Bayreuther Festspiele:Mädchen müssen gar nichts

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Später dürfen sie im "Rheingold" von Valentin Schwarz noch einen gemeinen Jungen verprügeln. (Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele)

In der Neuproduktion von Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" bei den Bayreuther Festspielen bringt Regisseur Valentin Schwarz das Epos feministisch auf Zack.

Von Helmut Mauró

Diesmal ist alles anders. Und das ist eigentlich das Mindeste, was man von einer Neuinszenierung von Richard Wagners Operntetralogie "Der Ring des Nibelungen" erwarten kann. Diese Erwartung wurde erfüllt, wenn nicht sogar ein bisschen über den Fünfjahresplan hinaus. Schon der erste Satz des Programmheftes weist die Richtung: Der Ring sei ein Epos über "Gegenwart, Geschichte und Zukunftsfähigkeit einer Großfamilie und ihr Erbe". Muss man sich den Kreis der Götter als großbürgerliche Familie vorstellen? Oder ist die Familie Wagner gemeint? So viel Ich-Bezogenheit kann man eigentlich nicht unterstellen, auch wenn die laufende Aufarbeitung der Familiengeschichte vielleicht dazu beiträgt, sich selber als Vorlage oder Ziel von Wagners Opus magnum sehen zu müssen. Für Inszenierungen innerhalb und außerhalb des Opernhauses sind solcherlei Kunst-Leben-Überschneidungen immer willkommen, denn natürlich funktioniert der mediale Boulevard-Effekt auch in der Oper.

Je gottgleicher eine Figur, desto lustvoller lässt sie sich vom Sockel stoßen und in die Kleinbürgerwelt holen. Die Rechtfertigung dafür steckt in der üblichen Bezeichnung "zurückholen", als hätten auch die Götter mal klein angefangen, als seien sie halt auch nur Menschen, und zwar durchschnittliche, engstirnige, von Missgunst und Neid angefressene. Aus dieser Perspektive konsequenter zu erzählen, als dies üblicherweise geschieht, wäre sicherlich eine spannende Ring-Erfahrung. Wagner hat sie ja selber in der Figur des Haupthelden Siegfried angelegt. Dessen Anfänge als unzivilisierter Rabauke, der Probleme mit Mut und Gewalt löst und am Ende damit scheitert.

Dies greift Regisseur Valentin Schwarz auch auf, lässt eine Art Klein-Siegfried durch die Kulissen poltern, Farbtöpfe an Wände werfen, mit einer Pistole herumfuchteln und auf seinen am Boden liegenden Ziehvater Mime eintreten. Auch dies ein Vorgriff auf die übernächste Folge, in der Siegfried Mime erschlägt. Anders als bei Wagner, wo dies der Ausgangspunkt ist für einen Prozess der Zivilisierung, dessen Grenzen gleichwohl sichtbar werden, stellt Schwarz hier eher einen Grundcharakter aus. Das muss er auch, denn es geht dem Regisseur um etwas ganz anderes, nämlich um ein feministisches Narrativ, das von der ewigen Unterdrückung der Frau durch den Mann erzählt, die schon im Mutterleib beginnt. Der Ursprung allen Lebens ist der Ursprung allen Übels.

Natürlich zerreißt der böse Junge mit dem Basecap die Kunstschöpfungen

Zu den leisen Fagott-Klängen aus tiefster Es-Dur-Tiefe vom Grund des Rheins, mit denen das "Rheingold" beginnt, sehen wir bühnengroß zwei verwundende Nabelschnüre, daran gebunden zwei frei schwebende, weit entwickelte Föten, anmutig lächelnd, so scheint es, und für jeden, der weiß, wie die Geschichte weitergeht, beileibe keine unschuldigen Wesen. Für Schwarz geht sie so weiter, dass der kleine männliche Spross, von Alberich geraubt und nun in dessen Fußstapfen unterwegs, die armen weiblichen Sprösslinge unterdrückt und quält. Wo Wagner ein Bergwerk mit geknechteten Nibelungen einrichtet, finden wir nun einen gläsernen Kindergartenkubus, in dem kleine Mädchen Bilder malen müssen, schikaniert von einem gleichaltrigen Jungen.

Am Ende dürfen sie ihn aber dann verprügeln. Was nicht allzu viel Sinn ergibt, denn es bleibt ohne weitere Konsequenz. Der Bub steht wieder auf und macht weiter, als wäre nichts geschehen, und er kann sich auf die Unterstützung der Mächtigen verlassen. Alberich ermuntert ihn, Wotan umschmeichelt ihn - er ist nun mal der Clan-Erbe und je brutaler er auftritt, umso unangreifbarer glaubt man das Fortbestehen der Machtverhältnisse sichern zu können. Wagner geht es dabei um die allgemeinsten sozialen Kategorien, Regisseur Schwarz geht es viel konkreter und kleinlicher um ein neues Gender-Narrativ.

Eine heillos zerstrittene Familie im Bayreuther Rheingold. (Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele)

Was auch zu komischen Situationen führt, zum Beispiel einer herrlichen Ton-Bild-Schere in der Kindergartenszene. Dirigent Cornelius Meister lässt das durchweg sauber aufspielende Bayreuther Festspielorchester an dieser Stelle besonders präzise jene metallischen Schläge imitieren, die ursprünglich das Hämmern der Nibelungen, nun die Pinselstriche der Mädchen verdeutlichen. So hart wurde selten gemalt. Und natürlich zerreißt der böse Junge mit dem goldgelben Basecap deren Kunstschöpfungen. Dieser Bub, vom Regisseur hinzuerfunden, ist keine Nebenfigur. Er verkörpert das böse Erbe einer bösartigen Kleinfamilie, die heillos zerstritten ist.

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Was dieser Inszenierung an Bildkraft fehlt, leistet Schwarz an Personenregie

Weder der Übervater Wotan im weißen Tennisdress (Egils Silins, der in tieferer Lage Mühe und somit schon musikalisch wenig Autorität hat) noch Ehefrau Fricka (stimmlich hervorragend: Christa Mayer), Beraterin Wotans, und Wagners Verkörperung von Umwelt-Wokeness Erda (Okka von der Damerau) können die Situation befrieden, nicht der kontraproduktive Verhandler Loge (Daniel Kirch), der goldgeile Alberich (Olafur Sigurdarson), der schwache Mime (Arnold Bezuyen), die beiden Riesen, von denen einer den anderen erschlägt.

Was dieser Inszenierung allerdings an gesanglicher Brillanz und an Bildkraft fehlt - die meiste Zeit starrt man auf das öde Innere eines Einfamilienhauses im Stil der Fünfzigerjahre - leistet Schwarz an Personenregie. Bewundernswert, wie er aus der gerade bei Wagner-Sängern üblichen Steifheit eine bunt agile Theatertruppe entwickelt hat. Im Normalfall muss man dabei zusehen, wie tolle Sänger so tun, als wären sie auch tolle Schauspieler. Dennoch verläuft sich der Regisseur nicht im Kleinklein der Unterhaltung. In Wagners "Ring" geht es immer um viel mehr, dem Komponisten selber um alles, was die Welt bewegt.

Aus Wagners Kritik am ziellosen Machtstreben ist ja spätestens mit George Bernard Shaw eine handfeste Kapitalismuskritik geworden, und nun also ein feministisches Narrativ. Kann man machen, läuft aber Gefahr, dass man das aufs Ganze gehende Kunstwerk der Ringerzählung mehr und mehr reduziert auf einen kleinbürgerlichen Geistesraum, in dem nicht nur die Götter stürzen und mit ihnen unsere positiven und überlebensnötigen Projektionsflächen, sondern auch jeder und alles, was über die Augenhöhe eines vermeintlich gesunden Mittelmaßes hinausragt.

Die sachliche Vernunft ebenso wie die leidenschaftliche Vision, die selbstlose Empathie wie das große Pathos. In der Politik ist Letzteres zu Recht verdächtig, aber in der Kunst muss es überleben, da müssen Klang und Bild und dramatische Spannung zusammenwirken zu einem packenden Erlebnis, das nicht nur den Verstand fordert, sondern auch Emotionen aufwühlt, die den ganzen Menschen herausfordern und durchschütteln, sonst bleibt nur ein etwas zu lang geratenes Pädagogikseminar übrig.

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