Okay, so läuft das jetzt. Keine Ankündigungen, keine wochenlangen Werbekampagnen, kein Häppchen-Single-Video-Teasing, kein klassisches Labeltrommeln, sondern: raus damit. Nehmt das. Das neue U2-Album. "Songs Of Innocence". Bitte. Sofort. Alle. Als Geschenk von Apple an die mehr als 500 Millionen Nutzer seines Online-Plattenladens iTunes.
Direkt nach der Präsentation des neuen iPhones am Dienstag in Cupertino, Kalifornien, und dem abschließenden Auftritt der Band. Konsequenter, gigantomanischer hatte es auch die Musikindustrie bis dato noch nicht. Das größte Album-Release der Musikgeschichte.
Bislang hieß der Marketing-Schrittmacher der Branche Jay-Z. Seine gemeinsame Platte mit Kanye West, "Watch The Throne", stellte er im August 2011 mehr oder weniger plötzlich bei iTunes zum Verkauf ein. Zwei Vorab-Singles waren lanciert worden. Aber eben nicht mehr, es gab keine illegalen Leaks. Und Jay-Z blieb - so lange wie es im Zeitalter des File-Sharing bestenfalls noch möglich ist -, Herr der Lage. Und des Geschäfts.
Noch cleverer war er im vergangenen Jahr. Sein letztes Solo-Album "Magna Carta . . . Holy Grail" verkaufte er per Handy-App vorab fünf Millionen mal an einen Mobiltelefon-Konzern. Der hatte damit ein schönes Geschenk für seine Kunden und prächtige Werbung - und Jay-Z schon eine Menge Geld auf dem Konto und den ersten Platz in den Charts sicher, bevor irgendjemand die Platte regulär kaufen konnte.
Das letzte Album seiner Frau Beyoncé, "Beyoncé", wiederum war nach Weihnachten 2013 vollkommen unangekündigt bei iTunes erhältlich.
Jay-Z werden womöglich die Ohren schlackern
Und nun also U2 und "Songs Of Innocence", das erste Studioalbum der Band seit fünf Jahren. Jay-Z werden womöglich ein bisschen die Ohren schlackern ob dieser PR-Elefantenliebesnacht. Die größte Stadion-Rockband der Gegenwart und das einflussreichste und wertvollste Unternehmen der Gegenwart. Weil es ja immer höher, schneller, weiter gehen muss, weil alles raus muss und zwar schnell, seien es Smartphones oder 13. Studioalben.
Weil wir hier bei der Süddeutschen aber ja auch nicht ewig Zeit haben, soll das die Vorrede gewesen und die entscheidende Frage endlich gestellt sein: Was bleibt denn, wenn man den Marketing-Wahnsinn aus dem Kopf hat, was taugt die Musik?