Kinder in sozialen Netzwerken:Mathe, Deutsch, Facebook

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Alle paar Monate wird die Forderung laut, man solle Facebook und Twitter als Schulfach einrichten. Praktisch für Eltern, die gerne Verantwortung abgeben - aber Widerstand gegen soziale Netzwerke für Kinder ist durchaus angebracht. Denn es gibt kein richtiges Leben im virtuellen.

Kerstin Holzer

"Wir" sind nicht auf Facebook. Und ja, manchmal hören wir deswegen Klagen. "Alle sind auf Facebook. Und ich?!" "Alle" ist gerade Gregor, der Freund unseres elfjährigen Sohnes. Gregor, der in der Vierten schon "The Dark Knight" guckte und uns mit ultramodischer Garderobe auf den Wecker fällt. Gregor zählt also nicht. Angriff abgewehrt. Vorerst.

Stundenlang "facen": Elterlicher Widerstand ist bis zu einem gewissen Alter durchaus sinnvoll. (Foto: dapd)

Bekanntlich liegt die offizielle Altersgrenze für Facebook bei 13 Jahren. Verbraucherschützer schätzen, dass sich trotzdem 7,5 Millionen Kinder im sozialen Netzwerk herumtreiben. Unser Sohn zählt nicht dazu. Von mir aus kann das noch lange so bleiben. Facebook für Elfjährige halten wir, gelinde gesagt, für Schwachsinn.

Alle paar Monate kommt die in der Regel von einem konservativen Unionspolitiker in den Medien geäußerte Forderung, dass "Facebook, Twitter & Co." doch nun endlich und ab der fünften Klasse als Fach in den Schulunterricht gehören. "Ähnlich wie Verkehrserziehung zur Grundschule gehören auch Facebook und Co. ab der 5. Klasse in den Unterricht", sagte Anfang des Jahres die CDU-Familienministerin Kristina Schröder zur Bild.

Erst ein paar Monate zuvor hatte ihre Kollegin Dorothee Bär, stellvertretende CSU-Generalsekretärin, im Focus die bundesweite Einführung eines Schulfachs Medienkunde gefordert. Und vor ein paar Wochen legte der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Jarzombek bei Bild.de noch einen drauf: "Wir brauchen eine Facebook-Pflicht für Lehrer. Lehrer müssen einfach wissen, wie soziale Netzwerke funktionieren und was dort abläuft. Nur dann können sie ihren Schülern einen vernünftigen Umgang damit beibringen."

"Medienkunde" fixt nur das Interesse vorzeitig an

Pardon, aber leuchtet mir alles nicht ein. Was Kinder brennend interessiert, bringen sie sich eh selber bei. Aufklärung über die Tücken liegt schon auch bei den Eltern und sollte in längeren Gesprächen abzuhandeln sein, ohne dass eine Stunde Deutsch dafür geopfert wird. Was bliebe, wäre der lästige Begleiteffekt von "Medienkunde": nämlich das Interesse vorzeitig anzufixen.

Muss das sein? Noch hält sich der soziale Druck auf unsere Familie nämlich in Grenzen. Nostalgischerweise freuen wir uns darüber, dass unser Sohn lieber zu Theo hinüberradelt, statt mit ihm zu "facen". Ganze drei seiner Freunde sind bei Facebook (nein, das Kind besucht keine Waldorfschule, sondern ein ganz normales Münchner Gymnasium). Wie gesagt, gelegentlich ploppt der Wunsch nach einem Facebook-Account auf, schwebt freundlich abgelehnt im Raum, entschwindet. Dann wenigstens jetzt "Simpsons" gucken? Aber gerne!

Natürlich ist uns bekannt, dass Eltern zu allen Zeiten dazu neigen, die sozialen Moden der Jugend mit Argwohn zu beäugen. Als wir Kinder waren, wurde uns der Fernseher als Antichrist verkauft. Wir wissen auch, dass wir Facebook langfristig ebenso wenig verhindern können wie Hormonschübe und Renitenz. Wir Eltern belegen nämlich auch Unterricht in Medienkunde: durch die Beobachtung anderer Familien mit Teenagerkindern, die acht Stunden am Tag daddeln und chatten, bis 3.15 Uhr nachts, heimlich unter der Bettdecke. Wir sind gewarnt.

Uns geht's nur um eines: Zeit zu schinden. Warum also vorzeitig und freiwillig eine Stunden-Fress-Maschine installieren, die den Müßiggang eines G-8-Schülers weiter dezimiert? Jede Woche nimmt das Kind an 30 Unterrichtsstunden teil, gefolgt von Hausaufgabenbetreuung bis 15.30 Uhr sowie je einem Nachmittag bei Gitarre und Sport. Für Spielen, Fußball im Park, "Percy Jackson"- Lesen und die gute alte Langeweile, die ja so kreativ machen soll, bleibt ohnehin wenig Zeit.

Wir bezweifeln auch sehr, ob unser Elfjähriger einem simultanen Kontakt-Management, wie es ein solider Account mit parallel geführten Chats verlangt, schon gewachsen wäre, er ist ja schließlich nicht Jörg Kachelmann. Die überraschende SMS-Anfrage einer Klassenkameradin während einer TV-Folge der "Simpsons" und die sofortige SMS-Antwort, so unsere Beobachtung, machten jedenfalls Stress.

Dazugehören, Banden gründen, Rangordnungen ausmachen und Freundschaften führen gehören zu den Herausforderungen der Adoleszenz. Konflikte, Verlegenheit, Ablehnung sollten Elfjährige erst in der realen Welt üben, bevor sie "Cyber-Mobbing" deklinieren können. Nein, es gibt kein richtiges Leben im virtuellen.

Facebook plant Senkung der Altersgrenze

Störrische Eltern wie wir, die auf den Grundsatz "Alles zu seiner Zeit!" pochen, sind den Schlaufüchsen von Facebook natürlich ein Dorn im Auge. Wie kürzlich im Wall Street Journal zu lesen war, denkt der Verein von Herrn Zuckerberg gerade über eine Senkung der Altersgrenze nach. Das Gedankenspiel sieht vor, dass ein Konto der Kinder mit dem der Eltern verlinkt werde. Papa und Mama könnten dann mitentscheiden, mit wem ihre Kinder sich befreunden und welche Apps sie nutzen.

Hört sich toll an? Nicht für Eltern, die nach Jahren im Widerstand plötzlich doch bei Facebook landen. Auch nicht für Kinder, deren lückenlose Dauerkontrolle nach Abholservice und Handy dann durch Beschattung im Netz fortgesetzt würde. Sollen sie gefälligst alleine durch Facebook stromern! Sobald sie es können.

Aber vielleicht erledigt sich das Thema von alleine. Unkten früher nur Graubärte, Computer machten dumm, dick und gemein, so gehören die Zweifel an Facebook & Co. inzwischen zur avantgardistischen Kulturkritik. Steigen nicht die ersten Hipster aus? "Wollen wir, dass unsere Kinder einander ins Gesicht sehen, sich unterhalten, miteinander verhandeln, sich in einer Gruppe wohlfühlen können?" mahnt die angesagte Kulturwissenschaftlerin Sherry Turkle: "Wenn ja, dann bitte ein bisschen weniger Zeit im Internet, s'il vous plaît."

Facebook wird uncool. Wir werden's noch erleben. Dann kommt das Nächste, auf das Eltern schlecht vorbereitet sind.

© SZ vom 11.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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