Öffentlicher Raum:Wem gehört die digitale Stadt?

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Der Clou der Aktion von Sebastian Errázuriz: Nicht nur die Skulptur, auch der Schaden an ihr ist virtuell. (Foto: Sebastian Errázuriz/instagram)

Virtuelle Werbung am Himmel, im Park, auf der Straße? Mit "Augmented Reality"-Technik wird der öffentliche Raum zum Marktplatz umgebaut. Es wird Zeit, sich dagegen zu wehren.

Von Philipp Bovermann

Vandalismus! Eine Skulptur des Künstlers Jeff Koons wurde mit Graffiti beschmutzt und entstellt. Vermutlich hat es so kommen müssen, da der berühmte Ballon-Hund im New Yorker Central Park steht. Andererseits weiß das kaum jemand, denn sehen kann man ihn nur mithilfe von Snapchat.

Die Handy-App ist beispielsweise dabei hilfreich, ein Selfie auf lustige Art und Weise zu verändern, um es dann an Freunde zu verschicken. In diesem Fall hat sich Koons, einer der teuersten lebenden Künstler der Welt, mit dem Instant-Messaging-Dienst Snapchat zusammengetan, damit Smartphone-Nutzer die Ballon-Skulptur mithilfe einer "Augmented Reality"-Funktion virtuell im New Yorker Central Park platzieren können. Das war im Oktober. Doch nur einen Tag später tauchte ein Foto auf, das diesen Hund mit Graffiti überzogen zeigt. Der in Chile geborene und in New York lebende Künstler Sebastián Errázuriz hat ihn am Computer nachgebaut und - mit ein paar Schmierereien versehen - an den exakt selben Koordinaten hochgeladen.

Dass Unternehmen die Möglichkeit haben, virtuelle Inhalte per GPS-Daten aufzustellen, wo immer sie wollen, sei ein "enormer Luxus", so Errázuriz in einem Video. Vor allem, wenn es sich dabei, wie im Fall des Central Park, um öffentlichen Grund handle. "Der virtuelle öffentliche Raum gehört uns. Wir sollten ihn nicht kostenlos hergeben."

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Was der Himmel ist? Ein überwindbares Hindernis und ein prima Werbeposter

Neben dem Ballon-Hund finden sich weitere virtuelle Skulpturen in Städten überall auf der Welt. Eine "gute Jagd" wünscht das Time Out-Magazin und spielt damit auf den Hype um "Pokémon Go" an. Damals fragten sich weniger technikaffine Menschen, wo sie denn seien, diese unsichtbaren Monster, nach denen plötzlich alle die Straßen durchsuchen. Es war das erste Mal, dass das Thema AR ("Augmented Reality", auf Deutsch: "erweiterte Realität") in der breiten Bevölkerung auftauchte. Viele Investoren glauben, AR könnte in einigen Jahren die Art, wie wir mit Daten und unserer Umgebung interagieren, grundlegend verändern. Bislang hat das Internet keine räumliche Ausdehnung. Die AR hingegen legt sich wie eine zweite, virtuelle Haut auf die Welt.

Seit den Tagen von "Pokémon Go" haben sich die AR-Funktionen neuerer Handy-Modelle weiterentwickelt. Vor einigen Monaten veröffentlichten Google und Apple zudem Entwickler-Baukästen, um damit relativ einfach neue Apps für die "erweiterte Realität" zu basteln. Microsoft mischt mit seiner Holo Lens mit, einer Brille, durch die der Nutzer eine Art transparentes Display vor dem Gesicht trägt.

Bislang hat sich AR-Technik noch kaum im alltäglichen Gebrauch durchgesetzt. Aber Beispiele wie der Siegeszug des mobilen Internet zeigen, wie schnell das plötzlich gehen kann, wenn die Technik ausgereift und massentauglich ist. Etliche Start-ups scharren schon ungeduldig mit den Hufen. Mit der App "Skrite" können Nutzer beispielsweise Botschaften in den Himmel schreiben oder dort oben Fotos hochladen - was natürlich in erster Linie für Unternehmen interessant ist, um Werbung zu platzieren. "The sky is not the limit", jubelten die Entwickler bei der Veröffentlichung, der Himmel sei keine Grenze, sondern "ein überwindbares Hindernis". Den Erdboden hingegen würde sich gern "Blippar" unter den Nagel reißen. Die App ist eine Art visuelle Suchmaschine. Sie blendet Informationen zu den Objekten ein, die sie über die Handykamera erkennt, zum Beispiel Bewertungen und Empfehlungen über die Geschäfte am Straßenrand.

Bei Städten und Gemeinden herrsche noch kaum Bewusstsein dafür, dass Unternehmen drauf und dran sind, sich den digitalen öffentlichen Raum einzuverleiben, mahnt Peter Jakubowski, Referatsleiter des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Allenfalls tauche das Problem im Zusammenhang mit der Smart City auf, also mit der Integration digitaler Prozesse in die öffentliche Infrastruktur. Doch wem gehören eigentlich die entstehenden Daten, wer darf sie nutzen, wenn Städte IT-Unternehmen beauftragen, Sensoren auf den Straßen zu installieren, etwa um den Verkehr zu optimieren oder Schadstoffe zu messen? "Sie kommen da als Stadt relativ schnell in die Situation, wenn Sie mal eine neue Frage haben, jenseits der vertraglichen Nutzungsregelungen, dass das Unternehmen sagt: 'Ja, das beantworte ich dir gerne. Kostet dann aber.'" Denn das Eigentum an den Daten verbleibt bei demjenigen, der sie erhoben hat.

An Cafés, zum Beispiel, die ihre Tische auf den Bürgersteig stellen, werden Sondernutzungsrechte ausgegeben. Aber natürlich gehört dem Café dadurch nicht der Bürgersteig. Doch genau so verhält es sich im Augenblick mit Daten, die Unternehmen auf öffentlichem Grund erheben, oder mit virtuellen Inhalten, die sie dort platzieren.

Die AR schweißt diese beiden Bereiche zusammen; sie macht die Smart City sichtbar. Dadurch entsteht ein Ort, an dem auch künstlerischer Widerstand möglich wird: gegen den Ausverkauf kommunaler Kompetenzen an die Technologie-Unternehmen. Die Graffiti-Aktion von Errázuriz zeigt aber zugleich, wo die Grenzen des künstlerischen AR-Interventionismus liegen. Der Clou der Aktion bestand nämlich darin, dass nicht nur die Skulptur, sondern auch der Schaden an ihr virtuell waren. Um den Graffiti-Hund zu sehen, muss man sich eine extra für die Aktion entwickelte App herunterladen und damit in den Central Park marschieren. Denn Snap entscheidet, welche Inhalte auf Snapchat zu sehen sind - und welche nicht. Die lustige Koons-Skulptur durch ein beschmiertes Replikat zu ersetzen, daran hatte das Unternehmen naturgemäß kein Interesse. Das sei der erste derartige Vorfall, sagt Errázuriz, "der erste von vielen, die auf uns zukommen".

Das Problem der Koexistenz verschiedener virtueller Wirklichkeitsschichten wird aber vermutlich ein Technologiekonzern für sich lösen. Was nämlich noch fehlt, damit sich Augmented Reality wirklich durchsetzt, ist die "AR Cloud". Im Augenblick schafft sich jeder Nutzer seine eigene erweiterte Realität: Sensoren scannen die Umgebung des Handys oder der Brille und errechnen dadurch, wo die virtuellen Objekte einzufügen sind. Mit der AR Cloud hingegen wird es ein gigantisches Gitternetz der Welt geben, zentral auf Servern gespeichert, das sich laufend durch die Geo-Daten sämtlicher AR-Geräte aktualisiert. Auf der Grundlage dieser geteilten Ortsinformationen, wofür GPS-Daten viel zu ungenau wären, werden die Nutzer miteinander in der AR interagieren können - und dann erst wird es wirklich hochinteressant: Konferenzen mit virtuellen Teilnehmern, Tennis-Matches ohne Ball, Schläger und Netz. Wie war das noch mal? "The sky is not the limit." Sagen wir so: Er könnte es schon sein, wäre er nicht schon mit Werbung zugekleistert.

Einer der Technologie-Giganten wird sich durchsetzen. Wie bei Google oder Amazon

Natürlich setzt so ein sich live aktualisierendes Geo-Abbild der gesamten Welt eine gewaltige Menge an Rechenkraft voraus. Es wird also wohl auf einen der Technologie-Riesen hinauslaufen, diese digitale Infrastruktur bereitzustellen. Ist sie erst einmal da, wird sie für die einzelnen AR-Anwendungen die Bedeutung haben, die Googles Suchmaske heute für Webseiten hat oder Amazon für den Onlinehandel. Auf wessen Servern sie läuft, der entscheidet, was in ihr zu sehen ist und was nicht. Ob es der Ballon-Hund mit oder der ohne Graffiti ist, wird dann vermutlich davon abhängen, hinter welchem mehr Geld steckt. Dass eine intervenierende Öffentlichkeit, die eigenverantwortlich den öffentlichen Raum nutzen möchte, in diesem Spiel den Kürzeren zieht, sollte jedem klar sein. Vor allem jedem Stadtverantwortlichen.

Der AR-Experte Ori Inbar, Mitgründer von Ogmento, das letztes Jahr von Apple gekauft wurde und dort die technische Grundlage für dessen bereits erwähnten Entwickler-Baukasten ARKit legte, glaubt, dass erste Cloud-Services für die AR in etwa drei Jahren zu erwarten sind. Vermutlich ist das gerade noch genug Zeit für die langsamen Mühlen der Politik, die entsprechenden Entscheidungen zu treffen. Ansonsten wird die "Erweiterung" der Realität einen Bodenverlust ihrerseits bedeuten.

© SZ vom 03.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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