Ricky Gervais in Berlin:Tief hängende Witzfrüchte

Lesezeit: 4 Min.

  • Der Comedian Ricky Gervais gefällt sich als Verteidiger des Rechts auf Meinungsfreiheit. Aber nur, solange ihm niemand sagt, er sei nicht lustig.
  • Sein neues Programm "SuperNatural", das er am Sonntag in Berlin vorstellte, besteht zur Hälfte aus verkrampft subversiven Kalauern.
  • Dabei könnte Gervais es auch um einiges besser.

Von Jan Jekal, Berlin

Ricky Gervais ist wie der Onkel auf einer Familienfeier, der selbstzufrieden Opposition zu allem bezieht, was man politisch korrekt nennen könnte, der dafür Bewunderung einfordert und sich beschwert, sobald der Applaus ausbleibt. (Und der fortwährend beteuert, es würde ihn kein Stück interessieren, was irgendjemand über ihn denkt.) Der weltberühmte 58-jährige britische Comedian gefällt sich als Verteidiger des Rechts auf Meinungsfreiheit, aber erträgt es nicht, wenn jemand sein Recht auf Meinungsfreiheit dahingehend verwendet, ihm mitzuteilen, dass er nicht lustig ist.

In seinem letzten Special, "Humanity", verbrachte er ein Drittel der Zeit damit, Twitter-Streitgespräche minutiös nachzuzeichnen und ausführlich und eher witzlos zu erklären, wieso alle außer ihm zu dünnhäutig sind. Man konnte den Eindruck gewinnen, er mache - wie so viele im Moment - den ganzen Tag nichts anderes als auf Twitter Köder auszuwerfen, um dann diejenigen zu verhöhnen, die anbeißen.

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Ähnlich beginnt er am Sonntagabend seine Show in der Berliner Verti Music Hall, wo er sein neues Programm "SuperNatural" vorstellt. Es gebe zur Zeit diesen Trend der "woke comedy", sagt er, das sei Comedy, die niemandem auf den Schlips treten möchte, und die sei so schrecklich, da schaue er lieber Louis C.K. beim Masturbieren zu. "Den Namen Louis C.K. darf man ja gar nicht mehr sagen", sagt er, unironisch, und meint den in Ungnade gefallenen Komiker, der junge Kolleginnen dazu drängte, ihm beim Masturbieren zuzusehen und der über seinen Manager Druck ausüben ließ, als sie davon erzählen wollten.

Darauf folgt ein Lamento über die "Cancel Culture", und wenn man Gervais so reden hört, könnte man meinen, es gäbe auf einer einsamen Insel ein Gefängnis voll leidender Comedians. Seine Beispiele für angebliche Personae non gratae sind jedenfalls allesamt Männer, die nach wie vor gut im Geschäft sind (auch Louis C.K. tourt derzeit wieder durch ausverkaufte Häuser).

Mit anderen Worten: Für jemanden wie Gervais ist es nicht subversiv, Louis C.K. in Schutz zu nehmen, es ist vollkommen erwartbar. Die Dinge, die Gervais sagt, werden von Leuten wie Gervais ständig und bei jeder Gelegenheit gesagt, und stets mit der gleichen Märtyrer-Haltung. Nicht mal die größte Bühne der Welt - gerade hat er auch noch einen millionenschweren Exklusiv-Deal mit der führenden Streaming-Plattform Netflix abgeschlossen - könnte ihn davon überzeugen, dass niemand ihm den Mund verbietet.

Natürlich sind Themen wie MeToo für Komiker besonders reizvoll - sie können aber auch eine Krücke sein

Es gibt keine Tabuthemen für einen Comedian, so Gervais' Überzeugung. Der Gegenstand eines Witzes muss nicht die Zielscheibe dieses Witzes sein, darauf weist er in Interviews häufig hin. "Manchmal muss man auch nach unten treten", sagt er in der Show. Pause. Das Publikum ist gespannt. "Zum Beispiel, wenn man ein Kleinkind verprügelt." Gelächter. Er erzählt von seiner Katze und dass sich das arme Tier nach einer besonders invasiven Prozedur beim Tierarzt gefühlt haben muss, als wäre es gerade vergewaltigt worden. Er beschreibt das Verhalten seiner Katze dann so, wie er sich vorstellt, wie sich eine vergewaltigte Frau verhalten würde. Die Katze kauert in der Dusche, traumatisiert, setzt schließlich einen Tweet ab mit dem Hashtag #MeowToo.

Natürlich sind Themen wie MeToo für Komiker besonders reizvoll, weil sich bei ihnen, durch die Anspannung und die Aura des Tabuisierten, die Lacher am heftigsten entladen. Sie können aber auch eine Krücke sein, ein Hilfsmittel, das über die mangelnde Qualität des Materials hinwegtäuscht. Manche Gags bekommen dann die Lacher nicht, weil sie gut sind, sondern nur, weil sie geschmacklos sind. Gervais setzt in der ersten, verkrampft subversiven Hälfte auf Kalauer, die Amerikaner als "low-hanging fruit" bezeichnen würden, deren Ernte also keine Mühe macht. Seine "gewagten" Witze funktionieren weniger durch die Cleverness ihrer Konstruktion oder durch ihr Timing, sonderm mehr, weil sie als Ventil für unterdrückte Ressentiments dienen.

Macht er sich selbst zu Gegenstand und Zielscheibe, ist Gervais besser. Ein Bit über seinen Fetisch, ausschließlich zu Babyfotos von Adolf Hitler zu masturbieren, mit genauer Beschreibung seines dieser Leidenschaft gewidmeten Hobbyraums, gehört zu den besten Momenten des Abends. Er holt sein Handy raus, zeigt den Baby-Hitler und nennt ihn "fucking adorable". Überhaupt sind seine absurden Szenarien, die er häufig dialogisch durchspielt, viel, viel interessanter als seine direkte Kulturkritik.

An einem Punkt stellt er sich vor, wie er sich mit seiner Katze unterhält, die plötzlich ein Bewusstsein bekommen und nun ein schlechtes Gewissen hat, weil sie gerade einen Vogel getötet hat ("Ich hätte ihn nicht auch noch vorher foltern müssen."). Oder er nimmt die Überzeugung einiger fundamentaler Christen, bei Aids handele es sich um eine Strafe Gottes für Homosexualität, wörtlich und entwirft ein Gespräch zwischen Gott und einem HI-Virus, mit genauen Instruktionen Gottes, wie der Virus nun zu verfahren habe. Dabei schießt Gervais typischerweise übers Ziel hinaus ("Wo soll ich anfangen?", fragt der Virus. "In Afrika." - "Wieso?" - "Da sterben sie sowieso alle."), dennoch ist die Passage einfallsreicher als der Rest, und die Rollenverteilung gibt ihm die Gelegenheit, etwas vielseitiger zu performen. (Den HI-Virus interpretiert er als verschüchterten Jungen.)

Ricky Gervais' Geniestreich ist nach wie vor die Serie "The Office", in der ein BBC-Kamerateam den Büroalltag einer Papierfirma im Londoner Umland begleitet. Zwölf Folgen reichten Gervais und seinem Schreibpartner Stephen Merchant vor fast zwanzig Jahren aus, um die Mockumentary als wesentliche Erzählart moderner Sitcoms zu etablieren. Sein Protagonist David Brent, von Gervais selbst glänzend gespielt, ist ein Kotzbrocken, ein sich maßlos überschätzender Narzisst. Gervais' gegenwärtige Bühnenfigur hat mit Brent einiges gemeinsam, nicht zuletzt die trotzige Ignoranz. Vielleicht macht er sich irgendwann wieder mehr über mächtige Menschen lustig. Über sich selbst, zum Beispiel.

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