Roman Polanski zum 80. Geburtstag:Unverwüstlich

Er hat die Schuld anderer Menschen ertragen müssen und Roman Polanski hat sich auch selbst schuldig gemacht. Nun wird der Regisseur 80 Jahre alt. Ein Rückblick auf sein Leben.

Von Paul Katzenberger

1 / 13
(Foto: dpa)

Er hat die Schuld anderer Menschen ertragen müssen und Roman Polanski hat sich auch selbst schuldig gemacht. Nun wird der Regisseur 80 Jahre alt. Ein Rückblick auf sein Leben. Der Beruf des Filmregisseurs gehört zu den stressigsten Tätigkeiten überhaupt, doch er scheint oft wie ein Jungbrunnen zu wirken: Der bald achtzigjährige Woody Allen dreht noch immer jedes Jahr einen Film und übt täglich Klarinette. Sein Kollege Costa-Gavras, der im Februar seinen 80. Geburtstag feierte, jettet derweil von einem Filmfestival zum nächsten und hält dort Vorträge, ohne dass seine Produktivität darunter leiden würde: Er hat ebenfalls gerade einen neuen Film vorgelegt. Roman Polanski feiert an diesem Sonntag seinen 80. Geburtstag, und auch bei ihm könnte man meinen, dass dies ein Fehler sein muss. Mit seinem Tatendrang wirkt er eher wie ein 60-Jähriger - bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes präsentierte er gerade seinen neuen Film, "La Venus à la fourrure".

2 / 13
(Foto: Bundesarchiv)

Dabei haben wohl nur wenige Menschen eine ähnlich aufwühlende Vita vorzuweisen wie Roman Polanski: Wären seine Lebensstationen nicht zweifelsfrei dokumentiert, man müsste sie in der Zusammenschau für die erfindungsreiche Fiktion eines schauererregenden Erzählers halten. Die Tragödien, die der Oscar-Preisträger in seinem Leben mitgemacht hat, hätten ausgereicht, um mehr als einen Menschen zu brechen: 1933 in Paris als Sohn des jüdischen Spielzeugmachers Ryszard Liebling und dessen russischer Frau Bula Katz-Przedborska geboren, siedelte Polanski im Knabenalter mit seiner Familie nach Krakau um - und geriet dort unter die Besatzung der Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Bei Kriegsbeginn floh seine Mutter mit ihm und seiner Halbschwester nach Warschau, doch das erwies sich als sehr unsicheres Pflaster für Juden. Die Familie kehrte nach Krakau zurück, wo sie gezwungen war, im jüdischen Ghetto zu leben. Eine tödliche Falle. Opfer des braunen Gulag-Systems: Hungernde Kinder in Lumpen im Warschauer Ghetto 1940.

3 / 13
(Foto: Scherl)

Roman Polanskis Mutter fiel, im sechsten Monat schwanger, der Judenverfolgung in den Gaskammern von Auschwitz zum Opfer, wie fast auch sein Vater und Bruder, die das Konzentrationslager Mauthausen nur wie durch ein Wunder überlebten. Der junge Roman überstand den Holocaust nur, weil er in wechselnden Verstecken bei Verwandten in der Stadt und bei Kleinbauern auf dem Land unterkam. Die katholischen Landwirte hätten ihm erst vermittelt, was Religion sei, sagte Polanski in einem seiner seltenen Interviews, das er im vergangenen Jahr der Welt am Sonntag gab. Denn seine Familie habe keinerlei Gebote der jüdischen Religion befolgt, außer bei großen Festen, wenn sie sich etwa zum "Seder"-Dinner getroffen habe: "Ich hatte als Kind keinen Glauben. Ich betete nicht, gar nichts." Steinbruch des KZ Mauthausen Steinbruch des Konzentrationslagers Mauthausen.

4 / 13
(Foto: AFP)

Nach dem Krieg fand Polanski schnell zur Kunst und bald darauf zum Film: Von 1950 an studierte er Malerei, Bildhauerei und Grafik an der Kunstakademie von Krakau, wo der schauspielbegeisterte Teenager Mitglied der Theatergruppe wurde. Weil er von zu kleiner Statur war, wurde ihm allerdings die Aufnahme in die Schauspielschule verweigert. Von 1954 bis 1959 besuchte Polanski daraufhin die Filmhochschule in Lodz, auf der er den polnischen Regie-Großmeister Andrjej Wajda kennenlernte. Diese Begegnung sollte von entscheidender Bedeutung für seine künstlerische Entwicklung werden: Seine hoch gelobte Lodzer Abschlussarbeit, der Kurzfilm "Zwei Männer und ein Schrank" (1958) mit dem Regisseur in der Hauptrolle, erhielt internationale Preise, unter anderem bei den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen. Der polnische Regisseur Andrzej Wajda im 2007 in Warschau.

5 / 13
(Foto: Imago Stock&People)

Bereits 1959 zog Roman Polanski nach Paris, doch seinen ersten Spielfilm, "Das Messer im Wasser", drehte er 1961 in Polen. Das Beziehungsddrama fiel dort bei der staatlichen Kulturbehörde und der Fachkritik aber durch, während es im Westen als Sensation gefeiert und Polanski 1962 mit einem Kritikerpreis beim Filmfestival von Venedig und 1963 mit einer Oscar-Nominierung ausgezeichnet wurde. Fortan arbeitete Polanski nur noch im Westen und erarbeitete sich dort mit seinem ungewöhnlichen Blick auf die Dinge und seinen häufig amoralischen und albtraumhaften Geschichten den Ruf eines Meisters der Klaustrophobie. Stilprägend sollte nach der Horrorkomödie "Tanz der Vampire" (1967) sein Horrorfilm "Rosemaries Baby" (1968) werden. Der mit Mia Farrow und John Cassavetes in den Hauptrollen besetzte Film gilt bis heute als Klassiker des Horrorfachs - oft kopiert, doch selten erreicht. Das Drehbuch basierte auf dem gleichnamigen Roman von Bestseller-Autor Ira Levin, der Rosemarie in seinem Buch den "Sohn des Teufels" gebären lässt. Das Grauen erreicht Polanski vor allem im Kopf der Zuschauer und weniger durch plumpe Effekte: Indem er Zweifel an Rosemaries berechtigtem Argwohn am Ehemann und seiner offensichtlichen Verschwörung mit den satanistischen Hausnachbarn sät, flößt er dem Zuschauer auf viel subtilere Art Entsetzen ein als es etwa "Der Exorzist" von 1973 mit seiner schablonenhaften Darstellung des Satans vermochte.      Rosemary (Mia Farrow) und Guy Woodhouse (John Cassavetes) in "Rosemaries Baby".

6 / 13
(Foto: dpa)

Kaum war "Rosemaries Baby" Ende 1968 in die Kinos gekommen, begann für Roman Polanski allerdings erneut eine Zeit des Schreckens. Bei den Dreharbeiten zu "Tanz der Vampire" hatte der Regisseur die Schauspielerin Sharon Tate kennengelernt, die damals als eine der schönsten Frauen der Welt und als Stilikone der Swinging Sixties galt. Tate gelang mit ihrer Rolle der Sarah Shagal in "Tanz der Vampire" nicht nur der Durchbruch, sie fand in Roman Polanski auch einen neuen Lebensgefährten.  Alles schien zu passen: Polanski war auf dem Sprung nach Hollywood - seine und Tates Berühmtheit strahlten aufeinander ab, gewagte Fotos in der Klatschpresse (im Bild) trugen das Übrige dazu bei. Doch dann nahm das Unglück seinen Lauf. Während sich Polanski im August 1969 bei Dreharbeiten in London aufhielt, wurde die schwangere Sharon Tate in Polanskis Haus in Los Angeles von vier Mitgliedern der so genannten Manson-Sekte neben drei weiteren Freunden bestialisch ermordet. Nach der Tat schrieb einer der Täter an die Tür des Anwesens mit dem Blut Tates das Wort Pig (Schwein).  Roman Polanski und Sharon Tate Ende der Sechzigerjahre

7 / 13
(Foto: AFP)

Die Tat angeordnet hatte Charles Manson, der 1967 in San Francisco eine Hippie-Kommune um sich versammelt hatte, die er als selbst ernannter Prophet führte. Der Rassist Manson, der nie fließend lesen und schreiben gelernt hatte, gab seiner Manson Family bizarre Regeln vor (das Tragen von Brillen etwa war streng verboten) und lockte neue Mitglieder durch die Verheißung von Gruppensex und Drogenmissbrauch an. Über die Motive für den Mord an Sharon Tate wird bis heute gerätselt, einiges spricht dafür, dass der Sektenführer mit der Tat lediglich Aufsehen erregen wollte.  Manson wurde im Oktober 1969 wegen Brandstiftung festgenommen, doch während seiner Haft stellte sich heraus, dass er die vier Mitglieder der Manson Family zur Tat angestiftet hatte. 1971 wurden die Mörder und Manson zum Tode verurteilt, doch das Urteil wurde nach der Abschaffung der Todesstrafe in Kalifornien 1972 in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Polanski war, als er in London von dem Mord Nachricht erhalten hatte, umgehend nach Los Angeles gekommen. In einem Akt der Verzweiflung erlaubte er Fotoreportern des Magazines Life, die blutverschmierten Räume seines Hauses zu betreten und gab vor der Presse eine Stellungnahme zu der Gräueltat ab, bei der er die Tränen nicht vermeiden konnte.  Charles Manson (rechts) 1971 kurz vor der Verkündung des Todesurteils. Während der Haft hatte sich der Sektenführer ein Hakenkreuz auf die Stirn tätowiert.

8 / 13
(Foto: Imago Stock&People)

Der Mord an Sharon Tate war nach dem Mord an seiner Mutter die zweite Tragödie im Leben Roman Polanskis. Der Regisseur zog sich für zwei Jahre aus dem Filmgeschäft zurück und drehte erst 1971 seinen nächsten Film - ein blutige Version des Shakespeare-Stoffes "Macbeth".  1974 meldete sich Polanski mit "Chinatown" zurück - einem Werk, das in die Filmgeschichte eingehen sollte. "Chinatown" war der erste Neo-Noir Film und der letzte große Studiofilm Hollywoods. Jack Nicholson schaffte darin den Durchbruch zum Superstar. Für die Dreharbeiten des 30er-Jahre-Krimis versammelten sich mit Nicholson, Faye Dunaway, John Huston, Drehbuchautor Robert Towne und nicht zuletzt Roman Polanski selbst lauter Exzentriker, was die Arbeit am Film erheblich belasten sollte. Unter anderem soll Polanski der als schwierig geltenden Dunaway nach Informationen der BBC eine Flüssigkeit ins Gesicht gespritzt haben, bei der es sich um Nicholsons Urin gehandelt haben soll. Doch das Ergebnis lohnte all die Dissonanzen: "Chinatown" wurde von der Kritik und vom Publikum mit Ovationen gefeiert. Wie schon bei "Rosemaries Baby" war es Polanski gelungen, ein Genre neu zu definieren: "Man ist ständig an 'The Big Sleep' oder an den 'Malteser Falken' erinnert", schrieb die Süddeutsche Zeitung in ihrer damaligen Besprechung des Films unter Anspielung auf die großen Noir-Filme der Vierzigerjahre. Doch in seiner inszenatorischen Brillanz sei "Chinatown" den großen Vorbildern sogar überlegen: "Mit atemberaubender Geschicklichkeit verpackt Polanski Informationen in scheinbar nebensächlichen Szenen, ohne je die verwirrende Atmosphäre aus Wagemut, Täuschung, Gefahr und Faszination zu zerstören", so die SZ damals. Chinatown wurde 1975 elf Mal für den Oscar nominiert, doch nur Drehbuch-Autor Robert Towne bekam den Academy Award schließlich. Er hatte für das Script fünf Jahre lang recherchiert. Szene aus "Chinatown" mit Jack Nicholson und Faye Dunaway.

9 / 13
(Foto: REUTERS)

Roman Polanski war eine glanzvolles Comeback gelungen, und erneut sollte er tief fallen. Im Mai 1977 wurde er verhaftet, weil er verdächtigt wurde, im Hause Nicholsons mit der damals 13-jährigen Samantha Gailey Intimverkehr gehabt zu haben. Polanski bekannte sich schuldig und saß eine 90-tägige Haftstrafe knapp zur Hälfte ab, bevor er vorzeitig entlassen wurde. Dann zeichnete sich allerdings ab, dass der Richter den Deal nicht einhalten wollte, den er zuvor mit der Staatsanwaltschaft und Polanskis Verteidigern vereinbart hatte. Polanski entzog sich der weiteren Strafverfolgung in den USA durch Flucht nach London und 1978 schließlich nach Paris.  Roman Polanski (rechts) im Mai 1977 mit seinem Verteidiger Doug Dalton beim Verlassen des Gerichts in Santa Monica, Kalifornien, wo ihm der Prozess wegen des Verdachts der Vergewaltigung von Samantha Gailey gemacht wurde. 

10 / 13
(Foto: Getty Images/AFP)

Samantha Geimer, wie die damalige Gailey heute heißt, hat in den Neunzigerjahren mitgeteilt, dass sie an einem weiteren Verfahren gegen Polanski nicht interessiert sei. Der Vanity Fair sagte sie zudem im August 2008, dass sie gegen Polanski "keinen Groll" mehr hege. Der Fall solle zu den Akten gelegt werden. Samantha Geimer 2008

11 / 13
(Foto: REUTERS)

Im September 2009 wurde Polanski am Flughafen in Zürich festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Los Angeles hatte ein entsprechendes Gesuch bei den Schweizer Behörden wegen des Verfahrens in der Angelegenheit Geimer eingereicht. Zwei Monate später durfte der Regisseur seine Gefängniszelle verlassen, allerdings unter der Auflage, dass er einen elektronisch - durch Fußfessel - überwachten Arrest in seinem Haus in Gstaad im Berner Oberland antrat. Im Juli 2010 wiesen die Schweizer Behörden den Auslieferungsantrag der USA ab und hoben Polanskis Hausarrest auf. Der Auslieferungsantrag der USA weise inhaltliche Mängel auf, hieß es zur Begründung.  Polanski, der seine Schuld eingestanden hat, sieht sich heute zu Unrecht durch die USA verfolgt. Es schmerze ihn, nicht mehr in die USA zurückkehren zu können, sagte er in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung im Oktober 2011: "Als Kind sah ich dieses Land als Vorbild, heute sind die USA für mich kein Vorbild mehr." Journalisten stehen am 4. Dezember 2009 in Scharen vor Roman Polanskis Haus "Milky Way" in Gstaad.

12 / 13
(Foto: DPA-SZ)

Noch bevor Roman Polanski 2009 von seiner kalifornischen Vergangenheit in den Siebzigerjahren eingeholt wurde, stellte er sich selbst erstmals in seinem filmischen Schaffen den Tragödien seiner Kindheit:  "Der Pianist" kam 2002 in die Kinos und brachte dem damals 69-jährigen Polanksi den ersten Oscar für die beste Regie ein.  Die Geschichte des polnischen Konzertpianisten Wladyslaw Szpilman, der mit verzweifeltem Instinkt und der Hilfe eines kunstsinnigen Wehrmachts-Offiziers die deutsche Besatzung Warschaus in wechselnden Verstecken überlebt, wurde als ein entscheidender Film für Polanski angesehen, auch weil er sich hier zum ersten Mal selbst mit dem Trauma seiner Kindheit konfrontiert habe, wie die Süddeutsche Zeitung im Mai 2002 schrieb.  Kritiker lobten die Wut und Suggestivkraft in seinen Bildern und registrierten einmütig, dass sie keine Unterhaltung oder emotionale Erfahrung bieten, sondern sich "ganz langsam ins Bewusstsein hineinfressen". Erst mit diesem Film sah Die Welt Polanski "so richtig bei sich angekommen".  Der jüdische Musiker Wladyslaw Szpilman (Adrien Brody) geht in einer Szene von "Der Pianist" verzweifelt durch das geräumte Warschauer Ghetto. 

13 / 13
(Foto: AFP)

Privates Glück fand Roman Polanski nach seiner Flucht aus den USA an seinem neuen Wohnort Paris: 1988 drehte er mit Emmanuelle Seigner und Harrison Ford den Thriller "Frantic", ein Jahr später heiratete er die Hauptdarstellerin, die mehr als 30 Jahre jünger ist als er. Roman Polanski mit seiner Frau Emmanuelle Seigner 2006 in Paris

© Süddeutsche.de/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: