Zeitgeschichte:Schuld und Sühne

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Klaus Kordon: Und alles neu macht der Mai. Beltz & Gelberg 2021. 441 Seiten. 22 Euro. (Foto: N/A)

Das Tagebuch einer Jugendlichen, die am Ende des zweiten Weltkriegs aus dem Warthegau flieht

Von Roswitha Budeus-Budde

Schon einmal hat sich Klaus Kordon in seinem großen historischen Œuvre mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt. In der "Trilogie der Wendezeit", die das Leben einer Berliner Arbeiterfamilie im

20. Jahrhundert, in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg schildert, berichtet der dritte Band, der 2003 erschien, von den letzten Kriegstagen und der Zeit unter sowjetischer Besatzung in Berlin.

In seinem neuen historischen Roman zur Zeitgeschichte "Und alles neu macht der Mai", der nur von den Jahren 1944/1945 erzählt, ist eine Familie vor der heranrückenden Roten Armee auf der Flucht aus dem Warthegau. Einquartiert als ungeliebte "Polacken" werden sie in einem norddeutschen Bauerndorf von einer sehr abweisenden Bäuerin empfangen. "Wie soll ich sie beschreiben?", fragt sich die 16-jährige Rena, die sich vorgenommen hat, für ihre zweijährige Schwester und auch für die beiden Brüder alles in einem Tagebuch festzuhalten. "Sie war mir vom ersten Blick an unsympathisch. Momm sagt, wir sollen nicht ungerecht sein, der lange Krieg habe manche Menschen eben hart gemacht ... Die Griess ... sah Jockel, Kutti und mich an. Ein Blick, als fragte sie sich, was die Katze ihr da wohl wieder ins Haus geschleppt hatte."

Klaus Kordon lässt Rena alles beobachten, Szene für Szene, wie in Nahaufnahmen werden Namen, Gesichter und Schicksale lebendig. Alle treten sie auf, die Nazis, die Denunzianten, die Verzweifelten, die Opfer und Verlierer und später die Kriegsgewinnler und Überlebenskünstler. Das Mädchen trifft sie auf der Flucht, später im Bauerndorf und dann in der englischen Besatzungszone in Frankfurt am Main. In den Schrecken der letzten Kriegswochen und dem darauffolgenden Chaos in den Besatzungszonen bleiben sie nicht Typen. Er beschränkt sich nicht nur auf Geschichten, die aus Krieg und Nachkriegszeit sattsam bekannt sind und zur sogenannten "Erinnerungskultur" zählen, sondern er schildert unterschiedliche Charaktere mit individuellen Zügen. Mit der Verantwortung für ihr Handeln.

Als zentrale Figur des Widerstands gegen das alte Denken sieht Kordon sie als Hoffnung für die Zukunft.

Besonders Rena muss sich mit der Frage nach Schuld und Sühne, dem wichtigsten Thema dieses Buches, auseinandersetzen. Sie freundet sich an mit Klaas, dem Außenseiter im Ort, dessen Vater, der ehemalige Pfarrer, nach einer Denunziation des Ortsbauernführers im Konzentrationslager umgebracht worden war. Als sie von ihm die Wahrheit über den Krieg und die Grausamkeit des Regimes erfährt, verliert sie ihren Glauben an die NS-Ideologie, an der sie als BDM-Mädchen bis dahin noch festhielt. Als zentrale Figur des Widerstands gegen das alte Denken sieht Kordon sie als Hoffnung für die Zukunft. Der ungebrochene Glaube an das Vaterland, an "Deutsche Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Treue, die gerade in schlimmen Zeiten hochgehalten werden müssten", diese Sprüche des Vaters stürzen sie in große Konflikte. Aus den Erfahrungen deutscher Geschichte hat Klaus Kordon hier schon die Schwierigkeiten des politischen und gesellschaftlichen Neuanfangs vor 70 Jahren beschrieben. (ab 14 Jahre und Erwachsene)

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