Die Krabbelgruppe wird mit einem Willkommenslied eröffnet, später lernen kleine Kinder erste Lieder auf Xylophon und Triangel, bevor sie sich zwischen Blockflöte, Klavier, Gitarre oder Geige entscheiden. Doch was bringt musikalische Früherziehung und warum lernen Babys sprechen, wenn die Eltern ihnen vorsingen? Professor Gunter Kreutz über den Wert des gemeinsamen Musizierens in der Familie - von Anfang an.
SZ.de: Müssen Eltern selbst musikalisch sein, um bei ihren Kindern die Liebe zur Musik zu wecken?
Gunter Kreutz: Ob seine Eltern singen können oder Rhythmusgefühl haben, hat keinen so großen Einfluss darauf, wie sich ein Kind musikalisch entwickelt - und ein bisschen Musikalität steckt ja in uns allen. Es ist nur die Frage, was man daraus macht.
Also Hauptsache, Mutter oder Vater singen, auch wenn es schief klingt und der Musiklehrer einst absolute Unfähigkeit bescheinigte?
Auf jeden Fall! Es gibt leider viele Gesangs-Traumatisierte, etwa 20 Prozent der Erwachsenen wurde schon mal gesagt, dass sie nicht singen könnten - und manche glauben das tatsächlich. Dabei ist das meist nur mangelnde Übung, und das kann man gemeinsam mit dem Kind nachholen. Egal, ob sie jeden Ton treffen oder nicht: Eltern haben es in der Hand, wie sich ihr Kind musikalisch entwickelt.
Reicht es nicht, den Kleinen CDs mit Kinderliedern vorzuspielen?
Das ist schön als Ergänzung, allerdings sollte man diese auch gemeinsam anhören und mitsingen. Letztlich ersetzen CDs die Intimität zwischen Kindern und Erwachsenen nicht, die gemeinsames Musizieren schafft: Beim Sprechen müssen wir uns abwechseln, aber wir singen gemeinsam.
Wie profitieren Kinder konkret davon?
Das hängt natürlich vom Alter ab. Grundschüler, die in kleinen Gruppen Instrumente spielen, haben ein besseres Wortgedächtnis und tun sich somit beim Übertritt an weiterführende Schulen leichter. Aber schon Säuglinge lassen sich von Musik beruhigen oder auch aktivieren. Lieder sind eine langsamere Form der Sprache. Babys lauschen der Melodie und werden so dazu animiert, die eigene Stimme zu benutzen, ihre Sprachentwicklung wird gefördert. Außerdem ist Singen eine Art Lachen in Zeitlupe, da werden Kinder immer zum Mitmachen angeregt. Das können Eltern übrigens für sich im Alltag nutzen.
Inwiefern?
Mit Gesang lassen sich Kinder an Rituale gewöhnen und Konfliktsituationen entschärfen. Zum Beispiel beim Zähneputzen: Das finden die Kleinen am Anfang spannend, aber dann wird es lästig. Wer da "Alle meine Entchen" abwandelt zu "Alle meine Zähnchen, werden jetzt geputzt", macht aus der Pflicht einen kleinen Spaß und belohnt das Kind noch mit besonderer Zuwendung. Und ein tägliches Gute-Nacht-Lied hilft nicht nur beim Einschlafen, die Kinder schlafen auch tiefer. Da kommt es weder auf perfekten Stimmklang noch auf die korrekten Töne an, wie uns das die unsäglichen Casting-Shows im Fernsehen suggerieren - weder bei den Eltern noch bei den Kindern.
Expertentipps zur Erziehung:"Auch Eltern lernen in der Krabbelgruppe dazu"
Können Babys schon mit anderen Babys spielen? Brauchen Zweijährige eine Spielgruppe, um auf den Kindergarten vorbereitet zu sein? Sozialpädagogin Monika Hofmann erklärt im Interview, wie nicht nur Kinder, sondern auch die Eltern von Gruppenangeboten profitieren.
Wie steht es mit der musikalischen Früherziehung, die meist nur einmal in der Woche stattfindet? Hat das überhaupt einen Effekt auf die Kinder?
Das hängt vom Kursaufbau ab. Wenn für Kleinkinder gemeinsame Singspiele geboten werden, zu denen sie sich auch bewegen und tanzen können, sind sie davon fasziniert. Da kann man Lieder passend zur Jahreszeit einbauen oder aus anderen Kulturen, was eine weitere Bereicherung für die Kinder wäre.
Wann ist die richtige Zeit gekommen, um ein Instrument zu lernen?
Viele Kinder wollen im Vorschulalter oder als Erstklässler ein Instrument spielen. Dürfen oder können sie das dann nicht, verschwindet dieser Wunsch bald. Der erste Unterricht muss übrigens nicht künstlerisch, sondern menschlich hochwertig sein, damit die Kinder eine Beziehung zur Musik aufbauen. Da ist nicht entscheidend, dass der Pädagoge mal Konzertvirtuose war, sondern ob er einen guten Draht zu Kindern hat. Wenn Kinder Musik lieben gelernt haben, können sie mit dem Musizieren nicht nur eigene Stimmungen regulieren, es fördert auch soziales Verhalten: Kein Chor, kein Orchester, keine Band funktioniert, ohne dass die Spieler aufeinander achten und kooperieren. Übrigens eint alle großen Musiker, dass in ihrer Kindheit viel gesungen wurde.
Doch wie wirkt es sich auf das Kind aus, wenn Eltern den nächsten Starpianisten heranziehen wollen?
Nun, es gibt musikalisches Talent, aber das lässt sich nicht erzwingen. Versuchen die Eltern das, verleiden sie dem Kind die Musik. Außerdem reichen zehn bis 15 Minuten Üben am Tag, länger können sich jüngere Kinder sowieso nicht konzentrieren und regelmäßige kleine Fortschritte bringen auf lange Sicht mehr. Eltern können aber ihr Kind, das mal mehr, mal weniger Freude am Musizieren hat, aktiv unterstützen, indem sie eine gute Beziehung zum Musiklehrer aufbauen, vielleicht sogar gemeinsam mit dem Kind dasselbe oder ein anderes Instrument lernen. Und ganz wichtig ist, dass das Kind sein Instrument und den Klang selbst schön findet - und nicht nur übt, weil es dafür eine Belohnung bekommt. Die Motivation muss von innen heraus kommen. Und wenn die Eltern ein besonders schönes Lied loben, freut dies das Kind ungemein. Da muss man nicht bis zum ersten Konzert warten.
Gunter Kreutz ist Professor für Systematische Musikwissenschaften an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Dort forscht er unter anderem zu den Themen Musikkognition und -emotion, Psychologie der Musik sowie über den Zusammenhang zwischen Musik und Gesundheit.