Schauspiel Dortmund: "Mrs Dalloway Prinzip / 4.48 Psychose":Komm, süßer Tod

Lesezeit: 2 Min.

Gefangen - aber worin genau? Selen Karas Inszenierung von Sarah Kanes psychotischem Text "4.48 Psychose". (Foto: Birgit Hupfeld)

Sarah Kane und Virginia Woolf schrieben über Depression und Suizid, maximal verschieden. Eine Inszenierung in Dortmund will sie zusammenbringen.

Von Christiane Lutz

"Liebster, ich bin mir sicher, dass ich wieder wahnsinnig werde, ich kann nicht länger dagegen ankämpfen", schreibt Virginia Woolf 1941 an ihren Ehemann, kurz danach bringt sie sich um. Die britische Dramatikerin Sarah Kane nimmt sich 1999 das Leben, auch keine Lust mehr zu kämpfen nach Jahren der Therapieversuche und Medikamente. Woolf und Kane waren depressiv. Das als verbindendes Element zwischen den Autorinnen zu nennen, greift natürlich viel zu kurz und wird weder der einen noch der anderen gerecht, kann aber Anlass sein, das Thema Depression und Suizid genauer zu betrachten. Zumal in einer Gesellschaft, in der über Depressionen zwar offener gesprochen wird, die aber gleichzeitig vom Fitnessgedanken besessen ist, von der effizienzgetriebenen Vorstellung, Probleme müssten doch zu überwinden sein, wenn man sich nur genug anstrengt.

Die junge Regisseurin Selen Kara hat jetzt am Schauspiel Dortmund einen Doppelabend inszeniert, "Das Mrs. Dalloway Prinzip" und "4.48 Psychose". Eine gute Setzung der noch neuen Intendantin Julia Wissert, die das von Kay Voges zum digitalen Theater-Hotspot Deutschlands gemachte Schauspiel Dortmund 2020 übernommen hatte.

Kara beginnt gewissermaßen beim Äußeren der Depression bei Virginia Woolf und kriecht dann in ihr düsteres Innerstes, zu Sarah Kanes gewaltigem Verzweiflungstext. Sie wählt dafür die Form des Schachspiels, die Figuren sind in schwarz oder weiß gekleidet, sind fremdbestimmt, erst durch eine sehr dominante Spielmeisterin (Linda Elsner), später, bei Sarah Kane, durch die sich drehende Bühne (Bühne: Lydia Merkel, Kostüme: Anna Maria Schories) und die Quadrate des Spielbretts. Das erweist sich leider als völlig falsche Form für beide Texte. Bei "Mrs. Dalloway" erstarren die Figuren zur Pose, was, wenn man von einer steifen Londoner Gesellschaft ausgeht, zumindest noch nachvollziehbar ist. Bei "4.48 Psychose" macht das Schachbrett keinen Sinn mehr, es gibt Spielregeln für ein Spiel vor, für das sich Sarah Kane nicht die Bohne interessiert.

Schade, denn die Idee, Woolf und Kane zusammenzuspannen, ist klug. In "Mrs. Dalloway", erschienen 1923, ist die Depression des Kriegsheimkehrers Septimus Smith (Christopher Heisler) eine großzügig zu übergehende Erscheinung. Seine Drohung, sich umzubringen, wird vor allem als Affront gegen die Ehefrau gelesen. "Es fehlt Ihnen nicht das Geringste", lautet die Diagnose des Arztes (Nika Mišković). Bisschen Ruhe, das wird schon. Woolf verhandelt das Außen der Depression, den verwunderten Blick der Londoner Gesellschaft, die Krankheit als Störung empfindet. Als sich Smith umbringt, ärgert sich Clarissa Dalloway (Bettina Engelhardt) vor allem, dass das ausgerechnet am Abend ihrer Party passiert.

Bei Woolf geht es ums Außen, bei Kane ums Innen der Krankheit

"4.48 Psychose" ist ein Text voll Todessehnsucht und Selbsthass. Er strauchelt in Abgründe, zieht in die dunkelsten Ecken der menschlichen Psyche und ist sich auf eine Weise selbst genug. Wo aber ein Mensch kein Außen mehr braucht, braucht es auch keine Inszenierung. Man kann Kane daher nur ganz leise inszenieren, oder brüllend laut, den Text als Partitur verstehen, wie das Johan Simons 2012 an den Münchner Kammerspielen tat, als er "4.48 Psychose" von Streichern begleiten ließ. Hauptsache, ein entschlossener Zugriff. Bei Selen Kara scheinen die Figuren vor allem fremdbestimmt durch die Form, für die sie sich bei "Mrs. Dalloway" entschieden hat. Keine Beklemmung ist spürbar, keine Verzweiflung, nur eine verhaspelte Choreografie.

"Death was an attempt to communicate", heißt es bei Virginia Woolf, der Tod ein Kommunikationsversuch. "Dass mir das keiner verwechselt mit einem Hilfeschrei", schreibt hingegen Sarah Kane. Aber wo auf der Bühne kein Leiden spürbar ist, ist auch der Tod weder das eine noch das andere.

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