Bea weiß nicht, wie sie das alles noch schaffen soll. "Ich kann nicht mehr!", sagte die 14-Jährige ihrem Psychiater. Ständig ist sie müde und traurig. Nichts schmeckt ihr mehr, und jede Kleinigkeit strengt sie an. "Bea ist immer eine gute Schülerin gewesen", erzählen die Eltern. "Jetzt quält sie sich nur noch." Nicht einmal ihre Freundinnen will sie noch sehen.
Für ihren Psychiater Michael Schulte-Markwort gehört Bea zu den "Burnout-Kids". Der Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hat ein Buch über das Phänomen geschrieben. Seit etwa fünf Jahren stellt er bei jungen Patienten immer öfter fest, dass sie wie Bea unter ständiger Erschöpfung leiden. "Burnout ist bei unseren Kindern angekommen", folgert er.
"Burnout-Kids" ist ein reißerischer Titel, das gibt auch Schulte-Markwort zu. Noch dazu existiert die Diagnose "Burnout" eigentlich nicht. Psychiater nutzen den Begriff nur gern, weil Patienten ihn lieber hören als die Depression, die sich hinter dem Ausgebranntsein verbirgt.
Eltern belasten Kinder mit Freizeitprogramm
Tatsache aber ist: 20 bis 30 Prozent der deutschen Kinder zwischen elf und 17 Jahren fühlen sich häufig erschöpft, das hat auch die "Health Behaviour in School-aged Children"-Studie der Weltgesundheitsorganisation jüngst gezeigt. Schulte-Markwort betont: "Es geht mir nicht darum, unsere Kinder effekthascherisch krank zu reden."
Er will aufrütteln. Auch jetzt in der Sommerzeit, wo unzählige Eltern schon wieder Englischkurse, Segellehrgänge oder Akrobatik-Camps für ihre Kinder buchen, damit in den Ferien ja keine Langeweile aufkommt oder Wochen einfach so verstreichen.
Es ist "das Prinzip Leistung", das die Kinder überfordert, sagt Schulte-Markwort. Dabei sind es aus Sicht des Psychiaters nicht unbedingt die Eltern, die den Druck aufbauen. "Natürlich gibt es überfordernd leistungsbezogene Eltern", sagt er, "aber das ist nicht das Hauptproblem." Vielmehr habe die Ökonomisierung die ganze Gesellschaft durchdrungen und damit auch die Gehirne der Kinder, so der Professor: "Viele Eltern sagen, unser Kind ist so ehrgeizig, es muss das nicht für uns tun. Und sie meinen das auch so."
Schon Grundschüler spüren Leistungsdruck
Die Eltern sind nämlich oft selbst Opfer des alles durchdringenden Leistungsprinzips, das sie unbewusst an ihre Kinder weitergeben. Sie zerreißen sich zwischen Beruf, Partnerschaft, Haushalt und den hohen Ansprüchen an die Erziehung ihrer Sprösslinge, die sie im Anschluss an einen langen Horttag nachmittags noch zum Leistungsturnen, zur Malschule, zum Logopäden und zur Dichterwerkstatt kutschieren.
"Das gesellschaftliche Klima vermittelt schon den Kleinsten, dass nur Leistung zählt", warnt Schulte-Markwort. Und so sind Grundschüler der Meinung, dass ihr Leben gelaufen ist, wenn sie den Übertritt aufs Gymnasium nicht schaffen; und Jugendliche quälen sich mit dem Gedanken, ihr Studium nicht frei wählen zu können, wenn der Abi-Schnitt schlechter wird als 1,5.
Aus diesem Hochdrucksystem muss dringend Luft abgelassen werden, meint auch Antje Bostelmann - am besten schon in der Vorschulzeit: Die Erzieherin setzt in den von ihr gegründeten "Klax"-Kindergärten auf Entschleunigung und mehr Freiheiten. "Die heutige Kindheit ist verplant, bis zur Lähmung unterhalten und äußerst gut bewacht", sagt Bostelmann.