Die Geschichte beginnt rasant. Boston, ein eigentlich ziemlich durchschnittlicher 14-Jähriger, wird morgens um 6.30 Uhr von einer Spezialeinheit des FBI aus dem Bett geholt. Illegaler Waffenbesitz, Überfall auf einen Geldtransporter, geplanter Amoklauf an seiner Schule, die Liste der Vorwürfe ist so lang wie ernst. Im Lauf der Ermittlungen kommt später sogar noch der Verdacht hinzu, er habe einen älteren Mitschüler ermordet, ihm kaltblütig mit einem Stein den Schädel eingeschlagen.
Von Anfang an baut der Jugendbuchautor Frank M. Reifenberg in seine Geschichte, die er in der amerikanischen Provinz spielen lässt, Irritationen ein. Irgendetwas stimmt hier nicht.
Die Beweislage scheint klar. Es gibt ein Video, das den Jugendlichen beim Überfall zeigt, die Amokdrohungen finden sich auch auf seinem Laptop. Und am Tatort des Raubs findet sich ein Halstuch - mit seiner DNA. Alles eindeutig - und doch auch nicht. Denn der an sich sympathische Junge, der als Findelkind zu seinen neuen Eltern gekommen war, hat ein Alibi. Er befand sich zum Zeitpunkt des Überfalls rund 150 Meilen entfernt in einem Sommercamp mit 200 Jugendlichen, wurde dort vom lokalen Sheriff als bester Pfadfinder ausgezeichnet.
Von Anfang an baut der Jugendbuchautor Frank M. Reifenberg in seine Geschichte, die er in der amerikanischen Provinz spielen lässt, Irritationen ein. Irgendetwas stimmt hier nicht. Auch die ermittelnde FBI-Agentin Rosalind Casey scheint das zu spüren. Und so ist "Identity X - Wer ist Boston Coleman?" nicht nur als reine Krimi-Geschichte angelegt, es ist auch eine Spurensuche nach der Identität des Jungen. Denn Boston besitzt einen Doppelgänger. Dieser Asher taucht mit drei jungen Freunden aus dem Nichts auf und erzählt ihm seltsame Dinge über eine Epidemie, die die Welt in Zukunft bedrohen wird. Und will ihn dazu zwingen, Protagonist einer Mission zur Rettung der Welt zu werden, Zeitreisen in die Zukunft inklusive. Der seltsame Zwilling gibt ihm auch Hinweise zu seiner Vergangenheit und seinen Wurzeln., denn alle Nachforschungen hatten bislang nichts ergeben. Also: Wer ist dieser 14-jährige, so normal wirkende Junge wirklich?
Reifenberg entwickelt seinen Plot in einer parallelen Erzählung, er schildert einerseits die Ermittlungsarbeiten aus Sicht der FBI-Agentin, der im Lauf der Zeit immer mehr Zweifel an den Beweisen kommen. Parallel kommt auch Boston Coleman selbst zu Wort. In einem geheimen Versteck in den Bergen, in das er geflohen war, bespricht er Tonbänder mit seiner Version der Geschichte. Beide Erzählstränge sollen die Geschichte mit Hilfe ständiger Perspektivenwechsel vorantreiben und spannend halten. Sprachlich gelingt dies sehr gut, die Dialoge sind lebendig. Doch vor allem die Zeitreise-Science-Fiction-Elemente, die sich in die eher sehr realitätsnah erzählte Thriller-Geschichte einfügen, sind verwirrend. Und die Antworten auf die Fragen nach der Identität, die der Titel stellt, und die letztlich auch der Zwillingsbruder Asher in Boston Coleman auslösen könnte, bleiben eher vage oder gänzlich unbeantwortet. Wer Boston Coleman ist, erfährt der Leser nicht wirklich. "Identity X" ist also kein psychologisches Buch über das Innenleben eines Jugendlichen, der Autor setzt eher auf Tempo und Action. Über weite Strecken klappt das auch gut. (ab 13)
Frank M. Reifenberg: Identity X - Wer ist Boston Coleman? dtv 2022, 251 Seiten, 12,95 Euro.