Martina Hefter: "In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen":Geister muss es auch geben

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Könnte besser aussehen: Unordnung im Kinderzimmer. (Foto: imago images/Shotshop)

Schwerter zu Pflugscharen und Nährwerttabellen zu Gedichten: Wie einen Martina Hefters Lyrik mit der profanen Gegenwart versöhnt.

Von Tobias Lehmkuhl

Einen so ambitionierten und zugleich leichtfüßigen Gedichtband hat es lange nicht mehr gegeben. Ambitioniert, weil "In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen" gleich aus fünf groß angelegten Zyklen besteht. Leichtfüßig, weil sie in einem scheinbar ganz alltäglichen Sprachgestus gehalten sind. Der längste Zyklus des Bandes, "Linn Meier (†2019)", könnte auch als Theatermonolog aufgeführt werden. Tatsächlich ist ihm eine Art Regieanweisung vorangestellt: "Im Fall, der Text wird gesprochen, könnte man während des Sprechens eine typische Mädchenzimmereinrichtung auseinanderbauen."

"Linn Meier (†2019)" ist der Monolog einer magersüchtigen Teenagerin, gesprochen, wie es heißt, im "Fatsuit/ damit niemand in Ohnmacht fällt/ an diesem wunderbaren Abend". Tempo und Intensität des Textes erwecken den Eindruck, es hier mit einem authentischen Dokument zu tun zu haben, einem Dokument existenzieller Einsamkeit: Während der Rest der Welt munter Futter in sich reinschaufelt und jedermann und jede Frau immer weiter in Richtung anderer Körper ausbeult, um sich mit diesen zu vereinen, zählt Linn Meier Kalorien und findet nichts abstoßender, als die Vorstellung, Sex zu haben. Sie macht sich Gedanken über den Hunger der Welt und wie sich ihr eigenes, planmäßiges Verhungern dazu verhält. Sie erstellt Listen von Gerichten, die sie doch nicht essen wird, und am Ende - da verwandelt sich das vermeintliche Dokument in eine Art poetische Vision - schläft Linn Meier ein, oder entschläft doch eher, um in einer anderen Welt als "Athena Linn Meier" aufzuerstehen, mit Muskeln, die den Fatsuit sprengen.

Erwähnt sei nur, dass im Zyklus "Flammen" eine andere, sehr gegenwärtige Göttin, "Cynthia Artemis Moll", auftaucht, und dass der titelgebende Zyklus im Amazonas und damit im Reich Holz klauender Amazonen einsetzt.

Martina Hefter: In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen. Kookbooks, Berlin 2020. 96 Seiten, 19,90 Euro. (Foto: N/A)

Direkt mit "Linn Meier (†2019)", als eine Art hochpoetisches Gegen- oder Ergänzungsstück, korrespondiert der Zyklus "Essays über Pflanzen. Stillleben". Auch hier wird die "Nährwerttabelle" aus dem Schrank geholt, auch hier werden "Foodpornos" geschaut, allerdings ist die Lage nicht so eindeutig und das lyrische Ich der Nahrung gegenüber keineswegs so feindlich eingestellt wie Linn Meier. Fast steht es mit den Pflanzen in einer symbiotischen Beziehung: "Ich hab das grüne Blut der Bäume, es rauscht in mir./ Das weiche wundersame schlafende Gras flammt/ in meinen Augen, flammt, wenn ich in den Garten schau:/ Hausmeister hat wieder Gift gespritzt, verdorrt liegt das Unkraut, gestorben./ Noch bin ich wach. Es ist Nacht."

Rätselhaft, traumhaft sind die Gedichte in "Essays über Pflanzen", wie man überhaupt den Eindruck gewinnt, in Martina Hefters Gedichten gäbe es eine zweite, fast unsichtbare und von Mischwesen, von Waldgeistern und Teufeln bevölkerte Ebene.

In ihrem letzten Gedichtband, "Es könnte auch schön werden", der aus Besuchen bei ihrer Schwiegermutter im Pflegeheim hervorgegangen ist, sind es tatsächlich kleine Teufel gewesen, die auf der Station ihr Unwesen trieben. Dass Linn Meier von Teufeln getrieben ist, braucht nicht extra benannt zu werden. Artemis und Athena sind selbst Wesen nur halb von dieser Welt. Im letzten Zyklus von "In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen" heißt es denn auch: "Uns Geister muss es auch geben./ Wir grüßen euch./ Die ihr immer so irdisch aus eurer Haut schaut."

In Martina Hefters Gedichten liegen die magische Welt der Poesie und die profane Gegenwart des Maggi-Kochstudios erstaunlich nah beieinander. Und sie ergänzen sich gut.

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