Netzkolumne:Auf dem Weg zum Techno-Feudalismus

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Elon Musk, König im selbst geschaffenen Reich. (Foto: Dado Ruvic/Reuters)

Absolute Herrscher, die ihre Launen ausleben und den "Zehnten" kassieren: Plattformunternehmen wie Twitter untergraben die Gesetze des Kapitalismus.

Von Michael Moorstedt

Seitdem Elon Musk vor einer knappen Woche die Kontrolle über Twitter übernommen hat, führt er sich auf wie ein absolutistischer Monarch. Mal legt er sich in Shitpost-Duellen willkürlich mit Nutzern an, dann schmeißt er innerhalb von ein paar Tagen knapp die Hälfte der Angestellten raus und am Ende des Tagwerks teilt er noch ein paar Fake News, gerne versehen mit einem nachdenklichen Emoji.

Angesichts von Musks Verhalten und vieler anderer Beispiele - angefangen bei Mark Zuckerberg, der die Milliarden Facebook-Nutzer qua Metaverse und übergestülpter Virtual-Brille in eine gänzlich neue Form der Unmündigkeit führen will - sinnieren gerade linke Denker darüber, ob wir uns auf dem besten Weg in eine neue Gesellschaftsform befinden, die man mangels besserer Begriffe Techno-Feudalismus nennt.

Dabei geht es jedoch nicht nur um die Tatsache, dass sich die CEOs aus dem Silicon Valley aufführen wie moderne Lehnsherren. Der Kern des Arguments ist der Gedanke, dass die heutigen Kapitalisten ihre Gewinne nicht, wie einst versprochen, reinvestieren, um neue Kapazitäten zur Steigerung von Produktion oder Produktivität zu schaffen. Stattdessen scheinen seine eigenen Gesetze den Kapitalismus zu untergraben und etwas Schlimmeres hervorgebracht zu haben.

Früher hatten Arbeiter ihren eigenen Verdienst, jetzt verdient der Vermittler

So zerstört Uber beispielsweise durch Lohndumping den Transportsektor und macht es Taxifahrern unmöglich, einen existenzsichernden Lohn zu verdienen. Airbnb hat im Hotelgewerbe auf ähnliche Weise zu Umsatzrückgängen und Entlassungen geführt. Lieferdienste wie Doordash unterminieren das Gaststättengewerbe durch ihre nicht lizenzierten Küchen, die die Speisekarten von Restaurants nachahmen. Durch Plattformunternehmen unterwerfen sich Handwerker, Putzfrauen, Hundespaziergänger, Reinigungskräfte einem neuen Mittelsmann, der Kundenbeziehung und Marktzugang kontrolliert. Und während diese Arbeiter früher einen eigenen Verdienst hatten, zieht nun der eigentlich überflüssige Vermittler eine neue Gebühr ein.

Ähnlich verhält es sich mit den großen sozialen Plattformen. Als Facebook, Twitter und Youtube vor einem Jahrzehnt aufkamen, ging es ihnen vor allem um das Teilen. Sie wollten, schreibt der Journalist Ryan Broderick, "dass wir unsere Beiträge, unser Leben, unsere Nachrichten, unsere Meme und unsere Freundesnetzwerke mit ihnen teilen". Dann aber begann sich die Argumentation zu wandeln: "Ohne sie hätten wir keinen einfachen Zugang zu all den Informationen, die wir ihnen gegeben hatten."

Gar nicht mal so subtil ist hier eine neue Kaste geschaffen worden. Für den modernen Menschen resoniert der Gedanke des Techno-Feudalismus deshalb heftig. Inzwischen verbringen wir unsere Zeit permanent damit, Informationen aufzuzeichnen und diese direkt an die wertvollsten Unternehmen der Welt zu übermitteln. Egal was wir tun und für wen wir arbeiten, stets schaffen wir auch Mehrwert für Musk und Zuckerberg.

Musk trennt die Twitter-Nutzer in Reiche und Fußvolk

Der beste und aktuellste Beleg für die These ist wahrscheinlich die ebenfalls von Musk angeregte Diskussion darüber, dass der blaue Haken, den verifizierte Twitter-Nutzer bislang stolz und ebenso kostenlos neben ihrem Namen trugen, in Zukunft nur noch gegen eine monatliche Gebühr gewährt werden soll. Je nach Laune von König Elon belaufen sich mögliche Summen mal auf sechs, 20 oder wieder acht US-Dollar. Auf die Frage, was man denn als Gegenwert erhalte, bleibt Musk ungewöhnlich vage. Es gibt ja auch kaum Argumente. Schließlich produzieren die Nutzer überhaupt erst die Inhalte, wegen der sich die Menschen auf der Plattform versammeln.

Bleibt man im Gedankenbild des Feudalismus, wäre die neue Gebühr eher die moderne Entsprechung des mittelalterlichen Zehnts. Diejenigen, die noch über genügend Kapital verfügen, können sich den Zugang zu einem höheren Stand erkaufen. Das Fußvolk dagegen wird in einen überfüllten und schlecht moderierten Inhalte-Slum gepackt, der von den Lehnsherren mit Werbung und Mikrotransaktionen gepflastert wird.

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