Türkisches Tagebuch (VII):Die Hexenjagd hat begonnen - SOS!

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Türkisches Tagebuch (VII): Wer die Pressefreiheit für sich in Anspruch nimmt, lebt gefährlich: Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan attackieren Journalisten in Ankara.

Wer die Pressefreiheit für sich in Anspruch nimmt, lebt gefährlich: Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan attackieren Journalisten in Ankara.

(Foto: AP)

Nach den Haftbefehlen gegen 42 Journalisten ist es dringend an der Zeit, einen Notruf an die Kollegen in demokratischen Ländern zu richten.

Gastbeitrag von Yavuz Baydar

Gestern morgen wurde ich sehr früh durch ein "Pling" geweckt. Ein Kollege hatte eine SMS geschickt: "Anscheinend geht der Großangriff los. Haftbefehl für Nazlı Ilıcak, sie suchen nach ihr." Das war das, was viele Journalisten seit Tagen befürchtet hatten. Nazlı Ilıcak ist mit ihren 72 Jahren eine Veteranin. Eine scharfzüngige Journalistin, die gerade erst durch die Schließung der liberalen Tageszeitung Özgür Düşünce ihren Job verloren hat.

Türkisches Tagebuch

Yavuz Baydar ist kein Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, sondern ein türkischer Gastautor. Er wurde 1958 geboren und ist Journalist, Blogger und Mitgründer von P 24, einer unabhängigen Medienplattform in Istanbul. Er hält sich derzeit außerhalb der Türkei auf. Für die SZ schreibt er einen täglichen Gastbeitrag. Deutsch von Alex Rühle.

Ich sprang aus dem Bett und versuchte, verschiedene Anwälte anzurufen. Bald war klar: Es kursiert eine Liste mit den Namen von 42 Journalisten, die alle verhaftet werden sollen, weil ihnen vorgeworfen wird, dem "medialen Ableger der Terrororganisation FETÖ" (Fethullahçı Terör Örgütü, zu Deutsch: Terror-Organisation der Fethullah-Anhänger, Anm. d. Red.) anzugehören, was bedeutet, dass sie angeblich der Gülen-Bewegung nahestehen. Die befürchtete Hexenjagd hat begonnen.

Während ich dies schreibe, sind mindestens 19 der 42 entweder verhaftet worden oder sie haben sich freiwillig gestellt. Wo Ilıcak gerade ist, wissen wir nicht. Elf Kollegen sind anscheinend im Ausland.

Die Liste ist bemerkenswert. Sie liest sich wie ein Who's who des seriösen Journalismus. Die meisten der Gesuchten sind mutige Reporter, von der Rechten wie von der Linken, sie alle haben über Korruption, Machtmissbrauch und den Niedergang der Demokratie recherchiert.

Büşra Erdal etwa, die für die mittlerweile geschlossene Tageszeitung Zaman gearbeitet hat, schrieb über Gerichtsverfahren und unser Rechtssystem. Bülent Muma flog kürzlich bei Hürriyet raus. Er ist ein durch und durch säkularer Kollege, der den Internetauftritt der Tageszeitung verantwortete und vermutet, dass er entlassen wurde, weil er auf Twitter kritische Fragen stellte. Er hat gestern ein Foto seines Presseausweises gepostet, der vom türkischen Journalistenverband ausgestellt worden ist, und geschrieben: "Das ist die einzige Organisation, der ich angehöre. Ich kenne keine andere. Ich kenne auch keinen anderen Beruf. Ich werde jetzt zur Staatsanwaltschaft gehen, um das zu Protokoll zu geben."

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