Der Schriftsteller Saša Stanišić hat seine Dankesrede bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises für sein Buch "Herkunft" dazu genutzt, seine Erschütterung über den Nobelpreis an Peter Handke zu erklären. Stanišić, der 1978 in Višegrad im heutigen Bosnien-Herzegowina geboren und 1992 mit seinen Eltern von dort nach Deutschland geflohen ist, sagte, er spreche als einer, der "das Glück hatte, dem zu entkommen, was Peter Handke nicht beschreibt". Auf Handkes Text über seine Heimatstadt Višegrad bezog sich Stanišić, dort habe er von Milizen lesen müssen, "die barfuß nicht die Verbrechen begangen haben können, die sie begangen haben sollen". Es sei "komisch, dass man sich die Wirklichkeit so zurechtlegt, dass sie nur noch aus Lüge besteht", sagte der Autor und machte klar, was genau Peter Handke in seinen jüngst prämierten literarischen Texten nicht beschreibt: "Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit erwähnt er nicht. Sie sind aber geschehen."
Dieser andere Preis habe ihm die Freude an seinem eigenen Preis "vermiest", so der von einer Schilddrüsenentzündung sichtlich angeschlagene Saša Stanišić ("Ich trage 1200 Ibuprofen in mir"). Der Ernst, mit dem er sich in der Sache Handke ausspricht, ist um so bemerkenswerter, als das Selbstironische, Vergnügte, Schelmische sonst überwiegend sein Modus in der Öffentlichkeit ist. Um mit einer versöhnlichen Note zu enden, feierte er zum Schluss die andere Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk und eine "Literatur, die uns Leser nicht für dumm verkaufen will", indem sie das Poetische über die Tatsachen stellt.
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Stanišić ist der Autor von drei Romanen, zahlreichen Erzählungen, Hörspielen und Essays. Für sein Debüt "Wie der Soldat das Grammofon repariert" erhielt er 2008 den Adelbert-von-Chamisso-Preis, für "Vor dem Fest" 2014 den Leipziger Buchpreis. Das Buch, für das er jetzt den Deutschen Buchpreis erhalten hat, ist Stanišićs bislang persönlichstes. Nur wenig fiktionalisiert handelt es von seiner Familie in Bosnien, von der Flucht und den ersten Jahren in Heidelberg, von der harten Arbeit und der sozialen Herabstufung, die seine Eltern als Migranten in Deutschland in Kauf nehmen mussten.
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"Herkunft" ist zudem ein großer Abschied und ein Trauergesang auf die Großmutter des Autors: Die Geschichten von den Wurzeln seiner Familie sieht der Erzähler mit ihrer Demenzerkrankung und ihrem Tod verschwinden und versucht die Erinnerung zu sichern, obwohl er sich vor "Herkunftskitsch" scheut. So ist es auch ein Buch, in dem über die Frage nachgedacht wird, wie man von Herkunft überhaupt erzählen kann. Seine Geschichten beschäftigten sich doch immer, schreibt Stanišić, "in irgendeiner Form mit Menschen und Orten und damit, was es für diese Menschen heißt, an diesem bestimmten Ort geboren zu sein.
Auch, wie das ist: dort nicht mehr leben zu dürfen oder zu wollen. Was ist einem, qua Abstammung oder Hervorbringung, gegeben und vergönnt? Und genauso: Was bleibt einem qua Abstammung vorenthalten? Ich schrieb darüber, über Brandenburg, über Bosnien, die geografische Verortung war gar nicht so entscheidend, Identitätsstress schert sich nicht um Breitengrade." Und auch die Ereignisse, über die Peter Handke, wie Stanišić sagte, nicht schreibt, kommen in "Herkunft" vor: "1991 waren Zugehörigkeiten ein Zündstoff geworden. Alle tranken dasselbe Benzin. Jede Herkunft konnte die falsche sein. Das Feuer wurde angefacht", heißt es da etwa, und, nur zum Beispiel: "Im August 1992 massakrierte die Armee der Republik Srpska unweit von Višegrad ein ganzes Dorf. Barimo. Barimo heißt das Dorf. Sechsundzwanzig Menschen wurden umgebracht."
Für das Versuchsartige, Unsichere des Schreibens über das wirklich gelebte Leben findet Stanišić in "Herkunft" klare und besondere sprachliche und erzählerische Formen. Für seine zahlreichen Leser dürfte es keine Überraschung sein, dass er unter den sechs Kandidaten der Shortlist für den Buchpreis ausgewählt wurde. Für ihn selbst war es, nach Tagen der auch öffentlich zum Ausdruck gebrachten Wut über die Ehrung von Peter Handke, auch ein Zeichen: "Ich stehe nicht alleine mit dieser Erschütterung da".