Kunstfestival Colomboscope:Darum in die Ferne schweifen

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Natasha Ginwala leitet das Festival Colomboscope in Sri Lanka. Sie ist Kuratorin am Martin-Gropius-Bau in Berlin und war Beraterin der Documenta 14. © Gropius Bau (Foto: Victoria Tomaschko)

Die Berliner Starkuratorin Natasha Ginwala verantwortete in diesem Jahr Sri Lankas einziges internationales Kunstfestival. Ein Treffen.

Von Ingo Arend

In Colombos Viharamahadevi-Park drückt die Hitze, regungslos liegen ein paar Spaziergänger auf dem ausgedörrten Rasen, nur die allgegenwärtigen Streifenhörnchen jagen die Zimtbäume hinauf. Trotzdem lauschen die Handvoll schweißgebadeter Zuhörer auf der Veranda eines verwitterten Pavillons gebannt, als Kumari Kumaragamage erklärt, was sie unter Poesie versteht. "Sperrt mich nicht in einen Käfig. Ich bin ein Ozean, ich bin der Himmel".

Das Kunstfestival soll die Zivilgesellschaft absichern

Die Poetin und Frauenaktivistin, schlohweißes Haar und blaue Pluderhosen, war eine der Künstlerinnen, die Dora García zu Open-Air-Lesungen eingeladen hatte. "Hearing Voices" hatte die spanische Installationskünstlerin ihr Open-Air-Rezitationsforum für das siebte Colomboscope-Festival getauft, das Ende Januar in Sri Lankas Hauptstadt stattfand. Das Kunstfestival entstand als eine der vielen Initiativen, mit denen Protagonistinnen der Zivilgesellschaft die "Freedom of expression" dauerhaft sichern wollten, die zwischen 1983 und 2009 unter die Räder des Bürgerkriegs zwischen Singalesen und Tamilen geraten war.

Eine 2009 von der britischen Galeristin Annoushka Hempel gegründete "Colombo Biennale" hielt sich nicht lange. Das 2013 mit Hilfe des Goethe-Instituts, der Alliance Française und des British Council gegründete jährliche Colomboscope-Festival dagegen überdauerte bis heute. Inzwischen ist es das größte zeitgenössische Kunstevent der 23-Millionen-Inselnation im Indischen Ozean.

"Mir gefiel das interdisziplinäre Format, ich hatte mich in die Insel verliebt", erklärt Natasha Ginwala, indischstämmige Kunstwissenschaftlerin, weshalb sie schließlich blieb, nachdem sie das Festival 2015 zum ersten Mal kuratiert hatte. Jetzt ist sie dessen Direktorin, pendelt zwischen Colombo und Berlin, wo sie als Kuratorin am Gropius-Bau arbeitet, schöpft aus dem ästhetischen Fundus zweier Hemisphären. 2014 gehörte sie zum Team von Adam Szymczyks Documenta 14. 2018 fand ihr Parcours zur indischen Moderne Anerkennung, den sie für "Hello World" beisteuerte, das Projekt, mit dem Berlins Hamburger Bahnhof seine Sammlung einer kritischen Revision unterzog.

Sri Lankas einziges Kunstfestival stellt sich Themen wie Flucht und Vertreibung. Die Tafel aus der Serie "One last night" der Künstlerin Liz Fernando steht vor dem Cenotaph War Memorial im Garten der Public Library von Colombo. (Foto: Ingo Arend)

Sri Lanka ist eine Sozialistische Republik. Nach Meinung von Beobachtern manövriert das herrschende Bruderpaar Gotabaya und Mahinda Rajapaksa, Präsident der eine, Ministerpräsident der andere, das Land freilich in Richtung eines buddhistischen Faschismus. So wie sie der radikal buddhistischen Bewegung Bodu Bala Sena, der "Buddhistischen Streitmacht", zu gefallen sucht.

Die Covid-Inzidenzen sind niedrig, doch das Land steht vor einer Hungersnot. Mangels Devisen muss es sein Erdöl aus Iran mit Tee bezahlen. Noch imprägnieren die Bilder des islamistischen Attentats vom Ostersonntag 2019 das kollektive Bewusstsein.

Fundstücke und Akten erinnern an die Verschwundenen des Bürgerkriegs

Ein Wunder also, dass Ginwala und ihre Co-Kuratorin Anushka Rajendran die 2021 wegen der Pandemie abgesagte Schau mit 50 internationalen Künstlerinnen doch noch herausbringen konnten. Auch Colomboscope folgt dem critty-polity-Mainstream der internationalen Biennalen. In Sri Lanka bedeutet diese bekannte Mixtur aus Antimilitarismus, Queer Policies und Feminismus freilich noch etwas. Denn die präsentierten Arbeiten öffneten einen Raum für die Probleme, die die Politik auf der Insel unter Schweigen begräbt.

Der Künstler Imaad Majeed forcierte in dem kleinen Druckerei-Museum W Silva mit ihrem Raum der "Testimony of the disappeared" den erinnerungspolitischen Impetus des Festivals: Persönliche Fundstücke, amtliche Akten rufen die Schicksale der Verschwundenen des Bürgerkriegs in Erinnerung. Wie poetisch sich politische Anliegen in Form setzen lassen, zeigte M T F Rukshana. Ihre zerrissenen Webstücke thematisieren die Wunden und Brüche, die das seit 1951 nicht geänderte Ehe- und Familienrecht in Sri Lanka vor allem Frauen aufbürdet, wenn sie sich scheiden lassen wollen.

Einen Kiosk für Lesungen hat Dora García im Viharamahadevi-Park von Colombo gebaut. (Foto: Ingo Arend)

Sinnfällig wurde das ausgeprägt politische Problembewusstsein des Festivals in dem Rio-Komplex. 1965 als eines der ersten Kinos in dem ehemals von schwarzen Sklaven der portugiesischen und niederländischen Kolonisten bewohnten Stadtteil Slave Island eröffnet, ging es 1983 bei einem antitamilischen Pogrom in Flammen auf. Colombos Kulturszene hat die verkohlte Ruine von grandioser Trostlosigkeit für sich wiederentdeckt.

Aus ihren geborstenen Fenstern geht der Blick auf den Lotus-Tower. Der 350 Meter hoch gereckte, grüne TV-Phallus läuft an der Spitze in eine violett schimmernde Blüte aus - Symbol der Träume von der internationalen Finanzmetropole, die Colombo unter dem Druck der Krise gerade wieder begräbt. Colomboscope kommt ohne jeden Hauch von Zimt- und Lotus -Klischees aus, den Zivilisationsmüde aus dem Westen gern auf die "Träne Indiens" projizieren. Mit Künstlern von Libanon über Malaysia bis Neuseeland entwickelte Ginwala das Festival stattdessen zu einem Brückenkopf des jungen, politisch wachen Südens.

Auf dem benachbarten Festland agieren die Biennalen in Karatschi, Kochi oder Kathmandu stets im Schatten seiner politischen Spannungen. Sri Lanka ist - noch - eine Art safe space, ein interkultureller Kreuzungspunkt der unterschiedlichsten Positionen, fernab der üblichen Verdächtigen der westlichen Kunstszene. Hier traf Lavkant Chaudhary, der mit seinen Zeichnungen auf Pergamentbahnen in der Public Library an die unterdrückte Tharu-Minderheit in seiner Heimat Nepal erinnerte, auf Aziz Hazara.

Kunst, Theater, Literatur und Politik gehen eine Symbiose ein

In seinem faszinierenden Video "Takbir" hatte der afghanische Künstler Aufnahmen aus dem gerade von den Taliban eroberten Kabul auf eine der verrotteten Wände des Rio-Komplexes projiziert - Symbol der Nacht als Erfahrung von Terror, aber auch Zuflucht. Und als der Kulturanthropologe Omar Kasmani in der als Reading-Room fungierenden Lakmahal-Stadtteilbibliothek auf einem Sufi-Möbeln nachempfundenen Holzdiwan der Künstlergruppe Slavs and Tatars aus einem Essay über seine Erfahrungen als queerer Pakistaner in Berlin las, wurde das diesjährige Motto "Language is migrant" plötzlich klar. Ginwala und Rajendran hatten es einem Gedicht der chilenischen Künstlerin Cecilia Vicuña entlehnt. Colomboscope ist das erstaunliche Beispiel einer Verwandlung. Ginwala löste es aus dem Einfluss der Sponsoren des Anfangs, kooperierte mit Initiativen aus ganz Sri Lanka, schärfte das politische Herangehen.

Auch in diesem Jahr mixten die Kuratorinnen experimentelle Formate: einen Neighbourhood-Walk zu Schauplätzen des Bürgerkriegs, Tanzperformances in einem Gay-Cruising-Kino oder einen Rap&Poetry-Slam in einer Arbeiterbar am Stadtrand mit dem klassischen Kunstparcours. Liegt es an der ewigen Sonne auf der Insel oder dem sanften, uneitlen Wesen der Kuratorinnen? Nie kam hier das Gefühl auf, einen kapitalismuskritischen Crashkurs zu absolvieren, sondern sich in einem filigran gesponnenen Kosmos zu bewegen, in dem Kunst, Theater, Literatur und Politik eine selbstverständliche Symbiose eingehen. In Europa stehen dieses Jahr einige Biennalen und Events an: Vielleicht könnte so ein neuer Modus der Kunstpräsentation aussehen - jenseits von Venedig, Kassel oder Berlin.

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