Mediaplayer:Der Schrecken der Leere

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In einem Haus, das ächzt und stöhnt: Sam (Bella Heathcote) in "Relic". Der Film ist seit Ende Oktober auf Amazon Prime zu sehen. (Foto: Jackson Finter; Star Invest Films France)

Regiseurinnen haben dem Genre des Horrorfilms in den letzten Jahren neue Impulse gegeben, das zeigt unter anderem Natalie Erika James' Debüt "Relic".

Von Fritz Göttler

Don't follow it, steht auf dem Zettel, den das Mädchen Sam in der Jacke ihrer Großmutter Edna findet. Folge ihm nicht ... wer auch immer es sein mag. Es ist eine dicke Wolljacke, in die man sich kuschelt, um die Leere zu vergessen, die einen umgibt. Seit einigen Tagen ist Edna verschwunden, Sam und ihre Mutter Kay, Ednas Tochter, sind in ihr Haus im Wald gekommen, in der Nähe von Melbourne. Es gibt jede Menge solcher Zettel im Haus, "Nimm die Pillen, dreh das Wasser ab ...". Edna war besorgt, sie spüre, sagte sie, die Anwesenheit eines fremden Wesens im Haus, Stühle sind verrutscht und Objekte verlegt. Kay ist sich sicher, was es mit diesem Wesen auf sich hat - Edna hat das selber getan, sie leidet an Demenz: An Weihnachten hat sie das Haus unter Wasser gesetzt. Dann ist Edna plötzlich wieder da, kann sich an nichts erinnern, barfuß, Blut auf ihrem Nachthemd, eine schwarze Narbe auf der Brust.

"Relic" ist der erste Film der Australierin Natalie Erika James, mit Emily Mortimer als Kay, Bella Heathcote als Sam, Robyn Nevin als Edna (Leonine). Ein Spukhaus-Film, dem Genre nach, aber vor allem eine bewegende Momentaufnahme vom Zustand der Demenz, wenn man gefangen ist im Leerraum zwischen dem Gestern und dem Morgen, haltlos, im Innern leer, nach Ruhe, Erlösung, Geborgenheit, Dauer sich sehnend. Das ist herzzerreißend, sagt Natalie Erika James, zu sehen, wie jemand sich verliert. Die Spuren des Verfalls sind unübersehbar im Haus der Großmutter, ein Haus, das ächzt und stöhnt und in dem es in dunkle Winkel gibt in jedem Zimmer und hinter den Wänden, die die Kamera nicht erfasst, und wo ominöse Wesen hausen könnten. Das Ende des Films ist erschreckend und friedlich zugleich. Einmal legen de Frauen eine Platte auf, Jimmy Radcliffe singt "As late as the hour may be" ...

Die Novembernummer der Filmzeitschrift Sight & Sound, die Halloween-Nummer, ist dem Horror gewidmet, und einer der Filme im Mittelpunkt ist "Relic". Filmemacherinnen spielen seit einigen Jahren eine starke Rolle im Genre, sie haben ihm eine neue Richtung gewiesen, zum Teil sind die Filme auch bei uns zu sehen, wenigstens auf DVD, "A Girl Walks Home Alone at Night", 2014, von Ana Lily Amirpour, oder "Raw" von Julia Ducournau, "Babadook", 2014, von Jennifer Kent - ihr neuer Film ist ein horrender Rachewestern aus Australien, eine Frau, die am Ende die Männer zum Schweigen bringt mit einem Lied: "The Nightingale - oder Black Christmas". Außerdem "2019", von Sophia Takal, feministischer Splatter mit Imogen Poots, oder "Amulet" von Romola Garai.

Es sind Filme, die wieder an den Ursprung des Genres zurückgehen, erschreckende Dimensionen erforschen in den Beziehungen der Menschen, in den Familien. "Amulet", 2020, ist der erste Film von Romola Garai, man kennt sie als Schauspielerin, in "Dirty Dancing 2" und "Abbitte" von Joe Wright und "Angel" von François Ozon. Wie "Relic" spielt auch "Amulet" (Ascot Elite) in einem verrottenden Haus, Magda lebt dort, gespielt von Carla Juri, eines Tages wird Tomaz bei ihr eingeführt, gespielt von Alec Secareanu. Er ist nach London gekommen als Flüchtling, traumatisiert, ein Soldat aus einem mitteleuropäischen Krieg. Er darf bei Magda wohnen, unentgeltlich, soll nur alles ein wenig instandsetzen. Tomaz hat im Krieg Schuld auf sich geladen. Im Schilderhäuschen an der Grenze mitten im Wald liest er Hannah Arendt. Magda betreut ihre Mutter, die unterm Dach lebt. Im Haus ist eine Muschel, das alte Zeichen, das warnen soll vor dem Bösen. Magda würde gern tanzen, man muss das Vergnügen packen, wo man nur kann. Ein ominöses Matriarchat ist in dem Haus etabliert. Eine Schwester hat Tomaz zu Magda gebracht, Imelda Staunton, ihr agiles Lächeln ist ziemlich nervig, auch für eine Frau im Sozialdienst. In "Relic" war das Zentrum des Matriarchats eine Leerstelle.

Don't follow it ... Seit den Sechzigern, seit Hitchcocks "Psycho" hat das Kino die alten Kategorien des Guten, des Sicheren, des Heimischen außer Kraft gesetzt, schreibt David Thomson in Sight & Sound. Verstörend sei in "Relic" die Aussicht, dass wir auch nach der Rückkehr zu Normalität und Sicherheit - "nach Trump", vermerkt Thomson - Problemen des Überlebens und des Anstands gegenüberstehen, "von denen die meisten in der menschlichen Unsicherheit wurzeln und ihrer Weigerung, der Realität ins Antlitz zu sehen". Verblasste Fotografien, verfaulte Äpfel, abblätternde Haut ... Der Schrecken der Vergänglichkeit hat in Relic auch etwas Tröstliches. I am loved steht auf dem letzten von Ednas Zetteln.

© SZ vom 09.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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