Favoriten der Woche:Zündende Idee

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Was Bleibendes: Theaterstreichhölzer rufen nicht nur Stücke, Spielzeiten und Logos, sondern ganze Ären in Erinnerung (Foto: Dössel)

Streichhölzer aus dem Theater sind nicht nur schöne Erinnerungen - sie erzählen auch etwas über die Häuser. Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus dem SZ-Feuilleton.

Von SZ-Autorinnen und -autoren

Theaterstreichhölzer

Vom Theater bleibt auf lange Sicht nichts als die Erinnerung. Wenn überhaupt. Theater ist flüchtig, es lässt sich nicht festhalten, nicht aufbewahren. Außer im Gedächtnis oder im Herzen, gerne unterstützt von Aufzeichnungen, Mitbringseln, handfesten Erinnerungsstücken. Zum Beispiel in Form von Streichhölzern. Gemeint sind Streichholzschachteln, wie man sie in den meisten Theatern als Giveaway bekommt, gestaltet im Look oder mit einem Spruch des jeweiligen Hauses.

Eine Sammlung solcher Schachteln, angelegt über Jahre und Jahrzehnte, kündet von einem reichen Theaterleben. Sie ruft nicht nur Stücke, Spielzeiten, Festivals und Logos, sondern ganze Ären in Erinnerung. Das etwas abgegriffene Exemplar vom Schauspielhaus Bochum mit schwarzem Strahlenherz auf rotem Grund ist noch aus der Zeit, als Leander Haußmann dort Intendant war (1995 - 2000) und die viel gescholtene Luftikus-Devise "Viel Spaß!" ausgab. Ein echtes Sammlerstück. Die schwarze Box mit dem stilisierten weißen Kreissägeblatt ist eindeutig von der Berliner Schaubühne. "Husch unter die Decke", lautet darauf in weißen Lettern der Spruch (aus einem alten Stück von Yasmina Reza).

Chic, wenn die Zündköpfe die Farbe der Schachtel haben, zum Beispiel Bioapfelgrün wie beim Schauspiel Stuttgart (Aufschrift: "Scheinwerfer"/ "Lichtwechsel") oder Lila wie bei einem älteren Exemplar vom Schauspiel Frankfurt ("Mein Leben ist ein Fest"). Rarer sind Streichholzbriefchen mit Hölzern zum Abbrechen oder edle Extra-Large-Editionen wie die vom Schauspiel Leipzig ("Die Pause ist ein Loch in der Zeit"). Es sind "kleine Theater-Reminder", sagt der Intendant des Münchner Residenztheaters Andreas Beck über die Schachteln. "Etwas zum Mitnehmen, Festhalten in dieser transitorischen Kunst."

Die sicherlich kultigsten Streichhölzer sind die von der Berliner Volksbühne aus der Castorf-Ära (1992 - 2017): richtige alte Holzschachteln, darauf in Rot, Weiß oder Gelb das berühmte Räuberrad-Logo von Bert Neumann. Legende! Angeblich handelt es sich hierbei um die Theaterstreichholz-Urschachteln. Erst danach, heißt es aus der Volksbühne, haben auch andere Theater mit dieser zündenden Marketing-Idee nachgezogen. Doch ausgerechnet die Volksbühne hat sie wieder abgeschafft. Unter René Pollesch gibt es dort keine Zündhölzer mehr. Wie schade. Sie waren ein Dauerbrenner. Christine Dössel

Radio: Lange Nacht über den ALT

Auch Hanna Schwarz - hier als Gräfin in der Oper "Pique Dame" bei den Salzburger Festspielen 2018 - kommt in dem Beitrag zu Wort. (Foto: Ernst Wukits/imago)

Carmen, immerhin. Die Titelrolle von Georges Bizets Oper wird zwar oft genug von Mezzosopranistinnen gesungen. Aber es ist durchaus eine Partie für die Stimmlage Alt, der sonst eher die kruderen, oft auch bösartigen Figuren zukommen: "Hexen, Huren, alte Weiber" heißt die dreistündige "Lange Nacht über den ALT" von Stefan Zednik bei Deutschlandfunk Kultur (Nacht zu Samstag, 0.05 Uhr) und Deutschlandfunk (Samstag, 23.05 Uhr; anschließend in der Audiothek).

Eine Hommage an die Randständigen und Verkannten, an die Unsympathischen und Zweifelhaften. Hanna Schwarz und Renée Morloc, zwei renommierte Altistinnen, sowie die einstige Intendantin der Deutschen Oper Berlin, Kirsten Harms, ergreifen Partei in dieser Sendung, die durchaus lustvoll durch die schattigeren Winkel im Volk der Opernfiguren streift. Stefan Fischer

Kochbuch aus der römischen Antike

Apicius: De re coquinaria. Über die Kochkunst. Verlag Reclam. Stuttgart 2023. 295 Seiten, 9 Euro. (Foto: Reclam)

Der wissenschaftlich-systematische Ehrgeiz der alten Römer zeigt sich auch in der Küche. Entsprechend den zehn Büchern zur Architektur von Vitruv gibt es auch zehn Bücher über die Kochkunst von Apicius, auch sie ein Paradebeispiel fürs Praktische. Bevor es ans Kochen geht, erfährt man zunächst etwas über die Herstellung der Gewürze und die richtige Aufbewahrung und Konservierung von Lebensmitteln. Es geht aber auch um das Erkennen von Qualität. Dazu lernt man selber kleinere Tricks und größere Täuschungsmanöver, etwa, wie man aus Rotwein Weißwein macht oder liburnisches Öl herstellt.

Sicherlich war dieses Kochbuch des Marcus Gavius Apicius - hier in einer zweisprachigen Ausgabe, übersetzt von Robert Maier - unter dem gemeinen Volk wenig verbreitet. Die Mehrheit der Römer musste sich mit frugaler Kost zufriedengeben, mit Hafergrütze und dergleichen. Beim Bürgertum sah das schon besser aus, und die Essgewohnheiten der Oberschicht schienen kaum Grenzen des Kochbaren zu kennen.

Das zeigen Rezepte für alle nur denkbaren Gemüse- und Fleischgerichte, für Reh, Rind, Lamm, Zicklein, Wildschwein, Hirsch und Siebenschläfer, aber auch für die Zubereitung von Flamingo und Papagei, von Austern und gemästeten Schnecken, alle möglichen Fischarten, von Taube, Rebhuhn, Kranich, Strauß und Fasan. Und die Auswahl an Gewürzen ist schier unüberschaubar. Dazu kommen Salate und Süßspeisen.

Wer glaubt, die europäische Kochkunst habe ihre Wurzeln in Italien, liegt richtig. Wer aber glaubt, sie habe sich erst in der Renaissance so vielfältig entwickelt, der irrt. Die Zauberküche des Apicius beweist: Ist alles bei den alten reicheren Römern schon dagewesen.

Für alle, die nicht Geschichte oder Latein lernen, sondern das Kochbuch tatsächlich als solches nutzen wollen, gibt es auch Rezepte nach heutigen Zutatenstandards; es kommen auch keine geschützten Tiere vor. Stattdessen: Leberknödel in Wursthaut, Melonensalat, Fischpfanne, Hähnchen mit flüssiger Füllung. Mit Vorsicht zu genießen ist allerdings ein Tipp für die Zubereitung von Vögeln aller Art: "Damit die Vögel nicht zu weich werden: Es wird für alle besser sein, sie mit dem Gefieder zu kochen. Vorher aber werden sie durch die Gurgel ausgenommen, oder, nachdem der Bürzel entfernt wurde, von hinten." Helmut Mauró

Gangsterfilm "Die Grissom Bande"

Wilder Haufen: Ma Grissom und ihre Jungs. (Foto: Pidax)

Raub, Mord, Entführung, Anfang der Dreißiger im Hinterland von Missouri. Nach wilder Nacht landet die junge Barbara Blandish im Farmhaus von Ma Grissom und ihren Jungs. Ma will, nachdem eine Million Dollar Lösegeld gezahlt ist, das Mädchen umlegen, aber ihr Sohn Slim hat sich verliebt und schützt es. Für die anderen ist er ein dimwit, ein Schwachkopf, einmal lachen sie sich krumm und scheckig über seinen modisch neuen Anzug, zehn Minuten lang.

Regisseur Robert Aldrich hat das degenerierte Amerika gnadenlos mit groben Strichen gezeichnet, vor allem seine Matriarchinnen (auf dem Foto: Irene Dailey als Ma Grissom). "Die Grissom Bande" (endlich auf DVD bei Pidax) ist von 1971, nach dem Roman von James Hadley Chase: "No Orchids for Miss Blandish", 1939. Ein Märchen über eine so groteske wie zärtliche Liebe, die mündet in einen Pseudo-Art-déco-Albtraum, schrillbunt, mit einer goldenen Kloschüssel. Fritz Göttler

Kinderbuch "Pizzakatze"

Will Gmehling: "Pizzakatze". Peter Hammer Verlag. Wuppertal 2023, 24 Seiten, 15 Euro. (Foto: Peter Hammer Verlag)

Es gibt Kinderbücher, die gefallen nur Kindern. Andere sind eher für die Eltern gemacht. Und dann gibt es die seltenen Exemplare, die sofort einschlagen, bei allen, und deren Texte und Verse sofort im Familiensprachgebrauch einziehen. "Pizzakatze" von Will Gmehling, erschienen im Peter Hammer Verlag, ist so ein Buch: ein bisschen absurd, voller Sprachwitz, aber doch lebensweltlich genug, um Kinder in den Bann zu ziehen. Dass es um Tiere und Essen geht, hilft natürlich, mit diesen Themen kriegt man alle, alte Journalistenregel.

Pizzakatze Pia ("flink und flitzig, MAMMA MIA!") liefert die beste Pizza der Stadt aus, zu verschiedenen Tieren mit lustigen Namen ("Anastasia und Atze / kaufen nur noch / bei der Katze."), im Zirkus, im Gefängnis (Atze!) "Oder mittwochs für die Kita: / Echte Pizza Margherita!". Illustriert hat es, ebenso humorvoll, Antje Damm. Ein Buch, das niemandem irgendetwas beibringen will, außer vielleicht: Das Leben ist schön, denn es gibt Pizza. Kathleen Hildebrand

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