Anicka Yi in der Londoner Tate Modern:Es riecht nach Kunst

Lesezeit: 3 min

Am Ende zeigt Annika Yi doch nur drohnengetriebene Ballons. (Foto: TOLGA AKMEN/AFP)

Die Künstlerin Anicka Yi wollte in der Tate Modern ein artifizielles Ökosystem installieren. Sagen wir so: Es sieht ganz hübsch aus.

Von Alexander Menden

Keiner der fünf Sinne war so betroffen von der Corona-Pandemie wie der Geruchssinn. Und das nicht nur bei jenen, die sich infizierten und ihn zeitweise ganz einbüßten, sondern auch bei den meisten anderen: Masken schützen zwar vor Aerosolen, verhindern aber zugleich, dass man seine Umgebung olfaktorisch wahrnimmt. Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass das erste, was dem - von der Maskenpflicht in öffentlichen Gebäuden befreiten - Besucher der Londoner Tate Modern in diesen Tagen besonders auffällt, ein Duft ist: Es riecht etwas muffig, wenn man die Turbinenhalle über die große Betonrampe betritt. Nach nassem Hund, oder feuchtem Geschirrschwamm. Nicht unangenehm, aber ungewohnt. Die Nase ist wieder eingeschaltet.

Der Geruch, der sich im Laufe der Zeit, die man hier verbringt, zu etwas Süßlicherem wandeln wird, ist keine Folge mangelnder Museumshygiene. Er gehört zum Konzept der diesjährigen "Hyundai Commission", die früher "Unilever Commission" hieß, einem Projekt, für das seit der Jahrtausendwende fast jedes Jahr jeweils ein Künstler diesen riesigen Raum im ehemaligen Kraftwerk an der Themse bespielen durfte. Doris Salcedo ließ der Länge nach einen Riss hindurchlaufen, Olafur Eliasson hängte eine Sonne an die Stirnwand, Ai Weiwei häufte tönerne Samen an. Niemand kann den Raum ganz füllen, niemand ihn in seiner ganzen Tiefe und Höhe ausnutzen - es sei denn, man würde die Themse temporär umleiten, wie ein britischer Kritiker es jüngst vorschlug.

Anicka Yi hat mit der Duftinstallation, die Teil ihres Turbinenhallen-Projektes "In Love With The World" ist, zumindest die Raumluft weitgehend ausgenutzt. Die wechselnden Gerüche sind als Pheromone jener von ihr erdachten Quasi-Kreaturen zu verstehen, die durch die Halle schweben. Diese Geschöpfe tauchen in zweierlei Form auf: Durchscheinende Ballons in umgedrehter Tropfenform, von denen je fünf Tentakeln herabhängen, und knuffige, gelbliche Dinger, die wie rudimentäre Köpfe mit Knollennasen wirken. Sie steigen und sinken, tanzen umeinander, ohne je den Boden zu berühren. Ein Balzritual? Nahrungssuche? Frei flottierende, richtungslose Existenz?

Die Frage hinter diesem Luftballett lautet: Wie wäre es, die Welt mit Maschinen zu teilen, die in freier Wildbahn leben und sich eigenständig weiterentwickeln könnten? Die 50-jährige Koreanerin, die gern an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft arbeitet, wollte die Turbinenhalle zu einem Ökosystem für lebendige Maschinen, animalische Cyborgs ohne organische Elemente umwandeln. Yi nennt diese evolutionären Maschinen "Aeroben" - die dicklichen heißen Planulae, die Tentakelbewehrten Xenojellies, also ungefähr: "Fremdpudding" sie hat sich nach eigener Aussage an Meereslebewesen und Pilzen orientiert. "Wie der Tanz einer Biene oder die Duftspur einer Ameise kommunizieren die Aerobier auf eine Weise, die wir nicht verstehen können", erklärt die Tate.

Das sanfte Zischen, die Gerüche, das alles dominiert den riesigen Raum scheinbar mühelos

Nun ist es nicht so als habe es nicht schon früher Versuche gegeben, die Turbinenhalle mit Schwebeteilchen zu füllen. Im Jahre 2016 etwa bestand Philippe Parrenos Installation "Anywhen" teilweise aus heliumgefüllten Folienfischen. Was Yis Projekt von den vorhergehenden unterscheidet, ist die Behauptung einer tamagotchihaften Veränderbarkeit der seltsamen Dinger, die sich da - übrigens komplett unbedrohlich - heben und senken.

Die zwei Spezies, Planulae und Xenojellies, in ihrer natürlichen Umgebung. Im Hintergrund: der Wartungsbereich. (Foto: TOLGA AKMEN/AFP)

Tatsächlich ist der rein ästhetische Eindruck, den man gewinnt, wenn man sich genügend Zeit für den luftigen Reigen nimmt, beruhigend, wie bei einer Lavalampe, oder beim Drachensteigen. Das sanfte Zischen, die Gerüche, das alles dominiert den riesigen Raum scheinbar mühelos. Doch die Idee einer sich selbst evolutionär fortentwickelnden Maschinenpopulation greift nie so recht. Das liegt zum einen daran, dass diese Kreaturen in abgesperrten - aber von der Traversbrücke leicht einsehbaren - Bereichen im hinteren Teil der Halle immer wieder gewartet und mit Gas befüllt werden müssen. Die Illusion ihrer existentiellen Autonomie hält nicht lange vor: Es sind drohnenbetriebene Ballons. Die Tentakel der Xenojellies haben keine Funktion, ebenso wenig wie die knolligen Auswüchse der Planulae. Und es gehört einfach mehr zu einem Ökosystem als zwei Spezies.

Am Ende ist diese Arbeit wohl am meisten zu genießen, wenn man sie als sanfte Intervention wahrnimmt, als versonnene Freizeitpark-Attraktion.

Anicka Yi: In Love With the World in der Tate Modern, London, bis 12. Januar 2022.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kunstfälscher
:Warhol für 250 Dollar

Die Gruppe MSCHF bietet tausend Versionen der Zeichnung "Fairies" an - die echte soll auch darunter sein.

Von Till Briegleb

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: