Little Britain:Ganz normaler Ausnahmezustand

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Stundenlanges Warten im Stau, Bruchbuden-Hotelzimmer für 200 Pfund pro Nacht und Schuhsohlen statt Filetsteaks: Kurz vor Beginn der Olympischen Spiele zeigt sich London nicht von seiner gastfreundlichsten Seite.

Christian Zaschke, London

Herzlich willkommen in London. Schön, dass Sie es geschafft haben, es war nicht einfach, ich weiß. Sie hatten nicht geglaubt, dass man in Heathrow wirklich drei Stunden lang an der Passkontrolle warten würde? Im Grunde hatten Sie recht, man wartet selten länger als eine Stunde. Aber Sie haben eben einen besonders schlimmen Tag erwischt, was mit dieser Sportveranstaltung zusammenhängen könnte, die hier am nächsten Freitag beginnt.

Während Sie im Stau eine horrende Taxirechnung aufsummieren, sind die Games Lanes nebenan den Sportlern und Offizielle der Olympischen Spiele vorbehalten. (Foto: Bloomberg)

Dass Sie sich nach all der Warterei ein Taxi gegönnt haben, weil Sie endlich ins Hotel wollten, war allerdings ein wenig naiv. Natürlich ist die M4 ohnehin recht voll, aber Sie hatten die Games Lanes vergessen, nicht wahr? Diese Fahrspuren, die für die Olympischen Spiele reserviert sind. Nein, nicht nur für die Sportler, auch für Journalisten, Offizielle und Sponsoren.

Ja, das waren die Flotten von Coca Cola, McDonald's und Dow Chemical, die an Ihnen vorbeirauschten, während Sie im Stau standen und auf dem Taxameter so hohe Zahlen erschienen, wie Sie sie sonst nur aus Berichten über Banker-Boni kannten. Aber Joe, der Taxifahrer, war doch ziemlich freundlich, oder? Sie haben ihn so sehr schlecht verstanden? Keine Sorge, Sie werden sich an die erfreulichen Akzente in diesem Land rasch gewöhnen.

Ich verstehe, dass Sie etwas überrascht waren, als sich Ihr 200-Pfund-pro-Nacht-Hotelzimmer als schlecht gelüftetes Loch an einer Durchfahrtsstraße entpuppte, mit stinkenden Vorhängen und einem Teppich im Bad, in dem augenscheinlich Tiere leben, darunter einige bisher nicht dokumentierte Spezies. Aber für 200 Pfund bekommt man in London leider nicht nur kurz vor den Olympischen Spielen lediglich Zimmer, die knapp ans Niveau einer deutschen Jugendherberge heranreichen. Sehen Sie es so: Sie sind ja nicht zum Schlafen gekommen.

Ich sehe auch ein, dass Sie enttäuscht waren, als Sie auf der Suche nach Erinnerungen an die Abifahrt als erstes zum Camden Market pilgerten. Sie hatten schwärmerische Sätze gebildet, in denen die Wörter "subversiv" und "Schnäppchen" sehr oft auftauchten, und dann das: ein überfülltes Nippes-Dörfchen, in dem das I-Love-London-T-Shirt noch als das aufregendste Mitbringsel erschien. Dass Sie später in der Innenstadt beim Abendessen in einem Ketten-Steakhaus auf einer Filet genannten Schuhsohle für 32 Pfund (ohne Beilagen) herumkauen mussten, war sicherlich kein schöner Abschluss des ersten Tages.

Aber sehen Sie es so: Sie haben jetzt fast alle gröberen Fehler einmal gemacht. Werfen Sie nun die Tickets für Madame Tussaud's einfach weg. Denken Sie fortan nicht eine Sekunde mehr daran, dass hier alles das Doppelte kostet. Und jetzt genießen Sie es: Herzlich willkommen in London!

© SZ vom 21.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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