Drittes Geschlecht:Männlich, weiblich, divers - Vielfalt ist normal

Zum ersten Jahrestag der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Dritten Option haben mehrer

Demonstration in Frankfurt zur freien Entscheidung der eigenen Geschlechtszugehörigkeit. (Archivbild)

(Foto: imago/epd)

Auch nach neuem Recht brauchen Menschen, die ihr Geschlecht umtragen lassen wollen, ein Attest oder eine eidesstattliche Versicherung. Der Mensch kennt sich und seinen Körper am besten. Dafür braucht es keine Diagnose.

Kommentar von Ulrike Heidenreich

Männlich, weiblich, divers - so lautet die neue Geschlechterordnung in Deutschland. Von Januar an gibt es ein drittes Geschlecht im Geburtenregister. Was ist divers? Was ist intersexuell? Genau wissen das die wenigsten, darum sind die Berührungsängste auch groß. Und so hat der Bundestag mit dieser Änderung des Personenstandsrechts zwar einen wichtigen Schritt getan, traut der Sache jedoch selbst nicht ganz. Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen oder die Empfindung haben, im falschen Körper zu leben, müssen nämlich weiterhin mit Attest oder eidesstattlicher Versicherung beim Standesamt vorsprechen, um ihren Eintrag ändern zu lassen. Das ist Fremdbestimmung, das ist übergriffig.

Dass die Spezies Mensch aus mehr als Mann und Frau besteht, hat das Bundesverfassungsgericht klar zum Ausdruck gebracht. Bislang gab es jedoch nur die Möglichkeit, dass Standesbeamte die Geburt ohne Geschlechtsangabe eintrugen. Diese Lücke in der Rubrik, in der sonst "männlich" oder weiblich" steht, werteten die Richter als Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht. Denn eine geschlechtliche Identität hat jeder Mensch, auch wenn sie manchmal nicht eindeutig ist.

Der Umgang der Gesellschaft mit Intersexuellen war immer diffizil: Da gab es sagenhafte Zwitterfiguren, halb Mann, halb Frau, geheimnisvolle Hermaphroditen in der Mythologie - und es gab und gibt große Verunsicherung, wie genau es um Menschen steht, die nicht in das vorgegebene Raster passen. Bei Intersexuellen können Chromosomen, Hormone, die inneren oder die äußeren Geschlechtsorgane nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden. Mal scheint es eine Mischung aus beidem zu sein, mal ist kein Penis entwickelt, mal eine Vagina. Es gibt etwa 100 000 Intersexuelle in Deutschland.

Die gesetzliche Einführung des Wortes "divers" ist überfällig, um zu zeigen, dass Vielfalt normal ist. Denn noch immer lassen verunsicherte Eltern Kinder operieren, wenn deren Geschlechtsmerkmale verwirren. Oft geschieht dies ohne medizinische Notwendigkeit. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf sah vor, dass sich unter "divers" nur registrieren lassen darf, wer ein ärztliches Attest vorlegt. Nun wurde das Gesetz auf Protest der Grünen hin zwar abgemildert; es werden Intersexuelle ausgenommen, die nachweislich traumatisiert sind durch Ausgrenzung, Operationen und unzählige Begutachtungen. Bei ihnen reicht eine Versicherung an Eides statt.

Aber dies ist eine kleinliche Hürde, um in Bahnen zu lenken, die nicht mehr existieren. Geschlechtliche Identität ist mehr als Penis und Vagina. Sie ist komplexer, sie hängt von der Psyche und vom Selbstempfinden ab. Sie ist ein Abwägen und ein Insichgehen, oft nach schmerzvollen Prozessen. Der Mensch kennt sich und seinen Körper selbst am besten. Dafür braucht es keine Diagnose.

Jeder Mensch sollte sein Geschlecht so eintragen lassen dürfen, wie er es will und wie er es fühlt. In Argentinien, Dänemark, Malta, Norwegen, Belgien oder Chile ist das längst Usus. Ein Attest will auf dem Amt niemand sehen. Das befürchtete "Gender-Chaos" in all diesen Ländern ist übrigens ausgeblieben. Denn aus Jux und Tollerei ändert niemand mal so eben sein Geschlecht.

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