Träger des Deutschen Buchpreises:Saša Stanišić, der Zeitgenosse

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Saša Stanišić erhält den Deutschen Buchpreis 2019 für "Herkunft" (Foto: dpa)

Der Schriftsteller ist vom Nobelpreis für Peter Handke tief getroffen. Er verlor seine Heimat an den Krieg, in dem Handke einseitig Partei ergriff.

Von Karin Janker

Dass Saša Stanišić wütend ist, wusste man schon vor seiner Dankesrede am Montagabend in Frankfurt. Der Hamburger Schriftsteller, der in diesem Jahr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, twittert seit Donnerstag seine Fassungslosigkeit wegen des Nobelpreises an Peter Handke in die Welt, zitiert Sätze aus Handkes Werk und kommentiert sie ironisch oder auch völlig unironisch: Handke sei ein Autor, der sich "hinter der Freiheit, alles erzählen zu dürfen, weil alles Poesie und alles Ambivalenz und alles Autor sein darf, feigst versteckt"; er bleibe aber "ein kitschiger Möchtegern".

So klingt Saša Stanišić, wenn er wütend ist. Wobei man ihn sich eigentlich nicht als wütenden Zeitgenossen vorstellen sollte. Im Gegenteil: Stanišić mag die meisten Menschen, das merkt man im Gespräch mit ihm und auch, wenn man seine Bücher liest. "Mich interessieren Barmherzigkeit und Warmherzigkeit mehr als ihre Gegenteile", hat er einmal gesagt. Es klang wie eine Verteidigung. Dabei schreibt er über Krieg, Gewalt, Demütigung - ohne jedoch zum Voyeur zu werden. Stanišić ist als Mensch wie als Autor überaus höflich. Sogar vor seiner Rede beim Buchpreis hatte er sich erst einmal entschuldigt: "Ich bitte Sie um Nachsicht, wenn ich diese kurze Öffentlichkeit dafür nutze, mich kurz zu echauffieren."

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Saša Stanišić ist vom Nobelpreis für Handke doppelt getroffen: einmal als Schriftsteller, der eine eitle, ästhetizistische Literatur ablehnt; und dann als Autor, der sich in seinem Schreiben intensiv mit seiner Herkunft auseinandergesetzt hat. "Herkunft", so lautet auch der Titel seines aktuellen Romans, den die Jury in Frankfurt zum besten Buch des Jahres gewählt hat. Der 41-Jährige erzählt darin die Geschichte seiner Familie, seiner bosnischen Mutter und seines serbischen Vaters, die 1992 mit ihrem 14 Jahre alten Sohn aus Višegrad nach Heidelberg geflohen sind. "Ich hatte das Glück, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt", sagt er in Frankfurt.

Twitter ist ihm Zeitvertreib, vor allem aber Medium der Zeitgenossenschaft

Zur Literatur kam Stanišić in Heidelberg, wo er Deutsch als Fremdsprache und Slawistik studierte und dann einer Sachbearbeiterin, die bereits die Papiere für seine Ausweisung vorbereitete, klarzumachen versuchte, dass Schriftsteller ein Beruf sei, der sich aus dieser Fächerkombination ergebe. Nicht nur seiner Überzeugungskraft, sondern auch Beamten, die einmal nicht Dienst nach Vorschrift machten, verdankt er, dass er danach am Leipziger Literaturinstitut studieren konnte. 2006 debütierte er mit dem Roman "Wie der Soldat das Grammofon repariert", 2014 erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse für "Vor dem Fest".

In all seinen Werken, am stärksten in "Herkunft", wird klar, dass das Abschweifen in die Fantasie für sein Schreiben zentral ist. Stanišić, der mittlerweile fast 26 000 Tweets abgesetzt hat, manche witzig, manche wütend, weiß, wovon er spricht, wenn er von Abschweifung spricht. Tatsächlich entstehen Teile seiner Texte oft zuerst in 280-Zeichen-Nachrichten. Twitter ist ihm Zeitvertreib, vor allem aber Medium der Zeitgenossenschaft.

Dort schreibt er über seine unerquickliche Leidenschaft für den HSV, über Eichendorff-Lektüren und über das, was er zuletzt in einer Kaskade von Tweets sarkastisch als "mutige Entscheidungen" bezeichnete: Jörg Meuthen ins "Morgenmagazin" einzuladen, den Kurden die Unterstützung zu versagen, "einem provokanten, zornigen Naturburschen und Genozidrelativierer den Nobelpreis zu geben".

Der Krieg, in dem der Nobelpreisträger Partei ergriff, indem er sich "exklusiv an die Seite der Mörder und Milošević-Freunde" stellte, nahm Saša Stanišić Familienmitglieder, Freunde und seine Heimat. Dieser Verlust ist so etwas wie ein Lebensthema, dem er mit seinem Schreiben begegnet: die schwierige Suche nach jenem Ort, an dem man zufällig geboren wurde, an dem man aber nicht mehr sein kann. Saša Stanišić hat sich vorgenommen, diesen Ort zu erfinden.

© SZ vom 16.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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