumerzen.

Jede Generation hat ihre Droge - was ist bei jungen Europäern heute am beliebtesten?

Cannabis ist die mit Abstand am weitesten verbreitete Substanz. Das war vor 50 Jahren so und ist es bis heute. Daneben sind aber immer auch andere Drogen populär. Das sind Kokain, Amphetamine und Ecstasy, zuletzt vor allem die sogenannten "New Psychoactive Substances" (NPS). Die werden oft als "legal highs" verkauft, unter anderem als Kräutermischungen unter dem Namen "Spice". Sie erwecken den Anschein, legal und ungefährlich zu sein. Alle Indizien deuten allerdings darauf hin, dass etliche der enthaltenen synthetischen Cannabinoide deutlich gefährlicher sind als das THC im traditionellen Cannabis.

Die 1960er und 1970er verbinden wir vor allem mit LSD oder Marihuana - welche Rolle spielen die Werte einer Generation für den Drogenkonsum?

In den 1960er Jahren breitete sich Heroin in Europa aus, da stand oft eine sedierende Wirkung im Mittelpunkt, ein "Sich-Ausklinken aus der Gesellschaft". Zudem spielte die Ablehnung des Vietnamkrieges unter Jugendlichen unter dem Motto "make love not war" eine bedeutsame Rolle. Ob Marihuana, LSD oder Heroin - bei all diesen Drogen war die Vorstellung einer Alternativ-Gesellschaft zentral, die nicht von Leistungsdenken und Konkurrenzkampf geprägt sein sollte.

Und Hippies haben aus Verbundenheit mit der Natur Marihuana geraucht?

Stichwort Umweltbewusstsein - da hat bei Cannabis möglicherweise lange Zeit eine Rolle gespielt, dass es als 'natürliche Droge' galt. Viele glaubten, wenn Cannabis so natürlich wächst, muss es ja irgendwie gesund sein - oder zumindest nicht besonders schädlich. Durch neue Züchtungen ist der THC-Gehalt heute aber um ein Vielfaches höher. Bei sogenannten Räuchermischungen ist es ähnlich: Die galten ebenfalls lange als 'natürlich'. Erst später stellte sich heraus, dass sie mit synthetischen Cannabinoiden versetzt sind.

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Die 1980er verbindet man dann mit Kokain, die 1990er mit Partydrogen.

Beim Kokain-Konsum in den USA in den 1980er Jahren ging es anfangs sicherlich darum, an der Gesellschaft teilzunehmen, wacher zu sein, schneller und besser zu sein als andere. Individualismus und Konkurrenzkampf spielten eine größere Rolle. Gerade Kokain galt über Jahrzehnte als die Droge der Reichen und Schönen - der Menschen, die im Pop-Business waren, die Börsenhändler waren, die es sich leisten konnten. Das hat sich in den meisten Industriestaaten geändert, weil der Kokainpreis so stark gefallen ist. In Enwicklungsländern, in Indien oder China, hat Kokain heute dasselbe Image, das es hier in Europa vor 20 oder 30 Jahren hatte.

Erst wollte man sich ausklinken, ab der "Generation Kokain" dachte man im Rausch an die Karriere?

Damals wie heute ist ein wichtiger Faktor beim Drogenkonsum die vermeintliche Leistungsförderung. Ein anderer Aspekt ist der Wunsch, das Wochenende zu genießen und auszukosten. Unter der Woche kommt der Druck von allen Seiten. Am Wochenende will man für ein paar Stunden Freiheit verspüren - und das versprechen heute vor allem Partydrogen wie Ecstasy sowie eine Vielzahl von NPS.

Gesellschaftlich gelten harte Drogen als Problem. Inwieweit kann die Politik den Konsum ihrer Bürger beeinflussen?

Wenn wir uns die Zahlen anschauen, ist davon auszugehen, dass die Drogenpolitik den Drogenkonsum massiv beeinflusst, obgleich auch andere Faktoren eine wichtige Rolle spielen. In den USA gibt es bei Cannabis in den 1960ern und 1970ern massive Zuwächse. In den 1980ern sinkt der Konsum deutlich, Anfang der 1990er steigt er, bis etwa 2006 sinkt er wieder. Seitdem rauchen die Amerikaner wieder deutlich mehr Cannabis.

Wie erklären Sie sich dieses Auf und Ab?

In den 1960ern gibt es die Studentenbewegung, in den 1970ern wird Cannabis in einigen US-Staaten entkriminalisiert. Die Nutzung steigt rasant. In den 1980ern stehen Drogenkontrolle und -prävention unter der konservativen Reagan-Administration im Vordergrund, in der Folge geht der Cannabis-Konsum und der Konsum insgesamt bis 1992 dramatisch zurück. In den ersten Jahren unter Präsident Bill Clinton werden viele Kinder erwachsen, deren Eltern früher selbst Cannabis rauchten. Bei denen funktionieren die simplen Präventionskampagnen nicht mehr, der Konsum steigt wieder.

Und doch sinkt der Marihuana-Konsum in den späten Clinton-Jahren wieder.

Mitte, Ende der 1990er Jahre sehen wir eine spannende Entwicklung: Viele Markenartikelproduzenten entdecken die Jugend als zentrale Käuferschicht. Die Erkenntnisse der Werbebranche fließen gezielt in die Präventionsarbeit der Politik ein. Das geht so weit, dass Präventionsbotschaften ausgewählten Testgruppen vorgelegt und ihre Reaktionen analysiert werden. Werbespezialisten nutzen bei Anti-Drogen-Kampagnen erfolgreiche Argumentationsketten aus der Wirtschaft. Zum Beispiel werden gezielt Mädchen angesprochen, die über Hinweise auf schlechteres Aussehen, Haut, Zähne, Gewicht davon abgebracht werden sollten, mit Drogen zu experimentieren.

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Und das wirkte?

Das Ergebnis bis 2006 ist ein deutlicher Rückgang des Cannabis-Konsums und des Konsums insgesamt. Danach beginnt in den USA allerdings die Debatte über die Legalisierung von Marihuana. Erst in Kalifornien, dann in Oregon, Washington, Colorado. Es zeigt sich, je intensiver diskutiert wird, desto stärker sinkt bei den Menschen das "perceived risk", das "wahrgenommene Risiko", das mit dem Gebrauch von Marihuana verbunden wird. Und je geringer dieses Risiko eingeschätzt wird, desto häufiger und mehr konsumieren die einzelnen Nutzer.

Die Zahl der Legalisierungs-Befürworter in den USA steigt weiter.

Die Zahlen zeigen auch: Je mehr Erfahrungen die Menschen mit Cannabis haben, desto eher sind sie für die Legalisierung. Zwar gibt es auch in Europa eine Bewegung für die Legalisierung, aber hier ist der Cannabis-Konsum geringer und es gibt nach wie vor eine deutliche Mehrheit gegen die Legalisierung, selbst unter der jugendlichen Bevölkerung.

Was wird in Europa die Droge der Zukunft sein?

Meine Vermutung: Designerdrogen. Es gibt ja schon immer die Hoffnung auf eine neue Droge, bei der die negativen Nebenwirkungen minimiert oder sogar ausgeschlossen werden. Abgesehen davon fürchte ich, dass wir in Westeuropa wie so oft den USA nacheifern könnten, womit wahrscheinlich eine massive Zunahme des Cannabis-Konsums einhergehen würde.

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