Kolumne Vor Gericht:Trinken in der Ausbildung

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(Foto: Steffen Mackert)

Wie fühlt man sich mit einem Promille Alkohol im Blut? Ist man dann noch schuldfähig? Um das einschätzen zu können, musste unser Kolumnist als Jurastudent unter Aufsicht Wein trinken.

Von Ronen Steinke

Wenn man in eine Gerichtskantine hineinschaut, dann kann es passieren, dass man dort betrunkene Jurastudentinnen und -studenten sieht, die unter den zufriedenen Blicken von älteren, erfahreneren Juristen stetig betrunkener werden. Ein Trinken unter Aufsicht. Meist geschieht das nachmittags. Am Landgericht Hildesheim nennt man das "Alkohol-Selbsterfahrungsversuch", am Landgericht Hamburg einfach "Trinkprobe".

Bier, an so viel erinnere ich mich von meiner eigenen Trinkprobe in der Kantine in Hamburg vor Jahren, gab es nicht. Vielleicht fanden das die hanseatischen Altvorderen, die diese rechtsmedizinische Lehrveranstaltung organisiert hatten, zu vulgär. Es gab Wein. Auf den Tischen standen lauter Flaschen, rundherum lagen kleine Röhrchen, in Plastik verpackt, mit deren Hilfe man in ein Gerät hineinpusten konnte. Andererseits möchte ich auf meine Erinnerung nicht schwören.

Die Idee ist: So sollen die jungen Leute ein Verständnis dafür entwickeln, wie knülle man bei zum Beispiel 1,0 Promille bereits ist. Das ist aus zwei Gründen bedeutsam. Zum einen, damit sie streng werden und es ernst nehmen, wenn künftig mal jemand vor ihnen sitzt, der sagt: Mit 1,0 Promille habe er noch super Auto fahren können. Und zum anderen: Damit sie nachsichtig werden und verständnisvoll reagieren, wenn mal jemand sagt: Ich wusste gar nicht mehr, wie mir geschah, ich war nicht mehr voll schuldfähig.

Ewald Brandt gibt die hervorragende Zeitschrift "Blutalkohol" heraus

Man unterschätzt das nämlich. Bei 1,0 Promille können viele Menschen schon nicht mehr gerade stehen. Bei 1,0 Promille können sie indes sehr gut von der Gerichtskantine in Richtung der Toilette schwanken und dabei hervorragende Gespräche führen, der Weg führt in Hamburg unter einer Dachschräge vorbei, aus den Fenstern hat man einen fantastischen Blick, damals war das Rauchen im Gebäude noch erlaubt.

Ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob das eigentlich so gut ist, wenn rundherum Anwälte und Richter unterwegs sind, die ernste Dinge zu tun haben. Meist werden Trinkproben deshalb heute auch nicht mehr in Gerichten veranstaltet, sagt der Ex-Staatsanwalt Ewald Brandt, der beim "Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr" engagiert ist, der wiederum die hervorragende Zeitschrift "Blutalkohol" herausgibt. Sondern zum Beispiel in der Rechtsmedizin. Dort kommt natürlich weniger Stimmung auf.

0,5 Promille, das ist die erlaubte Grenze beim Autofahren. Ich würde nach meiner beschränkten Empirie sagen: Das ist schon ziemlich viel. Zwei Promille, das ist grob gesagt die Grenze hin zur verminderten Schuldfähigkeit. Dazu habe ich aber keine Meinung, diesen Wert hat damals in der Gerichtskantine niemand geschafft, beim besten Willen.

Kolumne
:Vor Gericht

In dieser Serie schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. Alle Folgen finden Sie hier.

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