Der Anfang vom Ende des Traums begann am 28. Januar 1986 um 16.39 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt explodierte das Space Shuttle Challenger kurz nach dem Start wegen eines defekten Dichtungsrings. Alle sieben Besatzungsmitglieder starben, darunter die Lehrerin Christa McAuliffe.
Die Mission war als Neustart für die Raumfahrt geplant, die 17 Jahre nach der Mondlandung und dem zur nationalen Ehrensache deklarierten, aber irgendwann eingeschlafenen Wettstreit zwischen der Sowjetunion und den USA im öffentlichen Interesse an einem Tiefpunkt angekommen war. Statt Mondbasis und einer Zukunft in den Sternen schien die Raumfahrt nur noch aus langweiligen Experimenten und einem besseren Nahverkehrssystem, genannt Space-Shuttle-Programm, zu bestehen. Die Lehrerin Christa McAuliffe aber sollte bei Schulkindern neues Interesse an dem Thema wecken.
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In "Moskau Einfach!" spioniert ein Schweizer Polizist die linke Theaterszene aus. In "Drachenreiter" und "Der geheime Garten" spielt die Natur mal eine mythische, mal eine magische Hauptrolle.
Die tragische Geschichte der Mission, die endete, bevor sie richtig begann, wird derzeit bei Netflix erzählt, in der Doku-Serie "Challenger - The Final Flight". Seit dem 50. Jahrestag der Mondlandung im vergangenen Jahr ist das mediale Interesse am Thema Raumfahrt so groß, wie es sich die Mitglieder der Challenger erträumt hatten: Diese Woche startete der Film "Astronaut" mit Richard Dreyfuss, vergangenes Jahr "Proxima - Die Astronautin". Bei Disney Plus läuft gerade die Serie "The Right Stuff" über die Anfänge der Nasa, und Damien Chazelle verfilmte vor zwei Jahren die Mondlandung mit Ryan Gosling. Und dann sind da noch die Planeten-Pyjamas, Astronauten-Shirts und Nasa-Jacken, die große Modeketten gerade in die Kleiderschränke feuern.
Woher kommt sie, diese große gegenwärtige Faszination für die Raumfahrt?
Schon der Countdown vor dem Start einer Rakete richtet die ganze Gegenwart auf ein spektakuläres Ereignis, auf eine bessere Zukunft hin aus. Womöglich ist es diese Euphorie, dieser Aufbruchsgeist, die angesichts der Gegenwartskatastrophen Corona, Trump und Klimawandel schmerzlich vermisst wird. Den dramaturgischen Effekt des Countdowns zum Raketenstart hat sich die Raumfahrt für ihre Selbstinszenierung übrigens aus dem Kino geborgt, aus Fritz Langs Film "Frau im Mond" von 1929. Der Physiker und Schriftsteller Daniel Mellem erzählt diese Geschichte in seinem gerade erschienenen Debütroman "Die Erfindung des Countdowns" über den Raketenentwickler Hermann Oberth. Auch in der Literatur findet man sie also, die Sehnsucht nach dem Pionierzeitalter, klar, für Utopien war sie schon vor dem Kino zuständig.
Die Raumfahrt wurde lange vor ihrer Realisierung als Metapher der Himmelfahrt vorausgedacht
Die Faszination für die Raumfahrt spiegelt den Wunsch nach unzweifelhaften Helden wieder, die auf die Spitzen ehemaliger Kriegswaffen geschnallt im Weltraum da weitermachen sollen, wo die unzweifelhaften Helden des amerikanischen Westerns, die in ihrer bekannten Form auch vom Kino erfundenen Cowboys, mit der Erschließung neuen Landes und der anschließenden Ordnung desselben aufgehört hatten. Außerdem waren diese Jahre eine Zeit, die politische Umwälzungen mit sich brachte, die man sich heute für die Bekämpfung des Klimawandels und anderer Probleme nur wünschen kann. Rockmusik, die Hippiebewegung und New Hollywood stellten das konservative Weltbild in Frage, während zugleich der fotografische Blick aus den kleinen Fenstern der Mercury- und Apollo-Raumkapseln und von der Oberfläche des Mondes erstmals die Erde als den berühmten blauen Punkt erschienen ließ, als der sie heute vorstellbar ist.
Gerade der drohend leere Vordergrund des Mondes rückte damals manch eine Perspektive auf die Erde zurecht, und vielleicht ist es mehr als ein schöner Zufall, dass im Jahr der Mondlandung das Bundesministerium des Inneren erstmals um eine Abteilung für Umweltschutz erweitert wurde.
Wie deutlich diese politischen Umwälzungen und das utopische Potenzial dieser Zeit mit der Raumfahrt zusammenhingen, zeigt "For All Mankind" bei Apple Plus. Die Serie erzählt eine alternative Geschichte der Raumfahrt, in der sich Russen und Amerikaner nicht nur in Hinsicht auf Größe und Reichweite ihrer Raketen, sondern auch beim Thema Gleichberechtigung der Geschlechter einen Wettstreit liefern. Noch in diesem Jahr soll eine zweite Staffel erscheinen, und es ist gerade dieser Moment des "Was wäre gewesen, wenn ...", der das anhaltende nostalgische Interesse an der Epoche der Raumfahrt erklärt.
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Was wäre gewesen, wenn das Weltraumprogramm mit der Konsequenz dieser frühen Jahre fortgeführt worden wäre?
Vielleicht macht dieses unerfüllte Versprechen und möglicherweise auch unerfüllbare Versprechen des Raketenzeitalters einen Teil der Faszination aus. Denn mit dem Verlassen der Erde verlören alle lebensweltlichen Maßstäbe von Zeit und Raum ihre Bedeutung. Die Dauer von Reisen zu fernen Sternen liegt selbst mit theoretisch physikalisch noch erreichbaren Bruchteilen der Lichtgeschwindigkeit außerhalb der menschlichen Lebenszeit. An diesen Punkt ist die Raumfahrt aber nie gelangt.
Was wäre, wenn man die Zukunft so offen dächte, wie sie es damals war?
Der Philosoph Hans Blumenberg beschrieb in einer seiner vielen Glossen über den Weltraum, wie die Raumfahrt lange vor ihrer Realisierung als Metapher der Himmelfahrt vorausgedacht worden war. Die mediale Sehnsucht verrät also nicht nur den Wunsch nach einer Zeit, die eine bessere Zukunft versprach. Sie hat auch eine dunkle Seite, den geheimen Wunsch, allen irdischen Beschränkungen von Raum und Zeit, verwundbarem Körper und komplizierter Politik zu entkommen und in einen Zustand des ewigen Seins zu fliehen. So wie die Voyager-Raumsonden, die ebenfalls in jener verklärten Zeit gestartet wurden und nun noch Zehntausende Jahre durch das Nichts schießen werden.
Die neuen Filme und Serien erinnern wieder an diese Träume, und auch damals waren es Bücher, wie die Romane Jules Vernes, und Filme, wie die von Fritz Lang, die das Utopische denkbar und am Ende auch machbar erscheinen ließen. Was wäre, wenn man diese neuen Fiktionen nicht nur in die Sterne projizierte, nicht heilsgeschichtlich verklärte, sondern auf irdische Verhältnisse anwandte und die Zukunft so offen dächte, wie sie es damals war?
Die Sehnsucht nach den Sternen hält ein utopisches Potenzial bereit, das auf Erden gerade sehr gebraucht wird. Vielleicht müsste man sie dann auch gar nicht mehr verlassen wollen.