Vor einem Jahr jubelten sie noch: Trans- und intersexuelle Menschen erhofften sich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mehr Gleichberechtigung. Im August hatte das Bundeskabinett den entsprechenden Gesetzesentwurf verabschiedet: Bis Jahresende soll es neben "männlich" und "weiblich" die dritte Geschlechtsoption "divers" geben. So ist es beschlossen. Eine von der LGBTIQ-Szene ausgehende Kampagne fordert nun aber, das Gesetz zu stoppen. Josch Hoenes (46) hat diese mit ins Leben gerufen. Er hat im Bereich "Geschlechterstudien" promoviert und arbeitet für die Bundesvereinigung Trans* ( Anm.: Eigenschreibweise des Verbandes mit "Gender-Sternchen"), die sich für geschlechtliche Selbstbestimmung und Vielfalt einsetzt.
SZ: Herr Hoenes, warum eine Kampagne gegen den Gesetzesentwurf zur dritten Geschlechtsoption?
Josch Hoenes: Der Gesetzesentwurf ist enttäuschend. Er ist nicht so, wie wir es erhofft hatten. Das Bundesverfassungsgericht forderte, dass Personen, die weder dem weiblichen noch männlichen Geschlecht zugeordnet werden können, nicht länger durch das Personenstandsgesetz diskriminiert werden. Zwar wird nun ein dritter positiver Geschlechtseintrag "divers" geschaffen, aber noch viel zu viele sind davon ausgeschlossen.
Inwiefern?
Der Geschlechtseintrag "divers" kann nur gewählt werden, wenn durch ein ärztliches Attest nachgewiesen wird, dass das Geschlecht weder "männlich" noch "weiblich" ist. Das Gesetz wäre an körperliche Beschaffenheiten gekoppelt. Geschlechtliche Identität ist allerdings sehr viel mehr und komplexer. Sie auf Körperlichkeiten zu reduzieren, greift viel zu kurz und ist diskriminierend.
Das Gesetz wird als Schikane empfunden?
Eine Schikane ist es vor allem für "inter*"-Menschen, deren körperliche Merkmale medizinisch nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können. Sie müssen sich erneut einer ärztlichen Untersuchung unterziehen, nachdem sie häufig ohnehin schon viel Gewalt durch das medizinische System erfahren haben - zum Beispiel durch Zwangsoperationen als Kind, um eindeutig als Mann oder Frau definiert werden zu können. Aber auch viele "trans*"-Menschen, die sich geschlechtlich nicht verorten möchten, leiden, da sie keine Wahl haben, sich als "männlich" oder "weiblich" eintragen zu lassen. Sie sind aus dem Gesetzesentwurf schlichtweg ausgeschlossen.
Aber ist ein restriktives Gesetz nicht besser als gar keines?
Man könnte viel Leid umgehen, wenn man auf den Geschlechtseintrag verzichtet. Denn wenn das Gesetz so strikt wie jetzt ist, besteht die Gefahr, dass Menschen diskriminiert werden. Das Gesetz hat Potenzial gut zu sein - aber nicht in dieser Form.
Wie müsste es stattdessen formuliert sein?
Jeder Mensch sollte beim Standesamt oder auf dem Bürgeramt den Geschlechtseintrag so eintragen lassen können, wie er es will - ohne medizinische Diagnose und ohne Gutachten. Abgesehen davon, geht es im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ja um den Schutz der geschlechtlichen Identität und die Schaffung einer Möglichkeit. Es braucht also eine "Kann-Regelung": Die Geschlechtseintragung kann eingetragen werden, sollte aber nicht erzwungen werden.
Bis zum Stichtag am 31. Dezember ist es nicht mehr lange hin. Wie schätzen Sie die Aussichten ein, dass Ihre Kampagne auch in der Regierung Gehör findet?
Ich war bei der ersten Lesung im Bundestag dabei - es gab eine sehr kontroverse Debatte. Nahezu alle Parteien kritisieren den derzeitigen Gesetzesentwurf: die FDP, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Unsere Unterstützer sind unterschiedliche Organisationen, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband über pro familia bis zum Kinderschutzbund. Die Kampagne hat derzeit mehr als 40 000 Unterschriften gesammelt und wir wollen sie dem Innenausschuss sobald wie möglich übergeben. Es gibt also Hoffnung, dass sich in den nächsten Wochen noch etwas ändert.