Wowereit über Berlins Kulturpolitik:Total begeistert in der Sackgasse

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Klaus Wowereits Bilanz für Berlins Kulturpolitik zeigt: Dieser Mann hat viele Meinungen, aber kein Konzept. Und er hat verdammt wenig vor.

Jens Bisky

Es kommt nicht allzu oft vor, dass Klaus Wowereit kulturpolitische Grundsatzreden hält, aber wenn der Berliner Regierende Bürgermeister zu diesem Thema wirklich etwas hätte sagen wollen, dann wäre am Montagabend dazu die Gelegenheit gewesen.

Vorbei die Jahre, in denen mit Hemdsärmeligkeit etwas zu gewinnen war: Klaus Wowereit hat kein Konzept für die Kulturpolitik. (Foto: ddp)

Eine Möglichkeit wie diese dürfte so schnell nicht wiederkommen. Die Zuhörer in der Bremer Landesvertretung, wohin das SPD-Kulturforum geladen hatte, waren ihm wohl gesonnen. Und seine Berliner Bilanz kann sich sehen lassen, ob man sie nun mit dem Hamburger Chaos heute oder der eigenen Vergangenheit, etwa der vom Vereinigungsstress erschöpften Hauptstadt des Jahres 1999, vergleicht. Vor wenigen Tagen erst hat ein Hamburger Wirtschaftsinstitut Berlin zum "Aufsteiger des Jahres" erklärt, weil es unter dreißig großen, nach ihrer "Zukunftsfähigkeit" sortierten deutschen Städten von Platz 24 auf Platz acht aufsteigen konnte.

An Zufriedenheit ließ es Wowereit erwartungsgemäß nicht fehlen. Er sei, sagte er mit einem Lächeln in Richtung seines Kulturstaatssekretärs André Schmitz, "selbst total begeistert" von dem, was man ihm da aufgeschrieben habe. Ansonsten aber verschenkte er den günstigen Augenblick und hielt eine peinigend platitüdenreiche Rede.

Kulturpolitik ist wichtig für Berlin, das wurde klar, soll irgendwie Wohlbefinden, Integration, Demokratie, Wirtschaft und Kreativität befördern. Vieles ist erreicht, manches noch zu tun - wer hätte das gedacht!

Dieser Bürgermeister aber, der seit 2006 auch das Amt des Kultursenators inne hat, versteht es noch immer nicht, die drei entscheidenden Fragen der Berliner Kulturpolitik auch nur zu beschreiben: Welche Rolle spielt die Stadt Berlin kulturpolitisch? Sie ist ja lediglich einer unter mehreren Akteuren auf der hauptstädtischen Bühne. Wo liegen die politischen Konflikte in der Kulturpolitik? Diese kann sich ja nicht darin erschöpfen, Überzeugungsarbeit zu leisten und Finanzierungsmöglichkeiten zu finden, auch wenn dies zunächst das Wichtigste bleibt. Und was, so lautet die dritte Frage, zeichnet eigentlich sozialdemokratische Kulturpolitik aus? "Kultur für alle" hieß das einmal zu Zeiten von Hilmar Hoffmann.

Unter den Möglichkeiten

In Berlin heute heißt das: Von 365 Millionen Euro im Kulturhaushalt gehen mehr als 200 Millionen an die Bühnen. Bibliotheken und Musikschulen aber sind oft in erbärmlichem Zustand, den Unwägbarkeiten der Bezirkspolitik überantwortet. Die freie Szene, in der die von Wowereit wortreich geforderte offene, aufgeschlossene, tolerante Gesellschaft Ereignis wird, erhält gerade einmal zehn Millionen Euro im Jahr. Warum es so ist, lässt sich erklären, vieles lässt sich rechtfertigen. Aber Position beziehen muss ein Kulturbürgermeister in diesem Konflikt, statt jovial über ihn hinweg zu berlinern.

Viel Beifall erhielt Wowereit, als er André Schmitz dankte, der es in der Tat geschafft hat, viele Problemfälle der Berliner Kulturpolitik weitgehend zu lösen. Dass Wowereit nun einen nach dem anderen durchkommentierte, war etwas ermüdend: Opernstiftung? Hat die drei Häuser gerettet, aber ob das der Weisheit letzter Schluss ist? Orchesterstreik? Wenig hilfreich, kontraproduktiv. Baustopp auf dem Schlossplatz, Humboldt-Forum verschoben? Da kann man sich als Berliner nicht recht freuen. Gedenkstätten, Mahnmale? Wichtig, touristisch ertragreich. Literatur? Wichtig. Tanz? Ebenfalls gefördert.

Dieser Mann hat viele Meinungen, aber kein Konzept, er hat auch verdammt wenig vor. Das mag oft ein Vorteil sein. In der Kulturpolitik lähmt es ebenso wie die Weigerung, die eigene Position und Aufgabe zu bestimmen. Gewiss, viele Akteure wurden genannt, vom Ortsverein bis zum Bund. Aber wie sieht Wowereit deren Verhältnis? Soll es so bleiben? Wünschen die Berliner Sozialdemokraten es anders?

Zweimal sah es in der 2011 endenden Legislaturperiode so aus, als würde die Berliner Kulturpolitik eigene Statur jenseits der Abarbeitung des Problemstaus gewinnen: als der Bürgermeister eine eigene Berliner Kunsthalle versprach und als er der gebeutelten Zentral- und Landesbibliothek einen Neubau in Tempelhof in Aussicht stellte. Das Kunsthallenprojekt sei fast gestorben, munkelt man in der Stadt. Lediglich eine Ausstellung zur Bestandsaufnahme und Präsentation der Vielfalt wird derzeit vorbereitet. Sollte sie ein großer Erfolg werden, könnte man über die Hallen-Idee wohl noch einmal sprechen. Deren Charme lag ja darin, dass der Berliner Boheme Freiheit und Förderung, Möglichkeit und Herausforderung zugleich zuteil werden sollten.

Der Bibliotheksneubau wird noch geplant, aber der rechte Elan fehlt bis jetzt. Warum führt man nicht endlich die öffentlichen Bibliotheken unter dem Dach einer Landesstiftung zusammen? Warum spricht Wowereit von einer Prioritätensetzung für Kultur, setzt aber kulturpolitisch keine klaren Akzente?

Wie gesagt: Die Berliner Bilanz ist so schlecht nicht. Aber daraus macht die Landesregierung zu wenig. Sie bleibt unter den Möglichkeiten, traut sich zu wenig, stößt junge Künstler und erfahrene Kulturbürger zu oft vor den Kopf. Dass die Stadt wieder einen ordentlichen Kultursenator bekommen sollte, sagte Wowereit auch. Zeit wird es.

Vorüber sind die Jahre, in denen mit Hemdsärmeligkeit und Pragmatismus etwas zu gewinnen war.

© SZ vom 03.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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