Kolumne: Vor Gericht:Oben ohne

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Bikinioberteile an - oder ablegen? Im Freibad ist das keine Privatsache. (Foto: Annette Riedl/dpa)

Weil sich Gabrielle Lebreton barbusig sonnte, wurde sie von einem Wasserspielplatz geworfen. Nun fordert sie 10 000 Euro wegen Diskriminierung.

Von Verena Mayer

Manchmal hat ein kleines Unrecht große Folgen. Das Unrecht erlitten haben will Gabrielle Lebreton, 39, die Ende September im gelben Wollpulli neben ihrer Anwältin im Berliner Kammergericht sitzt. Lebreton war im Juni 2021 mit ihrem kleinen Sohn auf einem Berliner Wasserspielplatz und sonnte sich. Mit freiem Oberkörper - so wie die Männer rund um sie herum. Doch nur Lebreton wurde von Security-Leuten aufgefordert, sich etwas anzuziehen. Wegen der Badeordnung, nach der man "Badehose, Badeshorts, Bikini, Badeanzug oder Burkini" tragen müsse. Lebreton deutete auf die halb nackten Männer auf der Wiese und weigerte sich. Es kam zu einem Wortwechsel, die Polizei rückte an, Lebreton wurde vom Gelände geworfen. Die Architektin fand das diskriminierend und fordert nun 10 000 Euro Entschädigung für das erlittene Unrecht.

Der Fall hat inzwischen weit über die Stadt hinaus für Schlagzeilen gesorgt. Weil er alles hat, was eine knallige Boulevard-Story braucht: Berlin, Behörden, Brüste. "Busenzoff", titelte ein Berliner Blatt. Und weil es um etwas sehr Grundsätzliches geht. Nämlich darum, dass Frauen noch immer gerne vorgeschrieben wird, was sie in der Öffentlichkeit anzuziehen haben.

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Im staubtrockenen Duktus des Verwaltungsrechts referiert die Richterin, was bisher geschah. Lebreton wandte sich erst an eine Ombudsstelle, dann verklagte sie das Land Berlin, in dessen Auftrag die Security-Leute unterwegs waren. Nach dem Landesantidiskriminierungsgesetz, das es einem ermöglicht, gegen Ungleichbehandlung durch Berliner Behörden vorzugehen. In der ersten Instanz verlor Lebreton. Das Landgericht konnte in der Szene am Wasserspielplatz keine Diskriminierung erkennen. Das sieht die Richterin am Kammergericht nun anders. "Rein äußerlich betrachtet ist Lebreton als Frau anders behandelt worden als ein Mann." Es gehe hier um eine Ungleich-, ja, Schlechterbehandlung aufgrund des Geschlechts.

Die Frage ist nur, was daraus folgt. Beziehungsweise wie viel Geld Lebreton nun zusteht. Eine gute halbe Stunde feilschen die Anwälte darum, wie welche Ungleichbehandlung abgegolten wird. Lebretons Anwältin hält 10 000 Euro für angemessen, eine Entschädigung solle ja auch abschreckend wirken. Der Anwalt des Landes Berlin sagt, selbst für eine schwere rassistische Beleidigung würden Leute "nicht mehr als 750 Euro bekommen".

Die Richterin folgt dem Schlagabtausch eine Zeit lang, bevor sie die Verhandlung vertagt. Auch sie hält 10 000 Euro für zu viel Geld. Zu Lebreton gewandt sagt sie: "Sie haben schon sehr, sehr viel erreicht." Tatsächlich wurde inzwischen nicht nur die Nutzungsordnung des Wasserspielplatzes geändert. Nun müssen nur noch die Geschlechtsorgane bedeckt werden, nicht aber Brüste und Oberkörper. Seit März ist es auch in allen anderen Berliner Bädern erlaubt, oben ohne zu baden.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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