Doku "Vier Sterne plus" im Kino:Was Patienten wirklich wollen

Lesezeit: 3 min

Krankenhaus-Manager David-Ruben Thies vor seinem neuen Matteo-Thun-Gebäude in Thüringen. (Foto: Verleih)

Wie sieht das Krankenhaus der Zukunft aus? Der Dokumentarfilm "Vier Sterne plus" verfolgt den Neubau eines "Patientenhotels" in Thüringen, entworfen vom Starachitekten Matteo Thun.

Von Martina Knoben

Venedig hat viele Sehenswürdigkeiten, David-Ruben Thies aber schaut sich ein Krankenhaus an. Es ist stilvoll in einem alten Palazzo untergebracht, die Flure aber sehen so funktional-trostlos aus wie überall. "Willst du hier gesund werden?", fragt Thies provozierend.

Er ist der Geschäftsführer eines Kreiskrankenhauses in Thüringen - und ein Visionär, der von einem Gesundheitssystem träumt, in dem der Patient im Mittelpunkt steht. Dazu gehört für den gelernten Krankenpfleger, der zum Manager wurde, weil ihn die Lage auf den Stationen frustrierte, auch eine Wohlfühl-Architektur.

Das neue Bettenhaus seiner "Waldkliniken Eisenberg" plant er als "Patientenhotel", designt vom Stararchitekten Matteo Thun, mit offenem Kamin (damit es in der Eingangshalle nach Holz statt nach Desinfektionsmitteln riecht), mit begehbarem Humidor ("Wir sind schließlich keine Lungenklinik") und Bioessen. Das alles soll es auch für Kassenpatienten geben. Eine verrückte Idee?

Wie geht wohlfühlen im Krankenhaus? David-Ruben Thies will es wissen

Antje Schneider hat den umtriebigen Manager über mehrere Jahre begleitet: wie er die Bauarbeiten koordiniert, Politiker umwirbt, Schwestern und Pfleger in die neuen Räumlichkeiten einweist oder versucht, in Vietnam Anästhesisten anzuwerben, oder in den Niederlanden neuartige Pflegekonzepte mit Großraumbüros für Ärzte und Schwestern studiert. Patienten, doziert Thies, wählten ihr Krankenhaus nicht vorrangig nach fachlichen Kriterien aus, nach der Qualifikation des Operateurs, Infektions- und Komplikationsrate, das alles sei für sie kaum nachvollziehbar. Sie wollten sich wohlfühlen.

Der schicke Neubau ist deshalb auch der Versuch, seine Fachklinik für Orthopädie mit kleiner Grund- und Regelversorgung konkurrenzfähig zu halten. Weil viele Häuser von der Insolvenz bedroht sind, fordern Experten schon länger, kleine Krankenhäuser zu schließen. Thies tritt deshalb auch als Werber in eigener Sache auf. Der Film klebt etwas zu sehr an ihm und seinen Ideen, Antje Schneider notiert aber sehr wohl auch die Widersprüche.

So zündet sich der Gesundheitsexperte, der so häufig von Prävention redet, auch immer wieder eine Zigarette an. Und kritische Fragen, die die Regisseurin nicht stellt, weil sie sich beobachtend im Hintergrund hält, kommen in einem Radiointerview zur Sprache: Wie viel Luxus ein Krankenhaus braucht zum Beispiel. Oder ob 600 000 Euro allein für die Eröffnungsfeier des Neubaus vielleicht doch zu viel sind für ein kommunales Haus.

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Die Perspektive des engagierten Krankenhausmanagers ist für den Film dennoch ein Glücksfall, weil sie Ideen von besserer Medizin und Pflege, Positionen, die gewöhnlich Ärzte, Pfleger oder Patienten vertreten, mit der Frage der Finanzierbarkeit zusammenbringt. "Vier Sterne plus" ist dadurch ebenso eine Dokumentation des Neubaus des Vier-Sterne-Hotel-Krankenhauses wie ein kritischer, für Utopien offener Blick aufs deutsche Gesundheitssystem: wie es ist, und wie es sein könnte. Nicht zuletzt die Pandemie hat gezeigt, wie viel hier im Argen liegt.

Thies scheint ziemlich genau zu wissen, woran das System krankt - im Großen wie im Kleinen. Die Ärmel der Ärztekittel zum Beispiel seien viel zu lang, schimpft er, wahre Keimschleudern seien das, wenn die Ärzte bei der Visite von Bett zu Bett gehen. Auch die Einzelbüros für Ober- und Chefärzte würde er am liebsten abschaffen, die hart erkämpften Statussymbole stünden einer fachübergreifenden Kommunikation nur im Weg. Die Patienten würde Thies am liebsten in sogenannten Units unterbringen, kleinen Einheiten, in denen Krankenschwester und Pfleger ihre Patienten immer im Blick haben. Dazu bräuchte es natürlich einen besseren Pflegeschlüssel. Über solche Ideen lässt sich streiten - anregend sind sie in jedem Fall.

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Und plötzlich spielt auch Corona im Film eine Rolle. Planbare OPs müssen verschoben werden; zwei Drittel des Personals sind krank oder kommen aus Angst nicht zur Arbeit. Thies scheitert bei dem Versuch, die Kaffeemaschine in seinem Krankenhaus selbst zu bedienen, es ist ein entlarvender Moment. Und die als große mediale Inszenierung geplante Einweihung des neuen Bettenhauses muss erst einmal abgesagt werden. Am Ende verabschiedet sich der zunehmend getrieben wirkende, völlig erschöpfte Krankenhausmanager in ein Sabbatical. Der Burn-out als Zwangspause in einem zermürbenden System.

Vier Sterne plus, D 2022 - Regie, Buch: Antje Schneider. Kamera, Schnitt: Carsten Waldbauer. Musik: Anna Kühlein. Verleih: Rise and Shine, 94 Minuten. Kinostart: 14.4.2022.

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