Nazis und Luxus:Gesticktes für den Führer

Lesezeit: 4 min

Der Entwurf von Werner Peiner zeigt, wie der Bildteppich aussehen sollte. (Foto: Nachlass Peiner)

Die NS-Machtelite war verrückt nach Gobelins, freilich eingedeutscht als "Bildwirkereien". Göring ließ in Paris ein Monumentalwerk sticken, das nie fertig wurde. In München ist es nun zu sehen.

Von Susanne Hermanski

Es gibt wahrlich schönere Gobelins in der Ausstellung "Fäden der Moderne", die derzeit in der Kunsthalle der Hypokulturstiftung in München zu sehen ist. Dieser eine jedoch hat eine ganz besondere Geschichte. Die exklusiven Pariser Werkstätten, deren Arbeit im Fokus der Schau steht, haben sie als Auftragswerk der besonders ungeliebten Art gefertigt, mitten in Zeiten des Zweiten Weltkriegs, als Auftragsarbeit für einen der - nun ja - gewichtigsten Besatzer Frankreichs: Hermann Göring. Hitlers "Reichsmarschall", hatte die Arbeit in Auftrag gegeben: eine Tapisserie für seine Residenz Carinhall in der Schorfheide bei Berlin. Aus zwei Teilen sollte sie bestehen, die jeweils monumentale 72 Quadratmeter messen mussten, um eine Wand seiner Bibliothek zu zieren. Die Bücher der "Manufacture des Gobelins" verzeichnen den Auftrag mit 1 213 576 Francs. Fertig war bis Ende des Krieges freilich nur der linke Teil.

Den Entwurf für den gigantomanischen Wandbehang lieferte Werner Peiner. Später, als Adolf Hitler in der Endphase des Zweiten Weltkrieges gemeinsam mit Joseph Goebbels die "Gottbegnadeten-Liste" zusammenstellte, war er einer der Spitzenreiter. Sie umfasste zwar 36 Seiten, auf denen 1041 Künstler aufgeführt waren, die den Nazis wichtig erschienen. Doch in deren Spezialkategorie der "Unersetzlichen Künstler" war Peiner einer von nur vier Malern.

Ausstellung in der Hypo-Kunsthalle
:Fadenfrohe Wunderwerke

In der Kunsthalle München sind Bildteppiche aus der Pariser Manufacture des Gobelins zu sehen.

Von Harald Eggebrecht

Warum, das erklärt seine "Erdkugel" mit einem Blick: ein besseres Symbol für den ungeheuerlichen Größenwahn des nationalsozialistischen Regimes kann man sich kaum ausmalen. Peiner verzeichnete historisch inkorrekte Ländernamen und -grenzen. Deutschland hatte seine Kolonien in Afrika bereits im Ersten Weltkrieg verloren. Und das Richtschwert seiner Justitia - die er in der seinerzeit so beliebten, derb-antikisierten Formensprache hält - zeigt auf ein scheppses Großbritannien. Besaß es doch die Stirn, Deutschland 1940 immer noch heftigen Widerstand zu leisten. Apollo und die anderen griechischen Götter, die sein Erdenrund umschweben, sehen allesamt aus, als seien sie im Hauptjob Bauerndarsteller für Blut- und Boden-Malkurse. Die Form des Entwurfs erklärt sich aus den architektonischen Gegebenheiten, für die der Wandteppich bestimmt war: Der runde obere Abschluss sollte der Deckenwölbung folgen, die rechteckige Aussparung links unten war für eine Tür vorgesehen.

Dass die Arbeit überhaupt in Paris aus dem Webstuhl gezogen werden konnte, verdankte Göring der Vichy-Regierung. Denn kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren die Sammlungen und Werkstätten des "Mobilier national" eigentlich von Paris ins abgelegene Aubusson verlegt worden. Doch nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens zwischen Deutschland und Frankreich erfolgte Ende 1940 auf Veranlassung des Vichy- Regimes die Rückverlegung in die Hauptstadt. Der Grund: Sowohl die Nationalsozialisten als auch die Kollaborateure hatten großes Interesse an den Werken der prestigereichen französischen Tapisserie-Manufakturen. Sie erschienen ihnen ideal für Propagandazwecke.

Anja Prölß-Kammerer, die im Begleitprogramm der Münchner Ausstellung einen Vortrag über die "Gobelins des Führers" hält, sagt dazu: "Die NS-Führer liebten alles, was ihnen den Anschein von Luxus verlieh - man suchte nach einer angemessenen Dekoration der Macht." Besonders Göring sah in seinem Drang nach Selbstdarstellung und -inszenierung in den Tapisserien einen passenden Rahmen für sich selbst. Er scheute weder Kosten noch Mühen, um an begehrte, wertvolle Gobelins für seine Sammlung zu kommen. "Dabei bediente er sich auch gerne aus dem Fundus des in Frankreich geraubten Kunstguts", sagt Prölß-Kammerer.

Für Prunkräume wie die große Halle von Görings Landsitz Carinhall wurden die Gobelins gefertigt. Die Pariser Arbeit war eine Maßanfertigung für die Bibliothek. (Foto: Scherl)

Die Tapisserie - man denke an den "Teppich von Bayeux", der bis heute jedes Schulgeschichtsbuch ziert - liebte man als eine zentrale Kunst der alten europäischen Eliten. "Mit dem Besitz dieses traditionellen höfischen Mediums hoffte man sich selbst zu adeln und die Assimilation zu den traditionellen Eliten deutlich zu machen", so Prölß-Kammerer. Die umfangreiche Gobelinsammlung Görings demonstriert diesen Aspekt in ganz besonderem Ausmaß. Wie seine anderen zusammengerafften Kunstschätze auch verteilte er die Tapisserien auf seine diversen Wohnsitze.

Die Kunst sollte zur "Geschmacksbildung des Volkes" beitragen

Carinhall, im Norden des heutigen Brandenburg gelegen, spielte dabei wiederum eine ganz besondere Rolle. Der Name des Anwesens bezieht sich auf Görings erste, von ihm regelrecht vergötterte Frau, die 1931 verstorbene Schwedin Carin, geborene Freiin Fock und das "Walhall". Also die prächtige Himmelshalle, in die Odin laut Wikinger-Mythologie die tapfersten gefallenen Krieger aufnimmt. Der Architekt des nach 1933 in mehreren Etappen errichteten Gebäudekomplexes war Werner March, der auch das Berliner Olympiastadion gebaut hat. Später übernahm dann Friedrich Hetzelt den Bau.

In der Pose des literarisch Interessierten neben der Weltkugel: Hermann Göring in seinem Arbeitszimmer in Carinhall, 1938. (Foto: Scherl)

Doch die Tapisserien spielten nicht nur im privaten Treiben Görings eine wichtige Rolle. Auch im öffentlichen Gepränge des Regimes kam ihnen besondere Bedeutung zu. In der Folge wurde das Kunsthandwerk direkt subventioniert. Grundlage dafür war die Verordnung "Kunst am Bau" von 1934. Der zufolge musste ein "angemessener Prozentsatz der Bausumme für öffentliche Bauten an bildende Künstler bereitgestellt werden", sagt Prölß-Kammerer. Auf diesem Wege habe die ideologische Einbindung des Kunsthandwerks in die gewünschte "Geschmacksbildung des Volkes" stattgefunden. In der offiziellen Berichterstattung wurde der Eindruck vermittelt, bereits die alten Germanen hätten meisterhaft Teppiche gewebt, und Wandteppiche seien eine Errungenschaft des Deutschen Reiches, die nun zu höchster Blüte gefunden habe. In repräsentativen Großbauten wie Ministerien, Verwaltungsbauten und jenen der Wehrmacht und der Luftwaffe durften sie also nicht fehlen. Auch wenn ähnliches für Mosaiken, Wandmalereien und Marmorarbeiten galt.

Freilich war auch in München, der Hauptstadt der Bewegung, der Hunger nach Tapisserien zu Repräsentationszwecken enorm. Nicht einmal der rigorose Zugriff auf den Fundus der Münchener Residenz konnte ihn stillen. Der Einsatz der Münchener Gobelin-Manufaktur reichte ebenfalls nicht aus. Sie war bereits 1908 gegründet worden und hatte schon in den 1920er Jahren eng mit Paul Ludwig Trost zusammengearbeitet. Trost war der Architekt des "Hauses der Deutschen Kunst".

Das "Reich" forderte mehr und mehr gewirkte Bilder. Deshalb wurde in Nürnberg 1941, mitten im Krieg, eigens die Nürnberger Gobelin-Manufaktur gegründet. Die Ausstattung der Bauten auf dem Reichsparteitagsgelände war deren Hauptaufgabe. Allein für die Kongresshalle plante man neun Gobelins in der Standartenhalle, einen großen Wandbehang für die Bühnenwand im Hauptsaal und Teppiche für den Arbeitsraum Hitlers. In Berlin sollten die Bildteppichwerkstätten Wriezen, direkt unter Federführung von Albert Speer, ihre Arbeit aufnehmen. Dass mit der Pariser Gobelin-Manufaktur ausländische Werkstätten zur Arbeit an NS-Teppichen herangezogen wurden, blieb ebenfalls kein Einzelfall - wenn auch der prominenteste. Nach dem "Anschluss" Österreichs wurde auch die Wiener Manufaktur für die ideologischen Ziele eingespannt.

Auch der "gottbegnadete" Peiner entwarf nicht exklusiv für Göring. Sein berühmtester Auftrag war der Tapisseriezyklus "Marksteine deutscher Geschichte" für die Berliner Reichskanzlei. Ausgeführt wurde er nie. Anders als etwa die Serie "Die fünf Erdteile" fürs Auswärtige Amt in Berlin. Und im Großen Festsaal von Carinhall hing am Ende - Paris hin oder her - trotzdem ein zehnteiliger Zyklus von Peiner: die "Weiblichen Tugenden".

© SZ vom 18.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ Plus"Das bunte Leben" von Kandinsky
:Der Schandfleck

Einst war München "Hauptstadt der Bewegung". Nach dem Krieg erfand sich die Stadt als Kulturmetropole neu. Doch wahrscheinlich ist eines der berühmtesten Kandinsky-Bilder im Lenbachhaus NS-Raubkunst. Kläger fordern nun die Rückgabe oder 80 Millionen Dollar.

Von Kia Vahland

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: