Familie und Partnerschaft:Wenn 150-Prozent-Mamis die Väter verdrängen

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Vater im Schatten der mütterlichen Gatekeeperin (Foto: Marc Herold)

Einige Mütter mutieren nach der Geburt zu hysterischen Glucken und blocken jedes Engagement des Mannes ab. Um die Kinder geht es dabei selten - sondern um Macht, Ohnmacht und Gleichberechtigung.

Von Jenny Hoch

Am Anfang dachte Jonathan Heilmann*, es sei nur eine Phase, dass seine Freundin ihm das gemeinsame Baby so gut wie nie anvertraute. Sie sei eben so glücklich, mit 41 doch noch ein Kind bekommen zu haben, dass sie es keine Sekunde aus den Augen lasse. "Löwenmutter" nannte der Hamburger seine Freundin damals zärtlich. Er war auch ein wenig stolz, sie waren nun eine richtige Familie, noch dazu eine moderne, die sich Betreuungszeiten und -aufgaben teilen würde. So hatten sie das jedenfalls vorher besprochen.

Nach vier Monaten war Jonathan Heilmann verwirrt. "Ich fühlte mich komplett überflüssig", erzählt er, "und ich erkannte meine Freundin kaum wieder." Aus der attraktiven, unbekümmerten Schauspielerin, die für ihren Beruf brannte, war, so empfand es ihr Partner, eine "150-Prozent-Mami" geworden, die sich nur noch für Stillmahlzeiten, Verdauungsprobleme und Einschlafrituale zu interessieren schien.

Nach einem Jahr gab es Jonathan Heilmann dann auf, ein gleichberechtigter Vater sein zu wollen: "Ich erinnere mich an eine Szene auf einer Gartenparty, da riss meine Freundin mir das Kind förmlich aus den Armen", sagt er. "Nicht einmal wickeln durfte ich es mehr. Wenn ich sie darauf ansprach, blockte sie ab. Ich hatte das Gefühl, nur noch zu stören."

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Mütter, die nach der Geburt zu hysterischen Glucken mutieren und nicht mal mehr die Väter an die gemeinsame Brut ranlassen, das klingt im Zeitalter der Gleichberechtigung wie ein Klischee aus der "Mutti ist die Beste"-Mottenkiste. Oder wie eine Ausflucht nur scheinbar moderner Väter, die so tun, als könnten sie sich nicht gegen die dominanten Mütter ihrer Kinder durchsetzen, obwohl es ihnen in Wahrheit ganz recht ist, nicht derjenige sein zu müssen, der nachts das schreiende Baby beruhigt.

Andererseits: Jeder, der selbst Kinder oder zumindest öfter Kontakt mit Müttern hat, kennt solche Fälle. Die Freundin, die "so gerne" endlich mal wieder einen Abend für sich hätte, aber angeblich schafft es der Papa nicht alleine, den Nachwuchs ins Bett zu bringen. Oder der Spielplatz-Bekannte, der geduldig die viertelstündlichen Kontrollanrufe seiner Frau entgegennimmt, während die Tochter vor seiner Nase friedlich Sandkuchen backt. Der Mutter-Satz, der jedes väterliche Engagement im Keim erstickt: "Lass, ich mach das schon".

Jede fünfte Mutter blockiert das väterliche Engagement

Die Wissenschaft erforscht das Phänomen des mütterlichen Kontrollbedürfnisses seit beinahe zwanzig Jahren und hat dafür den Begriff des "maternal gatekeeping" geprägt. So belegte eine amerikanische Untersuchung aus dem Jahr 1999, dass 20 bis 25 Prozent aller verheirateten Mütter in die Gatekeeping-Kategorie fallen. Eine Langzeitstudie des deutschen Familien- und Sozialforschers Wassilios Fthenakis kam zu einem ähnlichen Ergebnis: Etwa jede fünfte Frau blockiert das väterliche Engagement im Familienleben.

Die gängige These, warum sie das machen, lautet: Gatekeeper-Mütter sehen im Vater keinen gleichberechtigten und kompetenten Elternteil. Sie verteidigen ihre Herrschaftsdomäne mit allen Mitteln, auch, weil sie daraus einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Selbstbewusstseins ziehen. Schließlich haben in den meisten Fällen ja sie und nicht die Väter beruflich zurückgesteckt, da wollen sie wenigstens zu Hause Chefinnen sein.

Da mag was dran sein, allerdings - und das wird bei den vielen hitzigen Diskussionen zum Thema oft missverstanden - ging es den Soziologen nicht darum, mal wieder den Müttern die Schuld zuzuschieben. Dieser Reflex ist häufig zu beobachten: Kümmern sich Mütter nicht rund um die Uhr oder fordern gar, in Vollzeit zu arbeiten, sind sie "Rabenmütter"; sind sie besonders fürsorglich und schießen dabei auch mal übers Ziel hinaus, werden sie als "Glucke" oder "Helikopter-Mum" abgestempelt. Wie man es dreht und wendet, als Frau mit Kind kann man es heutzutage nur falsch machen.

Um die Kinder geht es hier gar nicht

Beim "maternal gatekeeping" geht es aber gar nicht um die Kinder, sondern um die Beziehung der Mutter zu ihrem Partner. "Wir haben es hier mit einer Bindungsstörung zu tun", sagt die Münchner Paar- und Familientherapeutin Gabriele Leipold. Gatekeeperinnen seien - meist aufgrund eigener frühkindlicher Erfahrungen - unfähig, sich auf eine Beziehung mit mehr als einer Person einzulassen. Wenn in so eine Zweierbeziehung ein Kind geboren wird, kommt eine Gatekeeper-Mutter damit nicht zurecht und versucht, eine der Personen aus der neuen Dreierkonstellation hinauszudrängen - in den allermeisten Fällen den Vater. Gabriele Leipold: "Die betroffenen Frauen versuchen verzweifelt, für das Kind der wichtigste Mensch zu sein und darin den Vater, den sie als Bedrohung empfinden, zu übertreffen." Dabei setzten sie derart hohe Betreuungsstandards, dass der Vater, wenn er doch mal übernehmen darf, zwangsläufig scheitert.

Das Zustandekommen dieser Störung erklärt die Therapeutin tiefenpsychologisch: Nach der an sich gesunden Mutter-Kind-Symbiose finde gegen Ende des ersten Lebensjahres die sogenannte "frühe Triangulierung" statt. "Das Kind nimmt wahr, dass da noch eine zweite Person ist, nämlich der Vater, der mit der Mutter eine innige Beziehung führt, die das Kind partiell ausschließt." Diese Erfahrung sei unter anderem deshalb wichtig, damit das Kind keine narzisstischen Größenfantasien entwickelt und sich als Mittelpunkt des Universums begreift: "Hat die Mutter das in ihrer frühen Kindheit selbst nicht erlebt, kann sie es später auch nicht leben."

Solche "schweren" Fälle seien aber selten, betont sie, viel typischer - und leichter therapierbar - seien Probleme rund um die ungleiche Aufgabenverteilung in der Kinderbetreuung und im Haushalt. Und diese resultiert wiederum oft aus den traditionellen Rollenbildern, die sich offenbar so tief ins Bewusstsein eingegraben haben, dass sie nicht so einfach abzuschütteln sind: Die Frau hält zu Hause die Stellung, während der Mann das Geld verdient und die Familie ernährt.

Für eine Liebesbeziehung haben alle Formen von "maternal gatekeeping" Folgen. Der Mann fühlt sich aus der Partnerschaft ausgeschlossen, weil er seine Frau nur noch als Mutter, nicht mehr als Partnerin sieht. Er fühlt sich von ihr nicht mehr geliebt und erlebt die Vereinnahmung der Kinder als Misstrauen oder sogar als Aggression ihm gegenüber. "In diesem Klima haben positive Gefühle füreinander keinen Platz", erklärt Gabriele Leipold. Es komme nicht selten vor, dass Paare sich dann trennen.

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So wie Julia und Clemens Schall*. Die Erzieherin und der Marketing-Manager aus München waren Berufsanfänger, als sie vor sieben Jahren ihre erste und drei Jahre später ihre zweite Tochter bekamen. Trotzdem entschieden sie sich gegen eine Krippe und für das traditionelle Modell: Sie war den ganzen Tag mit den Kindern zu Hause, er arbeitete von früh bis spät, oft auch am Wochenende. "Ich wollte das so, weil ich ein großes Verantwortungsgefühl als Mutter habe und weil es sich für mich als Erzieherin absurd anfühlte, meine eigenen Kinder für viel Geld betreuen zu lassen und mich stattdessen um fremde Kinder zu kümmern", sagt Julia Schall.

Frauen glauben, es besser zu wissen

Clemens Schall dagegen hatte das Gefühl, dass ihm die Zügel aus der Hand genommen wurden, dass er nicht der Vater sein durfte, der er gerne sein wollte: "Ich wäre nicht jedes Mal sofort hingerannt, wenn eines der Kinder weinte. Aber egal, was ich tat, ob ich wickelte, fütterte oder die Mädchen ins Bett brachte, Julia stand die ganze Zeit daneben und korrigierte mich." Seine Frau kontert: "Ich hatte das alles ja schon Hunderte Male gemacht und wusste deswegen genau, wie es am besten funktioniert."

Das war nicht der einzige Streitpunkt: Sie wollte die Kinder abends Punkt sieben im Bett haben, er hatte nach der Arbeit das Bedürfnis, noch ein bisschen mit ihnen zu toben. Sie fand es wichtig, die Kinder gesund zu ernähren, er kaufte ihnen zwei Kugeln Eis statt einer. Sie hätte sich gewünscht, dass er sich auch mal um Kinderarzttermine und Geburtstagsgeschenke kümmert, er hatte längst den Überblick verloren. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Irgendwann stritten sie so viel, dass sie vor eineinhalb Jahren beschlossen, sich zu trennen.

Sie erlebe in ihrer Praxis häufig eine gewisse Unflexibilität von Seiten der Frauen, sagt Gabriele Leipold, aber auch große Frustration. Von außen betrachtet, gibt sie zu bedenken, wirke deren besserwisserisches Verhalten vielleicht wie eine Machtdemonstration, doch tatsächlich verberge sich Ohnmacht dahinter: "Viele Frauen haben nach einer längeren Babypause Minderwertigkeitskomplexe und die durchaus berechtigte Sorge, beim Wiedereinstieg in den Job auf dem Abstellgleis zu landen. Zu Hause dagegen sind sie so perfekt eingearbeitet, dass der Mann beinahe überflüssig ist. Aus diesem Grund halten sie oft so lange an ihrem Hausfrauenstatus fest."

Die Expertin rät zur To-do-Liste

Ihren Klienten rät sie, exakt festzulegen, wer welche Aufgaben übernimmt, und To-do-Listen zu führen - und zwar schon, bevor sich Nachwuchs ankündigt. "Man muss die Männer fordern, aber ihnen dann auch die Chance geben, sich in diese neuen Aufgabengebiete einzuarbeiten", fasst Gabriele Leipold ihre Erfahrungen aus der Praxis zusammen. Wer jetzt findet, dass im Jahr 2016 Hausarbeit für Männer kein Neuland mehr sein sollte, dem kann man nur zustimmen. Doch die Zahlen belegen das Gegenteil: Der Anteil, den Männer an der Haus- und Erziehungsarbeit übernehmen, hat sich seit den Siebzigerjahren kaum verändert, er beträgt im Schnitt gerade mal 30 Prozent. Das fand die Darmstädter Soziologieprofessorin Cornelia Koppetsch in einer viel beachteten Studie heraus. Ihr Fazit: Die Gleichheit der Geschlechter ist eine Illusion.

Es ist also höchste Zeit umzudenken, und zwar für Frauen und Männer. Julia Schall etwa sieht ihre Entscheidung, wegen der Kinder insgesamt sechs Jahre lang zu Hause geblieben zu sein, inzwischen kritisch: "Ich frage mich oft, ob wir noch zusammen wären, wenn ich wieder gearbeitet hätte. Weil wir so unterschiedliche Leben führten, hatten wir zu wenig Verständnis füreinander." Und ihr Ex-Mann sagt: "Es tut mir bis heute weh, dass ich vom Alltag meiner Familie so wenig mitbekommen habe."

*Namen geändert

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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