Es ist vielleicht die älteste Geschichte der Welt. Abendstunde, es regnet und gewittert, Pariser Tristesse. Der Mann will, auch wenn er sich das nie eingestehen würde, von seiner Arbeit einfach noch nicht nach Hause, wo die Frau schon wartet. Während er noch trödelig rumhängt, steht plötzlich eine fremde Frau im Raum . . .
Der Raum ist ein kleines Pariser Theater. Der Mann, Thomas, ist Autor und Regisseur und bereitet gerade sein neues Stück vor, eine Bühnenadaption der "Venus im Pelz", der notorischen Erzählung von Leopold von Sacher-Masoch, von 1870, von der der Masochismus seinen klinischen Namen hat. Das Bühnenbild ist schon mal schaurig chaotisch, zwischen Wagenschuppen und Folterkammer. Thomas ist ein wenig letschert, den ganzen Tag hat er Schauspielerinnen getestet, für die Rolle der Vanda, der Domina der Erzählung.
Die Frau heißt auch - Zufall? - Vanda, sie ist durch ganz Paris gefahren, um vorzusprechen, und schaut deshalb ein wenig ramponiert und ordinär aus, wie eine Obdachlose, mit Tasche und Tüte. Sie jammert, weil nun alles zu spät ist, sogar ein Kleid habe sie doch mitgebracht für die Rolle, tolles 18. Jahrhundert.
Ein Zwei-Personen-Stück, in einem gar nicht so zähen Ringen werden dem Mann Schritt für Schritt seine heimlichen Wünsche zum Bewusstsein gebracht. Roman Polanski mag die geschlossenen Räume, die Hinterstuben der modernen Gesellschaft, in die nur wenig Licht fällt - und wenn, dann ist es oft Bühnenlicht. Die vielstöckigen Bürgerhäuser von New York - in deren Gängen Rosemary versucht, den Mitgliedern der Teufelssekte auszukommen - und von Paris - in dessen Stockwerken der "Mieter" im gleichnamigen Film, von Polanski selbst verkörpert, einem mysteriösen Todessturz nachgeht, den er durchs Fenster zum Hof erlebt, und seinen eigenen Recherchen zum Opfer fällt. Auch wer das Theater betritt in "Venus im Pelz", sollte gleich alle Hoffnung aufgeben, die Kamera fährt dorthinein mit der Unerbittlichkeit einer Geisterbahn.
Polanskis Film basiert auf einem Broadway-Stück von David Ives. Seit einiger Zeit öffnet sich das Kino wieder stark dem Theater, nicht für Filmversionen seiner Stücke, sondern um den Raum auszuforschen zwischen theatralischer und filmischer Repräsentation, um das Spiel des Theaters über die Bühne hinaus zu verlängern - zuletzt hat sich in dieser Richtung Alain Resnais versucht mit seiner bewegenden, verstörenden Eurydike-Travestie "Vous n'avez encore rien vu/Ihr werdet euch noch wundern." Sie solle doch an einem anderen Tag wiederkommen, vertröstet Thomas Vanda, aber er hat natürlich keine Chance, trotz des martialischen Klingeltons seines Mobilphons, des Walkürenritts.
Kurzkritiken zu den Kinostarts der Woche:Altstars und junge Liebhaber
"Eltern" ist die bisher beste deutsche Kinokomödie des Jahres, "The Act of Killing" wahnsinnig. "Don Jon" ist eine moralfreie Verteidigung des Pornos und in "Last Vegas" reden Hollywood-Altstars über Brüste und Viagra. Für welche Filme sich der Kinobesuch lohnt - und für welche nicht.
Vanda wird gespielt von Emmanuelle Seigner, Polanskis Ehefrau, das macht den Film erst mal zu einem zwiespältigen private joke. Mathieu Amalric, der den Regisseur Thomas spielt, hat den Wuschelkopf und die Augen des jungen Polanski.
Vandas Kleid ist ein nicht besonders attraktiver dünner Theaterfetzen, aber wenn sie den dann auf dem Leib trägt und ihren ersten Satz aufsagt, macht das Licht aus ihr eine beinah überirdische Erscheinung. Sie dominiert den Blick, und Thomas dient sich ihr an, immer heftiger, ohne Rücksicht auf Verluste. Es werden die Rollen gewechselt in diesem Spiel der Unterwerfung, auch die Kleidung und das Halsband, das Vanda trägt. Dass sie überhaupt noch vorsprechen darf, ist einer Art kindischem Freud'schen Versprecher zu verdanken.
Es ist charmant zu beobachten, wie Polanski bei seinem Masoch-Pastiche auf dem Stand von Freud verharrt, die strukturelle Weiterentwicklung ignoriert, wie sie in den Sechzigern Gilles Deleuze betrieben hat, als er den Franzosen eine neue Ausgabe der "Venus im Pelz" präsentierte.
Wie viele aus dem 19. Jahrhundert ist auch Sacher-Masoch mit dem simplen Ödipus-Modell und seinen Mutmaßungen zu Dominanz und Kontrolle im Geschlechterverhältnis nicht wirklich zu fassen. Die "Venus" ist ein wüster, widerspenstiger, freigeistiger Text, der sich um Korrektheit nicht schert: "Ich nahm das Frühstück in meiner Gaisblattlaube und las im Buche Judith und beneidete den grimmen Heiden Holofernes um das königliche Weib, das ihm den Kopf herunterhieb, und um sein blutig schönes Ende. 'Gott hat ihn gestraft und hat ihn in eines Weibes Hände gegeben.' Der Satz frappierte mich. Wie ungalant diese Juden sind, dachte ich, und ihr Gott, er könnte auch anständigere Ausdrücke wählen, wenn er von dem schönen Geschlechte spricht ... Nun, was soll ich etwa anstellen, damit er mich straft?"
Lustvolle Erfahrungen als Loser
Masochismus zieht sich bei Polanski durchs ganze Werk, von Anfang an, schon in den Filmen auf der Filmhochschule von Lodz und im ersten Spielfilm "Das Messer im Wasser", in dem ein älterer und ein junger Mann um eine Frau streiten und dabei merken, wie lustvoll die Erfahrungen als Loser sein können; ein klassisches Kammerspiel, auch wenn alles auf einem Segelboot auf einem polnischen Ausflugsee spielt.
Dass nach all den schrecklichen Erfahrungen und Leiden in seinem Leben - das Ghetto von Krakau, der brutale Mord an seiner Frau Sharon Tate durch die Manson Family, die Nachstellungen der amerikanischen Justiz wegen ungesetzlichem Sex mit einer Minderjährigen, die Verhaftung in der Schweiz - Spiele der Erniedrigung und Unterwerfung Polanski derart faszinieren, berührt merkwürdig. Und scheint doch irgendwie auch logisch. Übel mitgespielt wird den Männern in seinen Filmen, selbst den ganz großen Stars - Harrison Ford, Johnny Depp, Ewan McGregor werden gedemütigt und entblößt und gequält, und Jack Nicholson wird die Nase aufgeschlitzt in "Chinatown".
Masochismus, aber auch Transvestismus. In "Wenn Katelbach kommt" wird 1966 Donald Pleasance von seiner Geliebten - es ist die junge Françoise Dorleac, die Schwester von Catherine Deneuve, die zuvor die traurige Heldin in "Ekel" spielte - in ein Nachthemdchen gesteckt und mit Lippenstift traktiert. Im "Mieter" trägt Polanski selbst bei der Suche nach einer toten Frau, verrückter noch als Jimmy Stewart in "Vertigo", eine blonde Perücke.
Das Nicht-nach-Hause-Wollen der Männer hängt mit den Anforderungen der modernen Gesellschaft zusammen und den Versagensängsten, die sie auslösen. Der Masochismus ist eine radikale Konsequenz davon, der Unbehaustheit und Lust am Versagen zusammenbringt. Polanski dekliniert ihn auf einer ganz abstrakten, höchst absurden Ebene - in den Sechzigern hatte er immerhin Becketts "Godot" verfilmen wollen. Es ist ein kreativer, ein schöpferischer Masochismus, den Polanski durchspielt.
Es ist der geheime Traum jedes Regisseurs, jedes Managers, jedes Machers - die Seiten zu wechseln, den sicheren Platz am Kontrollpult aufzugeben und sich unter jene zu mischen, die agieren müssen, dem Blick und den Anordnungen von draußen ausgesetzt. Einen Ort der Ruhe finden, an dem man seine Überlegenheit, seine Individualität, seine Würde verlieren mag.
La Vénus à la fourrure, F 2013 - Regie: Roman Polanski. Buch: David Ives, Roman Polanski. Nach dem Stück von David Ives. Nach der Novelle von Leopold von Sacher-Masoch. Kamera: Pawel Edelman. Musik: Alexandre Desplat. Mit: Emmanuelle Seigner, Mathieu Amalric. Prokino, 96 Minuten.