Streit um Goethe-Zeichnungen:Ein deutscher Kulturkrimi

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Kalter Krieg zwischen dem Goethe-Nationalmuseum und der Grafenfamilie Henckel von Donnersmarck: Zeichnungen von Goethe aus Weimar wurden heimlich verkauft - von einem Anwalt an einen Industriellen. Das wirft Fragen auf.

Christiane Kohl

"Man kann uns vorwerfen, dass wir gutgläubig waren", sagt Professor Wolfgang Holler von der Klassik Stiftung in Weimar. Aber sei das nicht verständlich angesichts einer "200-jährigen gemeinsamen Geschichte"?

Stets habe sich das Goethe-Nationalmuseum in bestem Einvernehmen mit der Familie Henckel von Donnersmarck gewähnt. Nun ist so etwas wie ein Kalter Krieg entstanden zwischen der Weimarer Stiftung, die das ideelle Erbe Goethes verwaltet, und der bayerischen Grafenfamilie, die aufgrund verwandtschaftlicher Bande mit Goethe bis heute Teile seines Nachlasses ihr eigen nennt.

Unbemerkt verkauft

Den Konflikt ausgelöst haben 39 Zeichnungen aus der Feder des Dichterfürsten: Nikolaus Henckel von Donnersmarck, ein Spross der Grafenfamilie und Anwalt in München, hatte sie vor einem Jahr unter einem Vorwand von der Stiftung zurück erbeten und kurz darauf unbemerkt für 1,5 Millionen Euro verkauft.

Ein klammheimliches Geschäft, dessen spektakuläre Aufdeckung in Thüringen prompt neue Zweifel an der Professionalität des Präsidenten der Klassik Stiftung nährte, dessen Vertrag nach zehn Jahren Dienstzeit im kommenden Frühjahr ausläuft und nicht wieder verlängert wurde. Zeitlich passend zur Diskussion um Seemann hatte die örtliche Bild-Zeitungsausgabe den Skandal um die "verschwundenen Goethe-Zeichnungen" aufgedeckt.

Der verheimlichte Verkauf wirft vor allem Fragen zur Praktikabilität des deutschen Kulturschutzgesetzes auf. Unklar ist überdies, ob und inwiefern beim Verkauf der Zeichnungen möglicherweise Rechtsnormen verletzt wurden. Und schließlich ist da noch der Käufer der Goethe-Zeichnungen, Hubertus von Baumbach, Mitglied der Geschäftsleitung des Chemie-Unternehmens Boehringer Ingelheim, ein nicht ganz unbekannter Repräsentant der deutschen Industrie. Lauter Ingredienzien, die aus dem Fall einen kleinen Kulturkrimi machen.

Goethes Schwiegertochter Ottilie war eine geborene von Pogwisch und Enkelin einer Gräfin Henckel von Donnersmarck. Nach dem Ende der DDR wurden im Wege der Restitution wertvolle Möbel, Gemälde sowie die Goethe-Zeichnungen, die auf Schloss Hirschhügel bei Rudolstadt lagerten, an die Adelsfamilie zurückgegeben. Im September 1994 schloss sie einen Leihvertrag darüber mit der Klassik Stiftung ab, der sich alle fünf Jahre "stillschweigend verlängert", wie es im Vertrag heißt. Zuletzt geschah dies am 2. September 2009, doch zu diesem Zeitpunkt hatte Nikolaus Henckel von Donnersmarck die 39 Goethe-Zeichnungen bereits unbemerkt verkauft.

In einem Münchner Tresor

In dem Kaufvertrag vom Juli 2009 versichert Donnersmarck dem Käufer, dass er für die Zeichnungen das alleinige Eigentum inne habe, "unbelastet und frei von Rechten Dritter". Kein Wort von dem Leihvertrag, der bis heute ungekündigt ist. Die Zeichnungen lagerten seinerzeit bereits in einem Münchner Tresor, Versicherungswert: 1,8 Millionen Euro.

Donnersmarck hatte sie im April 2009 zurückerbeten, für "Fotoaufnahmen der Dauerleihgabe Komplex Hirschhügel-Zeichnungen", wie es im Übergabeprotokoll hieß - im darauffolgenden Juli sollten sie wieder nach Weimar gebracht werden. Zehn der Zeichnungen kamen tatsächlich zurück, sie wurden in einer Ausstellung mit Landschaftszeichnungen gezeigt, die im Juli begann.

Während der Ausstellung, so erinnert sich Museumsdirektor Holler heute, sei aus Gesprächen mit dem Grafen erstmals der Verdacht aufgekommen, "dass er vielleicht andere Interessen hegt". Ob es auch schon Gerüchte um eine mögliche Ausfuhr ins Ausland gab, ist unklar. Am 25. November bat Seemann das Kultusministerium, die Zeichnungen als deutsches Kulturgut unter Schutz stellen zu lassen.

Warum man so lange gezögert hatte, erklärt Holler mit dem Hinweis, dass der Leihvertrag mit der Grafenfamilie unentgeltlich ist - da komme es "auf den Umgangston an". Über die Folgen der Unterschutzstellung aber wurde der Graf förmlich informiert - was für ihn wie eine Kriegserklärung wirken musste.

Am 11. Dezember 2009 erfolgte die vorläufige Eintragung, währenddessen hingen die zehn Zeichnungen noch in der Ausstellung. Rein formal durften sie also nicht mehr ausgeführt werden, die anderen 29 Bilder waren bereits im Salzburger Haus des Boehringer-Managers, weshalb sie nicht mehr unter Schutz gestellt werden konnten. Doch was sind schon Formalitäten, wo es um Kulturgeschichte geht?

Da hilft wohl nur eines: Miteinander reden.

© SZ vom 27.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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