Burnout bei Kindern:"Slow Education" soll Abhilfe schafften

Lesezeit: 5 min

Dabei haben Kinder ein Recht auf eigene Zeit - auch wenn die manchmal quälend ist: "Natürlich erleben sie dabei auch Langeweile", sagt Bostelmann. "Doch die ist ein wichtiges Triebmittel für Ideen und Kreativität." Bostelmann unterstützt deshalb die entschleunigten Konzepte von "Slow School" und "Slow Education". Damit Kinder lernen, ihre eigene Zeit zu gestalten, müssen Erzieher ihnen nämlich vor allem eines geben: Zeit!

Für die Slow-School-Pionierin Penny Ritscher ist es daher entscheidend, dass Kinder sich auch im Kindergarten für längere Phasen zum freien, kreativen Spiel aus der Gemeinschaft zurückziehen dürfen, um nichts zu tun, als ihren Eingebungen zu folgen. Wohltuend ist es deshalb, wenn ein Hort in den Ferien statt eines durchgeplanten Programms auch mal völlig freie Gammeltage anbietet. Er darf sie, zur Beruhigung der Eltern, auch gerne "Kreativ-Tage" oder "Erfinder-Tage" nennen.

Dabei bedeutet langsame Erziehung keineswegs, Kinder auszubremsen. Aber eifriges Lernen und fröhliche Anstrengung wechseln sich ab mit Phasen von zäher Langeweile; und Erfolge wie Misserfolge werden in Eigenverantwortung errungen - möglichst individuell: "Wir wollen Kinder fördern und fordern", sagt Mike Grenier, Hausleiter des britischen Edel-Internats Eton und einer der Vorreiter der britischen Slow-Education-Bewegung.

"Ein vorgefertigtes Schulschema entmenschlicht die Schüler", sagt Grenier

Wenn die Klasse auf einer einsamen Insel stranden würde: Welche Fähigkeiten bräuchten die Schüler dann, um zu überleben? In solchen Diskussionen reden Kinder nicht nur über gute Ernährung; sie wollen auch wissen, wie man am besten einen Unterschlupf baut und wie man eine Gemeinschaft organisiert. Und nicht zuletzt zeigt sich, wie sehr die Schüler mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten zwischen Intelligenz und Muskelmasse auf ihre Weise zum Überleben der Klasse beitragen können. "Wer Kohorten von Schülern nur nach ihrem Geburtsjahrgang durch ein vorgefertigtes Schulschema schickt, entmenschlicht jeden Einzelnen von ihnen", sagt Grenier.

Das aber bedeutet: Um es besser zu machen, muss man jeden Einzelnen gut kennen. "Wir brauchen kleinere Klassen", fordert Grenier und spricht damit dem Kinderpsychiater Schulte-Markwort aus der Seele: "Was für ein Kind ein erfülltes Leben ist, hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel von der Intelligenz und der Persönlichkeit." Hinter jedem Burnout stehe ein Missverhältnis von Anforderungen und den Möglichkeiten, diese zu bewältigen, erklärt er: "Wenn man die Anforderungen nur hoch genug setzt, kann man jeden Menschen in den Burnout treiben."

Dabei sind Anforderungen nicht per se schlecht. "Wir müssen aber bei jedem Kind genau hingucken: Wann wird es zu viel? Nur weil man nachmittags einen Termin hat, muss der ja nicht stressen. Eine Klavierstunde oder das Judotraining kann die Akkus auch aufladen", sagt Schulte-Markwort.

Eltern sollten analysieren

Lernt ein Kind aus Freude, Interesse und vielleicht noch aus dem Wunsch, keine schlechte Note zu bekommen - oder etwa aus Angst? "Solche Kinder brauchen dann mehr Selbstsicherheit, mehr Mut zur Lücke", rät er.

Ein Alarmsignal jedenfalls ist es, wenn ein Kind plötzlich einen Leistungsknick hat, es nicht mehr aufpassen kann, schlecht schläft und sich zurückzieht. "Phasen von Lustlosigkeit sind völlig okay", betont der 59-jährige Professor, "aber wenn sich so etwas länger hinzieht, sollten die Eltern professionelle Hilfe suchen." Strategie muss es dann sein, seltener "Ich zeige dir, wie es geht" zu sagen und häufiger zu fragen: "Was können wir tun, um dir zu helfen?"

Kinder bekommen viel von ihrer Umgebung mit

Denn eigentlich, so Schulte-Markwort, könnte es um die psychische Gesundheit der Kinder heute so gut stehen wie nie zuvor: "Ich gucke viel entspannter auf die Jugend als ich das vor 27 Jahren zu Beginn meiner Laufbahn getan habe", sagt er. "Die Kinder sind heute unglaublich leistungsbereit, sozialkompetent, reflektiert. Sie sind es gewohnt, gefragt und einbezogen zu werden, weil ihre Eltern ihnen wertschätzend und auf Augenhöhe begegnen." Der unangenehme Nebeneffekt dabei ist: Die Kinder bekommen viel mehr mit, sie erleben die Gefühle und Sorgen ihrer Eltern und sind auch deshalb häufig so motiviert.

Die meisten Eltern lieben ihre Kinder sehr, aber sie fragen zu selten, was eigentlich das Richtige für diese kleinen Persönlichkeiten ist, die da bei ihnen leben. Und sie sind nicht immer bereit, die Wege ihrer Kinder zu akzeptieren. "In jedem Menschen steckt eine Entwicklung", betont Schulte-Markwort. "Wir müssen sie mittragen und dabei auch offen für Abzweigungen sein, die nicht in unser Konzept passen."

Burnout-Kids - Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert, Pattloch-Verlag, 2015

Penny Ritscher: Nachhaltige Erziehung in Krippe und Kindergarten - Das Slow School Konzept, Verlag Bananenblau, 2015

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema