Ist halt gelegentlich so, wenn man Verbote übertritt: Man wird erwischt und bestraft, aber da haben die Entdeckungen, die man hinter den Verboten gemacht hat, schon Einfluss auf die Zukunft genommen. Genau das passiert dem jungen Mädchen Robyn in "Wolfwalkers". Wobei in ihrem Fall dazu kommt, dass die Regisseure Tomm Moore und Ross Stewart ein Märchen von Werwölfen, Jägern und Tyrannen erzählen, da geht es schnell um Leben oder Tod, bei den Entdeckungen wie bei den Konsequenzen. Für Robyn ist das anstrengend, für einen Abenteuerfilm perfekt.
Robyns Vater wurde aus England nach Irland beordert, weil er ein bekannter Wolfsjäger ist, sein Kind Robyn nimmt er mit. In Irland soll er alle Wölfe rund um die Stadt Kilkenny töten, damit die britischen Besatzer dort den dunklen, gefährlichen Wald roden können - die Gegend muss sicherer werden, schon die Landbevölkerung allein macht den Briten zu viel Ärger. Wir sind im Jahr 1650, es gibt historische Bezüge zu Oliver Cromwells Truppen in Irland, die dem deutschen Zuschauer vermutlich nicht vertraut sind. Aber das macht nichts. Der Film stellt eindeutig klar, wer die Herrschaft ausübt und wer darunter leidet, wer Befehle gibt und wer gehorcht.
Robyn gehorcht nicht. Weder ihrem Vater, noch dem britischen Befehlshaber, die ihr beide befehlen, zu Hause zu bleiben, um Mädchendinge zu tun. Putzen, heißt das im Klartext, und wer will putzen, wenn rundherum ein Wald voller Mutproben lockt. Also schleicht Robyn sich davon, geht jagen mit ihrem Falken Merlyn, schon ist die erste Begegnung mit den Wölfen da. Die allerdings sind nicht nur eine planlose Meute. Sie haben eine Anführerin, ungefähr in Robyns Alter, die tagsüber ein Mensch ist, aber nachts ein Wolf. Die Konsequenz ist selbstverständlich: Zwei kriegerische Mädchen wollen sich gegenseitig ärgern. Erst dann schließen sie die große Freundschaft.
"Wolfwalkers" ist auch eine Art Geschichte aus der Hood
Die Verwandlungen von Wolf zu Mensch und umgekehrt werden dadurch vereinfacht, dass "Wolfwalkers" ein Animationsfilm ist. Damit lässt sich auch entspannt zwischen Historiendrama und Fantasy pendeln, die krummen Häuser innerhalb Kilkennys massiger Stadtmauer werden genauso detailliert sichtbar wie später die akrobatischen Actioneinlagen über ihren Dächern. Produziert wurde der Film übrigens von Tomm Moores Firma Cartoon Saloon, die ihren Sitz in Kilkenny hat. Das macht "Wolfwalkers" auch noch zu einer Art Geschichte aus der Hood, es ist entsprechend viel Liebe drin, das kann man sehen.
Die Zeichnungen sind bunt und wild und überschwänglich, zweidimensional, wie mit dem Stift von Hand gemalt. Es gibt Reminiszenzen an Animes, wenn die verschiedenen Protagonisten lässig im Hintergrund herumlungern. Andere Bilder schwimmen in unscharfen Wasserfarbenrändern, das gilt für die psychedelischen Phasen, also nachts, wenn die Mädchen als Wölfe durch den Wald rennen und ihre Umgebung mit Wolfsverstand wahrnehmen. Man wird den Film sofort ein zweites Mal anschauen wollen, nur wegen seiner Zeichenkunst.
Denn auch Robyn wird zum Werwolf, dafür sorgt die Verbindung zum Wolfsmädchen Mebh. Man erlebt, was Wölfe tun und was sie können, wie sie riechen, hören, rennen, springen, heulen, die beiden Mädchen an der Spitze, immer unterstützt durch das Rudel, das hinter ihnen herweht wie ein riesiges graues Cape. Der Auftrag der Mädchen ist, dieses Rudel zu schützen, den Wald vor der Rodung zu bewahren, ihren jeweiligen Elternteil - Robyns Vater, Mebhs Mutter - zu retten und den britischen Besatzern eine Lektion zu erteilen, die ihnen die Lust an Irland ordentlich verdirbt. Viel Stoff, aus dem Tomm Moore und Ross Stewart Spannung rausholen, Aufregung, Herz. Sie zeigen, wie süß sich eine Freundschaft anfühlt, nachdem man lang alleine war, oder wie dumm sich die Erwachsenen anstellen, die nur das glauben, was sie sehen. Da sind Kinder immer schlauer, wie "Wolfwalkers" klar bestätigt.
Wolfwalkers , Irland, Luxemburg, Frankreich, USA, UK, 2020 - Regie und Buch: Tomm Moore , Ross Stewart. Mit den Stimmen von Sean Bean , Simon McBurney . 103 Minuten. Apple TV+