Frankfurt am Main:Mit Tee und Schlafsäcken: Frankfurter Kältebus auf Tour

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Die Sozialarbeiterin Elfi Ilgmann-Weiß legt einem schlafenden Obdachlosen eine Decke über. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Halb sitzt der Mann, halb liegt er auf der Bank einer Bushaltestelle im Frankfurter Stadtteil Rödelheim, zusammengesunken und reglos trotz des Verkehrslärms und...

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Frankfurt/Main (dpa/lhe) - Halb sitzt der Mann, halb liegt er auf der Bank einer Bushaltestelle im Frankfurter Stadtteil Rödelheim, zusammengesunken und reglos trotz des Verkehrslärms und der Straßenbeleuchtung um ihn herum. Wenige Meter von dem Obdachlosen entfernt hat Johannes Heuser den Kältebus des Frankfurter Vereins für soziale Heimstätten geparkt, während seine Kollegin Elfi Ilgmann-Weiß den Mann vorsichtig anspricht. Sie erhält aber keine Antwort. Nach einem prüfenden Blick auf die Bekleidung des Ruhenden holt sie eine blaue Decke aus dem Wagen, breitet sie über dem Obdachlosen aus. Was sie hier tut, ist für eine Frau auf der gegenüberliegenden Straßenseiten wohl nicht ersichtlich, denn aus einem offenen Fenster schallt eine resolute Stimme durch die Dunkelheit: „Lassen Sie den Mann in Ruhe!“

„Alles gut - Wir sind vom Kältebus, wir wollen nur helfen!“, ruft Ilgmann-Weiß zurück. Sie empfindet die Reaktion von der anderen Straßenseite vor allem positiv. „Es ist gut, dass es Leute gibt, die genau hinsehen, wenn Obdachlose in ihrer Gegend sind.“ Auch die Arbeit des Kältebusses profitiert davon. „Seit dem 13. Oktober haben wir schon 122 Meldungen von Bürgern bekommen“, sagt Heuser. Die Anrufer können unter einer zentralen Nummer anrufen, damit die Sozialarbeiter der beiden Kältebusse, die von Mitte Oktober an Nacht für Nacht Schlafplatze von Obdachlosen aufsuchen, auch „Neue“ in ihrer Runden aufnehmen können.

Denn wenn Heuser und Ilgmann-Weiß oder andere ihrer Kollegen aufbrechen, haben sie nicht nur Tee und ein paar Naschereien, sondern auch Schlafsäcke, Isomatten und Decken mit dabei. Orange Armbinden weisen sie als Mitarbeiter aus. Es ist ein niedrigschwelliges Angebot für die 70 bis 80 Menschen, die auch im Winter in Frankfurt im Freien übernachten. Wenn die beiden Sozialarbeiter wegen der Corona-Pandemie mit Mund-Nasen-Schutz unterwegs sind, halten sie die Gefahr, dass die von ihnen betreuten Menschen gefährdet sind, für eher gering. „Unsere Leute sind eher Einzelgänger“, sagt Heuser.

Viele vor allem der deutschen Obdachlosen, die im Freien schliefen, hätten psychische Probleme. Etwas anders sei die Situation der Ost- und Südosteuropäern, die seit der EU-Erweiterung eine größere Gruppe von obdachlosen Menschen ausmachen. Psychische Probleme hat auch der Mann an der Bushaltestelle. „Den kennen wir schon seit vielen Jahren“, sagt Ilgmann-Weiß. „Wenn er wach ist, erzählt er viel und gerne - aber das meiste davon ist ziemlich wirr.“

Wenn sie Obdachlose schlafend antreffen, sollen sie nicht gestört werden. Wer auf Ansprache reagiert, erhält das Angebot eines heißen Tees, eines Schlafsacks oder einer Decke. Für Hilfsangebote, die über die reine Notversorgung hinausgehen, sind andere Sozialarbeiter zuständig, die die Obdachlosen tagsüber aufsuchen können. In den kalten Nächten in Herbst und Winter hat vor allem eines Vorrang: Keiner soll erfrieren.

Die meisten, die in dieser Nacht aufgesucht werden, reagieren eher einsilbig, wenn sie überhaupt an ihren Schlafplätzen angetroffen werden. Vorsichtig leuchtet Heuser mit der Taschenlampe in das Gebüsch eines Kirchengrundstücks in Höchst. An der Stelle hat sich eine Frau ein geschütztes Lager aufgebaut und wohl versucht, alles etwas wohnlich zu gestalten: Solarlaternen schimmern noch schwach in den Ästen, auf einem Tischchen sind zwei Engelfiguren und eine Kerze aufgebaut, darüber hängt ein wohl gespendeter Adventskalender. Nur von der Bewohnerin ist nichts zu sehen. „Wir schauen in den nächsten Tagen noch mal vorbei, um zu sehen, ob es ihr gut geht“, sagt Ilgmann-Weiß.

Eher untypisch ist der 18-jährige Dominik, den die beiden Sozialarbeiter in einem überdachten Treppenabgang antreffen. Der junge Mann mit den dunklen Locken reagiert verlegen: „Ich habe hier noch gar nicht aufgeräumt.“ Den angebotenen Tee und Schlafsack nimmt er gerne an. Eigentlich sei er gar kein richtiger Obdachloser, erzählt er. „Ich schlafe bei meiner Mutter.“ Aber er sei hier, um sich um seinen Vater zu kümmern, der hier seinen Schlafplatz habe. Gegen die nächtliche Kälte schützt er sich mit vier T-Shirts, zwei Jacken und einem Pullover.

Für Menschen ohne Dach über dem Kopf sei das Jahr der Corona-Pandemie besonders schwer, sagt der junge Kroate. „Im ersten Lockdown gab es für die Flaschensammler nichts zu verdienen, und auch jetzt ist es wieder schlimmer geworden.“ Heuser und Ilgmann-Weiß versprechen, demnächst wieder vorbei zu kommen, um auch nach dem Vater zu sehen.

Dann geht es wieder zurück Richtung Frankfurter Innenstadt. An einer S-Bahn-Station lebt ein obdachloser Mann im Vorbau, doch an diesem Abend ist sein Lagerplatz verwaist. Die Decke ist ordentlich zusammengelegt, ein Pappteller und ein Kaffeebecher lassen vermuten, dass der Bewohner demnächst wieder auftauchen könnte. Wie bittere Ironie wirkt die Werbewand hinter dem Schlafplatz, wo ein Hotel auf sich aufmerksam macht: „Wer woanders schläft, ist selber schuld.“

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