3Sat-Doku über Uwe Tellkamp:Unverwandt im Auenland

Lesezeit: 4 min

Der Ort, an dem sich seine Welt entscheidet: Uwe Tellkamp am Schreibtisch. (Foto: Ulf Behrens/ZDF)

Eine 90-minütige Dokumentation porträtiert den Schriftsteller Uwe Tellkamp und geht der Frage nach, wie frei die Meinung in diesem Land und speziell in der Stadt Dresden ist.

Von Cornelius Pollmer

Sachsen, sagte Uwe Tellkamp einmal in einer bemerkenswerten Rede zum Tag der Deutschen Einheit, sei ein Land der stillen Farben. Und weiter: "Unwillkürlich verbindet sich für mich, denke ich 'Sachsen', das Wort Zurückhaltung mit den aufsteigenden Bildern." Selbst der Barock Dresdens wirke, kenne man andere Barockstädte, "vorsichtig und fragil; eher um Ausgleich als um Konflikt mit der umgebenden Landschaft bemüht".

Den Fluss, der dieses barocke Dresden durchmisst, überfliegt die Kamera zu Beginn der Dokumentation "Der Fall Tellkamp. Streit um die Meinungsfreiheit" in geringer Höhe - es ist die erste sachte Annäherung an eine Stadt, die, so der Sprecher, "von ganz Deutschland beobachtet wird, gerne auch argwöhnisch. Ist man in Dresden nur lauter, streitbarer, auffälliger als anderswo? Geht das, worüber in Dresden diskutiert wird, nicht das ganze Land an?"

Damit ist der Arbeitsauftrag für die folgenden knapp 90 Minuten formuliert. Der Film von Andreas Gräfenstein verhandelt den Fall Tellkamp unter dessen reger persönlicher Mitwirkung, er verhandelt Fragen von Konflikt und Ausgleich in der Gesellschaft, und vor allem solche der Meinungsfreiheit. Und dieser Film ist, dies gleich vorweg, trotz einiger Schwächen, ziemlich gelungen.

Tellkamp sieht die Elbauen und sagt: "Das war unser Land"

Nach der initialen Fahrt in noch blassen Morgenstunden begleitet die Kamera Uwe Tellkamp ans Ufer der Elbe. Deren Auen seien "tiefste Kindheitslandschaft", sagt er, "wir Kinder ... nicht vor dem Smartphone, sondern hier überall, das war unser Land". Es ist eine leise Szene, und wer allein beim verächtlich konnotierten Wort "Smartphone" mit dem Finger auf den Fernseher zeigt und "Boomer!" schreit, der wird diesem Film weit weniger abgewinnen können als möglich wäre.

Anders gesagt: Die Bereitschaft, Tellkamp zuzuhören und sich auf ihn einzulassen, sollte man schon mitbringen, erst dann lohnt es sich. Weil der Film zwar einerseits Autorenporträt und Milieustudie ist, weil er andererseits aber auch mit dem so gelassenen wie unbestechlichen Schriftsteller Ingo Schulze sowie einer ganzen Reihe von Journalisten immer hinreichend Personal bereithält, um keine Schlagseite in egal welche Richtung zu kriegen. Tellkamp darf Anklage erheben, etwa die, dass die "Korridore des Sagbaren" enger würden, und dass der zu zahlende Preis für wirklich freies Sprechen rasant gestiegen sei. Und andere dürfen es im Film anders sehen. Die gute alte Meinungsfreiheit, in diesem Film bleibt sie entspannt gewahrt.

Sachsen, sagte Tellkamp einmal, sei ein Land der stillen Farben. Im Bild: die Stadt Dresden. (Foto: Ulf Behrens/ZDF)

Dadurch entsteht eine interessante Perspektive auf den Schriftsteller. Über seine Kindheitserinnerungen und die im "Turm" beschriebene Spät-DDR geht es ins erweiterte Jetzt. Uwe Tellkamp sagt über dieses Jetzt: "Es ist für mich keine in diesem Maße funktionierende Demokratie mehr, wie ich sie seit 1990 habe kennenlernen dürfen, und die immer mein Ziel gewesen ist, zu der ich immer hinwollte." Er sagt, die Moralisierung von Debatten sei das eigentliche Problem. Er sagt, heute sollten bitte alle weltoffen sein, "na wirklich? Weltoffen ist der Gully, da fließt alles rein".

Uwe Tellkamp lässt viele solcher sehr direkten Momente zu, da ist manchmal kaum Zurückhaltung, da ist vielmehr Anspannung und da ist ein Furor, der in ihm tobt. Mal ist es ein belehrend auftretender Westdeutscher an der Käsetheke, der ihn in Rage bringt, mal ist es der seit mehr als 70 Jahren fröhlich vor sich hin-erbende Westen en gros, dem jetzt auch mehr als nur der halbe Elbhang gehört. Noch häufiger schließlich ist es der deutsche Journalismus von taz bis FAZ, dessen vormals üppiges Meinungsspektrum sich enorm verkleinert habe.

Aber genau da spielt dieser - wie gesagt - meinungsfreie Film dann eben seine Stärke aus. Nach Tellkamps J'accuse bekommt der FAZ-Kollege Stefan Locke einen großen Auftritt im Rahmen einer Lesung Tellkamps. Und der Kollege Locke ist nun leider einer der feinsten und unbestechlichsten Journalisten, die man sich nur vorstellen kann, ein tapferer und ausdauernder Sachsen-Reporter, bei dem jeglicher Gesinnungspolizei sofort die Gummiknüppel wegschmelzen. Man kann, als Zuschauer dieses Films, die Anwürfe Tellkamps hören, die Reaktion Lockes, und sich dann selbst ein Urteil bilden.

Uwe Tellkamp im Gespräch mit der Buchhändlerin Susanne Dagen. (Foto: Ulf Behrens/ZDF)

Ein paar Schwächen hat der Film trotzdem, einen leichten Hang zum Kitsch etwa, ohne den es in Dresden leider selten zugeht, oder auch die Darstellung der Problembuchhändlerin Susanne Dagen, die sich in einer Weise unschuldslammfromm gibt, was ihrer Gesamtpersönlichkeit eher nicht gerecht wird. Letztlich gelungen ist er aber, weil er neben seiner offenen Grundhaltung allen Seiten gegenüber den Schriftsteller Uwe Tellkamp zu jenem Ort begleitet, an dem sich seine Welt entscheidet - den Schreibtisch.

Alles lärmende Geräusch der Welt und ihrer täglichen Debatten verschwindet, wenn man Tellkamp dort sieht, schreibend mit Füller oder an der Schreibmaschine, auch deutend auf eine Art Grundriss seines neuen Buches. Wenn der Schriftsteller über sein Schreiben spricht, über den Schwingungs-, Unsicherheits- und "Nebelzustand", in dem für ihn Kunst und Literatur beginnen, dann ist seine schöpferische Kraft zu spüren, dann wirkt er im besten Sinne bei sich. Man vergisst als Zuschauer dann seinerseits den Lärm der Welt, sieht Tellkamp da sitzen und denkt, Mensch, von dem würde ich gern mal was lesen!

Aber natürlich gibt es den Schriftsteller Tellkamp nur in der Verbindung zur Welt, natürlich steht er erst durch diese Verbindung - wie er selbst sagt: - "mit meiner Haut im Spiel". Dass in diesem Spiel sowohl der Autor als auch seine Stadt Dresden wie dort speziell das Milieu Weißer Hirsch/Elbhang irgendwie gefangen scheinen in verschiedenen Vergangenheiten zwischen 1945, 1989 und 2015, ist eine zuweilen deprimierende Nachricht. Dem Film als Überbringer dieser Nachricht ist daraus aber kein Vorwurf zu machen.

Der Fall Tellkamp. Streit um die Meinungsfreiheit. Mittwoch, 18. Mai, 20.15 Uhr, 3Sat.

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