Debüt von "Wet Leg":Ist das feministisch?

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"Hey du, in der ersten Reihe: Kommst du später mit backstage?" Die Band "Wet Leg" alias Rhian Teasdale und Hester Chambers. (Foto: Hollie Fernando)

Trinkfeste Schlaubergerinnen, die über Stalker, Online-Hass und Sexismus grummelige Gags reißen: Warum der Pop-Hype um die Band "Wet Leg" an "Fleabag" und Sally Rooney erinnert.

Von Joachim Hentschel

Es ist ein kulturelles Stereotyp, das vom Diskurs zuletzt zwar ein bisschen überholt wurde, aber es gibt sie ja durchaus noch: die bösen Mädchen. Böse im Sinn von ganz allgemein aufmüpfig, unversöhnlich oder einfach grottenschlecht gelaunt. Also eben genau nicht, wie der Paternalismus es gern hätte, unartig oder herausfordernd provokant.

Man kennt sie aus dem berühmten, vom Sponti-Feminismus der 70er-Jahre gedichteten und dann weltweit durchgeleierten Spruch: "Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überall hin." Später hingen sie Kippen rauchend und arbeitsverweigernd in irgendwelchen Sitzecken herum oder behinderten genervt die Ermittlungsarbeit von Krimikommissaren. Tauchten als gruselige Paare in den Fluren verwunschener Hotels auf oder hackten sich so schnell und maulfaul in örtliche Zentraldatenbanken hinein, dass männliche IT-Profis die Münder nicht mehr zubekamen.

Backstage gibt es: warmes Bier und ein schickes Liegesofa für etwaige Fummeleien

Und dann, wie in diesem Fall, stehen die bösen Mädchen plötzlich auf leeren Wiesen in der Sonne, hocken auf Landliebe-Verandas herum. In niedlichen "Unsere kleine Farm"-Kleidern und mit großen Strohhüten. Schauen dabei unfassbar grimmig in die Kamera, maximal unmotiviert, voller apathischer Gereiztheit, und singen allerschwerst unterzuckert: "Hey you, in the front row, are you coming backstage after the show?" Was die Sängerin den Männern als Bonus anbietet, die sie hier von der imaginären Bühne herunter anquatscht, wie es früher ja immer bloß die Männer bei den Frauen machten: ein paar Flaschen warmes Bier und ein schickes Liegesofa für etwaige Fummeleien. Wer das nicht will, nun ja, der hat eben schon. Ende der Debatte.

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"Chaise Longue", so heißt dieser fast schon klassische Song, mit dem das britische Duo Wet Leg vergangenes Jahr einen unwahrscheinlichen Superhit landete. Mit den üblichen Abermillionen Streaming-Klicks, dem beschriebenen Landhaus-Video und so weiter.

Rhian Teasdale ist die Sängerin, Hester Chambers ihre Duettpartnerin, Gitarristin und Mit-Songschreiberin. Beide leben auf der Ärmelkanalinsel Isle of Wight, sind Ende 20 und damit eigentlich zu alt für den problematischen Begriff Mädchen, aber: Es ist nun mal das durch und durch Pennälerische, Unerwachsene und Rotkäppchen-auf-Dosenbier-Hafte, das die Gruppe Wet Leg konzeptuell ausmacht. Die Musik, sehr eingängig und pogotauglich, klingt wie eine am Alternative-Rock der 90er-Jahre geschulte Schülerinnenband, und natürlich schaffen Teasdale und Chambers es, den in englischer Mundart sowieso schon reichlich komischen Begriff Chaiselongue so endlos oft und knatschig zu wiederholen, dass er am Ende die Aura eines weißen, auf Billig-Gitarren begleiteten, als Kaugummi zerkauten Bad-Girl-Raucherecken-Hip-Hop bekommt.

(Foto: N/A)

Das gilt übrigens für das gesamte, nun endlich erschienene Album "Wet Leg", auf dem die zwei ihr Universum über zwölf kleine Stakkato-Rocksongs hinweg entfalten. "Ich brauche keine Dating-App, um rauszukriegen, wie scheiße ich aussehe", singt Rhian Teasdale in "Too Late Now", sensationell gelangweilt und mit der souveränen Selbstironie, die man mittlerweile auch als typischen Twitter-Humor kennt, der kokett vom Scheitern erzählt. An anderen Stellen berichtet sie vom Platzverweis im Supermarkt, vom chronischen Leiden am eigenen Desinteresse an der Welt und der bizarren Whatsapp-Nachricht des Ex-Freundes. Vergangene Nacht, so teilt ihr der Junge mit, habe er einen erotischen Traum von ihr gehabt. Woraufhin die Angeschriebene klug und böse zurückfragt: Wie er überhaupt auf die Idee komme, sich das Recht verdient zu haben, beim Onanieren an sie denken zu dürfen? Man kann sich halbwegs ausmalen, wie die Tänzerinnen Arm in Arm ausrasten, wenn dieser Song bei der Studentendisco läuft.

"Mach ich dir etwa Angst?", ruft Teasdale in einem anderen Lied einem anderen Ex-Freund zu. Und: "Nun ja, was bleibt einem Mädchen auch anderes übrig?" Starke Worte. Aber womöglich trotzdem etwas am Punkt vorbei.

Wer das Patriarchat stürzen will, muss irgendwann runter von der Chaiselongue

Denn für viele der potenziell Angesprochenen dürfte das alles wie ein eher versöhnliches, begrüßenswertes Szenario aussehen: eine Welt mit zwei trinkfesten Schlaubergerinnen, die über Stalker, Online-Hass, Sexismus und Lebensuntüchtigkeit auch endlich mal wieder ein paar grummelige, hoch über den Dingen lümmelnde Gags reißen können, anstatt sich allzu sehr darüber zu echauffieren. Die Furien des echten Hip-Hop, die ihre Krallennägel ausfahren, ständig mit ernsten Konsequenzen drohen und die Vagina dentata wie einen Kampfhund vor sich herführen, erregen im Vergleich doch wesentlich mehr Furcht. Wet Leg sind leichte, lustige Kost dagegen - wie die Serie "Fleabag" oder die Bücher von Sally Rooney. Wenn schon böse, dann doch bitte auf die schnuffige Art.

"Es ist rein technisch gesehen nicht unmöglich, das Patriarchat im Hello-Kitty-Tanga zu bekämpfen", hat die großartige britische Feministin Laurie Penny einmal geschrieben, "es kann allerdings ein bisschen unbequem werden." Von der Chaiselongue erheben muss man sich mindestens, wenn man das wirklich will.

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