Daniil Trifonovs Bach-Programm in Salzburg:Vollendung der Fuge

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Am Klavier fällt alles Schüchterne von ihm ab: Daniil Trifonov. (Foto: Dario Acosta)

Wird für Diskussionsstoff sorgen: Der Pianist Daniil Trifonov spielt bei den Salzburger Festspielen eine ganz eigene Interpretation von Bachs "Kunst der Fuge".

Von Michael Stallknecht

Als ein Jahr nach dem Tod Johann Sebastian Bachs die "Kunst der Fuge" im Druck erschien, da verwiesen die Herausgeber den Schluss direkt an den lieben Gott, indem sie den Choral "Vor Deinen Thron tret' ich hiermit" anfügten. Schließlich konnte der Komponist die letzte Fuge nicht mehr vollenden. Das Manuskript bricht da ab, wo er seinen Namen als Thema eingefügt und damit seine Unterschrift unter das Werk gesetzt hatte: B-A-C-H.

Auch Daniil Trifonov stellt im Salzburger Großen Festspielhaus einen Bach'schen Choral ans Ende, freilich einen weit bekannteren, von Pianisten schon immer gern gespielten: "Jesus bleibet meine Freude" in der Bearbeitung von Myra Hess aus dem Jahr 1926. Das vollendet den Rahmen um die "Kunst der Fuge", den er zu Beginn ebenfalls mit einer Bearbeitung gesetzt hatte: der berühmten Ciaccona für Violine solo in der Transkription von Johannes Brahms für Klavier linker Hand.

Kein Musiker kommt auf Dauer um die Auseinandersetzung mit Bach herum, selbst wenn er seine Werke nicht öffentlich spielt. Im Lebenslauf des inzwischen 30-jährigen Pianisten Daniil Trifonov spielte Bach bislang aber eher eine randständige Rolle. Obwohl sein Repertoire umfangreich ist, steht er im öffentlichen Bewusstsein vor allem für die Auseinandersetzung mit Musik der Spätromantik, die er mit einer klanglichen Raffinesse und technischen Meisterschaft durchleuchtet wie kaum ein anderer Pianist. Bach tauchte vor allem in einzelnen spätromantischen Bearbeitungen auf, aber mit keinem der vielen Werke, die sich Pianisten sonst gern erobern: das "Italienische Konzert" oder die "Goldberg-Variationen", die Suiten und Partiten oder "Das Wohltemperierte Klavier".

Bach ging es gegen Ende seines Lebens nicht mehr um instrumentalen Glanz

Dass Trifonov sich unter den großen Werkzyklen nun ausgerechnet als erstes die "Kunst der Fuge" vorgenommen hat, ist umso bemerkenswerter. Schließlich ging es Bach gegen Ende seines Lebens nicht mehr um instrumentalen Glanz, sondern um die Demonstration bedingungsloser kompositorischer Meisterschaft. In einer Sammlung von 14 Fugen und vier Kanons zeigt er, was sich mit den damals schon außer Gebrauch geratenden Mitteln der Fugenkomposition aus einem einzigen, eher schlichten Thema machen lässt. Das Ergebnis ist ein schwindelerregender Turmbau aus Vergrößerung, Verkleinerung und Spiegelung des Themas, aus Hinzufügung weiterer Themen im in der Schlussfuge dreifachen Kontrapunkt. Wer immer das öffentlich spielt, ob auf einem einzelnen Tasteninstrument oder in einer der vielen Bearbeitungen für Ensembles, steht vor dem Risiko, seinem Publikum eher Askese abzuverlangen, als es mit den Freuden sinnlichen Musizierens zu erfüllen.

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Trifonovs Entscheidung für das Werk könnte damit zu tun haben, dass er in den letzten Jahren zunehmend auch als Komponist an die Öffentlichkeit trat. Wer in die letzten Tiefen des Kontrapunkts eindringen will, kommt um ein Studium der "Kunst der Fuge" nicht herum. In der Tat tut Trifonov am Ende, was bislang vor allem Musikwissenschaftler nur zur Probe versucht haben: Nachdem er das B-A-C-H geradezu ins Klavier gemeißelt hat, spielt er Bachs letzte Fuge zu Ende, vollendet sie in einer eigenen Version, wo viele andere Aufführungen abreißen, den Schluss in schweigender Verneigung an Bach übergebend oder gleich an seinen himmlischen Dienstherrn.

Es ist ein Akt, der prototypisch steht für Trifonovs Zugang, der vor allem von einem nicht geprägt ist: Devotion. Trifonov spielt keinen Bach, der für sich selbst sprechen soll, sondern Musik, der er seinen eigenen, ganz persönlichen Stempel aufprägt. Er unterwirft sie seinem unverkennbaren Stil, einem Spiel von unerhörter Zartheit und Delikatesse, das in häufig rasenden Tempi über den Tasten zu schweben und ihren materiellen Widerstand kaum mehr wahrzunehmen scheint. Dabei gibt er einzelnen Fugen durchaus Schwere und scharfe Zeichnung, etwa der sechsten "in Stylo Francese", mithin gerade dort, wo andere die Auflockerung tänzerischer Leichtigkeit suchen. Aber es fungiert mehr als Widerpart zu den vielen Fugen, die in äußerst raschen Tempi als funkelnde Virtuosen-Edelsteine von pointillistischer Brillanz, wenn man es negativ fassen wollte: vorüber gleiten.

Ein noch immer junger Pianist rennt gegen ein mystisches Alterswerk an

Es geht nicht um mangelnde Genauigkeit, auch nicht um mangelnde intellektuelle Durchdringung. Die Eintritte der Fugenthemen markiert Trifonov äußerst klar, bisweilen sogar überklar, aber er hierarchisiert sie nicht, lässt sie meistens rasch im Gesamtklang aufgehen. Trifonov stellt den Klang über die Struktur, die durchaus genau ausgehörte Entwicklung der Harmonik über die Nachvollziehbarkeit des Kontrapunkts. Das erklärt wohl auch, warum er die vier Kanons - auch das eine selbstbewusste, zu diskutierende Entscheidung - nicht spielt. Denn in ihnen wird die Reibung zwischen nur zwei Stimmen in schmerzlicher Weise sperrig, sprengt die Grenzen des noch als harmonisch Erlebbaren. Dieser Zugang ist letztlich einer aus der Perspektive der Spätromantik, der freilich nichts gemein hat mit dem, was häufig vorschnell mit dem "Romantischen" assoziiert wird: nebulöse Schwiemelei und pathetische Verfettung. Dafür bleibt Trifonovs Fingerspiel viel zu mustergültig in seiner Klarheit, sein Pedalgebrauch zu sehr geprägt von extremer Raffinesse. Dennoch wird diese Auseinandersetzung mit Bach absehbar für Diskussionen sorgen, spätestens wenn Anfang Oktober die bereits eingespielte CD erscheinen wird, vielleicht sogar ein neues Kapitel eröffnen zu der alten Frage, wie romantisch man Bach spielen dürfe.

Denn eines ist Trifonovs Zugang unverkennbar nicht: wirkungsorientiert, auf Effekt berechnet. Vollkommen in sich versunken, nur in die Musik hineinlauschend sitzt er in Salzburg zwei Stunden - mit Pause - am Klavier. Was dabei herauskommt, ist auf jeden Fall authentisch: Ein noch immer junger Pianist rennt gegen ein mystisches Alterswerk an, überrennt es dabei immer wieder in jugendlichem Ungestüm. Das läuft auf ein Katz-und-Maus-Spiel hinaus, das, bei allen möglichen Einwänden, auf jeden Fall ist, was Aufführungen der "Kunst der Fuge" nicht von Haus aus sind: kurzweilig.

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