Dokumentarfilm "Luftkrieg" im Kino:Das Leid der Zivilisten

Lesezeit: 3 min

Britische Bomber über Deutschland werden von der Flugabwehr beschossen. (Foto: Imperial War Museum/Progress Filmverleih)

"Luftkrieg" des ukrainischen Regisseurs Sergei Loznitsa zeigt die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg - und reflektiert die grundsätzliche Grausamkeit des Krieges.

Von Martina Knoben

Das Inferno kann schrecklich schön aussehen. Ein nächtlicher Luftangriff, gefilmt aus einem der Flugzeuge heraus, das die Bomben abwirft, zeigt die Detonationen als aufblitzende Lichtpunkte - die Vernichtung erscheint als faszinierendes Schauspiel und Feuerwerk. Erst der Wechsel auf den Boden offenbart brennende Häuser und Löschtrupps, die gegen die Flammen kaum eine Chance haben, verstört herumirrende Menschen. Und Tote, aufgereiht auf der Straße liegend.

Die Bilder des Dokumentarfilms "Luftkrieg - Die Naturgeschichte der Zerstörung" sind alt, es sind Filmaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Filmemacher Sergei Loznitsa hat Material aus diversen internationalen Archiven gesammelt, es aufwändig restauriert und neu montiert. Unterlegt sind die Szenen mit einem ausgetüftelten Sounddesign, einen Kommentar oder Zwischentitel gibt es nicht. Die Aufnahmen sind auch nicht chronologisch geschnitten oder den Kriegsparteien zugeordnet. Ob deutsche Flugzeuge ihre Bomben über britischen Städten abwerfen oder alliierte Bomben auf Deutschland niedergehen, ist meist nicht zu erkennen.

Diese Gleichbehandlung provoziert, eine Verharmlosung der deutschen Kriegsschuld aber wird man Loznitsa kaum unterstellen. In früheren Filmen hat er sich schon ausführlich mit den NS-Verbrechen auseinandergesetzt, etwa in "Babi Yar. Kontext" von 2021, der das Massaker an über 30 000 Juden in dem titelgebenden Tal nahe Kiew rekonstruiert. Oder in "Austerlitz", 2016, über den Massentourismus in den Gedenkstätten Dachau und Sachsenhausen.

Nach dem Bombenangriff: verwundete Frauen in Frankfurt am Main. (Foto: Bundesarchiv/ Progress Filmverleih)

Loznitsa ist Ukrainer, aber lebt mit seiner Familie in Berlin. Wie schon "Austerlitz" wurde auch "Luftkrieg" von Texten W. G. Sebalds angeregt, die sich mit der Verarbeitung deutscher Vergangenheit beschäftigen. In seinem Buch "Luftkrieg und Literatur" von 1999 hatte sich der Autor und Literaturwissenschaftler Sebald mit der Frage beschäftigt, ob sich die deutsche Literatur angemessen mit den Flächenbombardements der Alliierten im Zweiten Weltkrieg und dem kollektiven Trauma der deutschen Bevölkerung auseinandergesetzt hat. Das löste eine heftige Debatte aus.

Eine vergleichbare Aufmerksamkeit wünscht man auch Loznitsas Film. Als der Regisseur mit der Arbeit an "Luftkrieg" begann, konnte er vom Überfall Russlands auf die Ukraine unmöglich wissen. Heute wirkt "Luftkrieg" brandaktuell. Vor fast genau einem Jahr töteten russische Bomben zahlreiche Zivilisten, die im Theater von Mariupol Schutz gesucht hatten. Und immer noch wird gezielt "zivile Infrastruktur", werden auch Wohnblöcke, Schulen oder Krankenhäuser bei russischen Luftangriffen zerstört. Dass in jedem Krieg immer auch die Zivilisten leiden, hatten gerade erst die Geisterstädte in Syrien bewiesen.

Die Dramaturgie von "Luftkrieg" wirkt simpel. Loznitsa zeigt kurz Eindrücke aus Deutschland vor dem Krieg, das friedlich, ja beinahe idyllisch wirkt. Ein Mann füttert Tauben, Fischer gehen ihrer Arbeit nach, es folgen Aufnahmen einer Stadt, in der auch Hakenkreuze zu sehen sind. Nach einer verheerenden, aber eher distanziert dokumentieren Bombennacht zeigt der Film sehr ausführlich die Logistik des Krieges, die Rüstungsindustrie. Schließlich wuchtig die Zerstörung vor allem deutscher, aber auch britischer Städte.

Archivaufnahmen, zumal in Schwarz-Weiß und unkommentiert, lösen bei Historien-TV-erprobten Betrachtern leicht Ermüdungserscheinungen aus. In "Luftkrieg" ist das sich wiederholende Grauen zermürbend - der Film selbst ist es nicht. Es sind teils kostbare Dokumente zu sehen, hervorragend restauriert und klug zu einem Essay montiert.

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Über die historische Betrachtung und die aktuelle Betroffenheit hinaus wirft der Film grundsätzliche Fragen auf, etwa zu der Faszination von (Kriegs-)technik, die den Rüstungsingenieuren von damals anzusehen ist, aber auch heute wieder manche Debatte über "Leoparden" oder Kampfflugzeuge beflügelt. Durch seine sorgfältige und ausführliche Rekonstruktion der Rüstungsanstrengungen wird deutlich, was für ein Aufwand, welches Ausmaß an Erfindungsgeist und Ingenieurskunst im Krieg stecken. Einiges vom Besten, das der Mensch zu bieten hat - im Dienst der Zerstörung.

Lässt sich Krieg im Allgemeinen und der Kampf gegen eine Zivilbevölkerung im Speziellen überhaupt rechtfertigen? Dass Loznitsa den Kampf gegen Nazi-Deutschland als Exempel nimmt und vor allem Deutsche als Opfer zeigt, provoziert und es erschwert auf produktive Weise die Antwort auf diese Frage. In einer Rede zeigt Churchill der deutschen Bevölkerung zynisch einen "einfachen Weg" auf, sich vor britischen Bomben zu schützen: Sie müsse lediglich ihre Städte verlassen und aufs Land gehen - und aus der Ferne zusehen, wie ihre Häuser brennen.

The Natural History of Destruction - Deutschland, Niederlande, Litauen 2022. Buch, Regie: Sergei Loznitsa. Komposition: Christiaan Verbeek. Sound Design: Vladimir Golovnitski. Schnitt: Danielius Kokanauskis. Verleih: Progress Film, 109 Minuten. Kinostart: 16. März 2023.

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